Pino Agostini: "Kulinarische Streifzüge durch Venedig"
Die Kochkunst der Serenissima
"Giacometto:
Welch ein Reisgericht! (Carlo Goldoni, "I Morbinosi") |
Risotto, Suppe,
Fleisch,
Hammel, Ausgebackenes, mo'leche genannte,
unmittelbar nach der Häutung gefangene Butterkrebse,
Täubchen, Knoblauchsalami, Salat und süße
Nachspeisen - die venezianische Küche des 18. Jahrhunderts,
die Goldoni - mit Ausnahme des ein wenig kritischen Signor
Andreetta -
so enthusiastisch beschreiben lässt, klingt wie ein Auszug aus
Pino Agostinis "Kulinarischen Streifzügen" durch die
Lagunenstadt. |
Die weitreichenden
Handelsbeziehungen der
Serenissima, die "Kultur der Villen" auf dem Festland und die Jahre der
Fremdherrschaft ließen eine genussbetonte und raffinierte
Esskultur entstehen, die aber stets auch lokale Produkte und die
einfachen Gerichte der Hausmannskost schätzte.
Bereits im Mittelalter kamen
einige Zubereitungsarten auf, die noch heute fester Bestandteil der
venezianischen Kochkunst sind, so etwa die salsa peverada, eine Sauce
aus Brot, Rindermark und reichlich Pfeffer. Neben dem gewinnbringenden
Handel mit exotischen Gewürzen und Produkten
hinterließ auch die Errichtung der prachtvollen Villen
venezianischer Patrizier auf der terra ferma Spuren in den
Kochtöpfen und Pfannen. Der Wandel in der Landwirtschaft, der
diese nicht nur kunsthistorisch bedeutende Wiederentdeckung des
Landlebens begleitete, ebnete mit der Einführung des
Maisanbaus dem kulinarischen Siegeszug der Polenta den Weg. Und unter
den Österreichern, die Venedig insgesamt rund sieben
Jahrzehnte regierten, etablierte sich auch die Kartoffel, die Grundlage
für köstliche gnocchi,
endgültig auf den Speiseplänen der Stadt.
Wie pasta e fasioi, eine nahrhafte
Suppe mit Nudeln und weißen Bohnen, die seit Jahrhunderten im
gesamten Veneto geschätzt wird, sind die meisten der von Agostini
ausgewählten Gerichte traditionelle Bestandteile der Küche
Venedigs und seiner Umgebung. Doch auch "moderne Klassiker" wie das
berühmte von Giuseppe Cipriani kreierte Carpaccio haben Eingang in den -
bis auf einige
anscheinend aus den frühen Tagen des Farbfilms stammende Luftbilder von
Venedig - sehr ansprechend fotografierten Band gefunden.
Zu jedem der praktikablen Rezepte
bietet der als
Autorität auf dem Gebiet der Küche seiner Heimat
anerkannte Autor auch Variationsmöglichkeiten
und Weinempfehlungen.
Die venezianischen
Dialektnamen der Speisen klingen allerdings selbst in den Ohren von
Köchen mit Kenntnissen des Italienischen manchmal ein wenig
rätselhaft. Hinter vovi a l’ocio de
bò verbergen sich banale Spiegeleier, màsori
a’la va’lesana sind Wildvögel nach Art der
Lagunenbewohner, und fasioi co’le sego’le
bezeichnen einen herzhaften Salat aus Zwiebeln und Bohnen.
Mit seinen Erläuterungen
zur Entstehung der Gerichte sowie einem ausführlichen Vorwort
zur Geschichte der Kochkunst Venedigs dokumentiert Pino Agostinis
appetitanregendes Buch auch den interessanten kulturhistorischen
Hintergrund eines besonderen Kapitels der italienischen Küche.
(sb; 08/2002)
Pino Agostini: "Kulinarische Streifzüge
durch
Venedig"
Orbis, 2002, 192 Seiten, zahlreiche, meist farbige Abbildungen.
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Noch ein Buchtipp:
Franz Winter: "Orfanelle. Ein Venedig-Roman"
Venedig, die "Serenissima", feiert ihren Abschied von der Weltbühne mit
einem grandiosen Fest, in dem Luxus, Promiskuität, Geldgier, Spielsucht,
Oper und Konzerte die Hauptrollen spielen. Antonio Vivaldi und das
Mädchenorchester der Pietà ...
Die Folgen dieses immerwährenden Karnevals sind Hunderte von Kindern,
die verkauft oder weggelegt werden - die Knaben als billige
Arbeitskräfte auf das Festland, die Mädchen verschwinden anonym hinter
den Säuglingsklappen der Waisenhäuser. Sie werden zu Krankenschwestern,
Mägden oder Nonnen erzogen und viele von ihnen schiffsladungsweise als
Siedlerbräute nach Übersee verkauft. Die Begabtesten aber werden zu
Musikerinnen ausgebildet. Orchester entstehen, die von den berühmtesten
Komponisten unterrichtet und mit eigens für sie geschaffenen Werken
versorgt werden. So schreibt Antonio Vivaldi (1678-1741), der rothaarige
Priester mit dem Liturgiedispens, seine brillantesten Oratorien und
Konzerte (u.A. auch "Die
vier Jahreszeiten") für die Waisenhausmädchen des Ospedale Santa
Maria della Pietà, genannt Orfanelle, und feiert mit ihnen seine größten
internationalen Triumphe.
Franz Winter verwebt meisterhaft das Leben des weltberühmten Komponisten
mit dem Schicksal zweier Findlingsmädchen. (Braumüller)
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