Pino Agostini: "Kulinarische Streifzüge durch Venedig"


Die Kochkunst der Serenissima

"Giacometto: Welch ein Reisgericht!
Andreetta: Und erst die Supp!
Ottavio: Das Fleisch war deliziös!
Felippo: Dann diese Ochsenspeis! Und das Gebackene! Es stünd wohl an, zu sterben dafür.
Giacometto: Und diese Butterkrebs, welch eine Vollkommenheit!
Andreetta: Sie vergaßen nur, ihre Nägel zu stutzen.
Felippo: Die Tauben! Köstlich!
Andreetta: Wahrlich delikat für diese Zeit des Jahrs.
Giacometto: War das Gesalzene mit Knoblauch nicht ein Wunder?
Felippo: Auch die Kuchen – äußerst schmackhaft.
Giacometto: Der schöne Salat, ging er nicht direkt zu Herzen?
Felippo: Und dann der Nachtisch! Diese Weis, ihn gar zu kochen, ist wahrlich nicht zu übertreffen!"

(Carlo Goldoni, "I Morbinosi")

 

Risotto, Suppe, Fleisch, Hammel, Ausgebackenes, mo'leche genannte, unmittelbar nach der Häutung gefangene Butterkrebse, Täubchen, Knoblauchsalami, Salat und süße Nachspeisen - die venezianische Küche des 18. Jahrhunderts, die Goldoni - mit Ausnahme des ein wenig kritischen Signor Andreetta - so enthusiastisch beschreiben lässt, klingt wie ein Auszug aus Pino Agostinis "Kulinarischen Streifzügen" durch die Lagunenstadt.

Die Sammlung von 110 Rezepten aus Venedig und dessen Umland versucht jahrhundertealte, durch die heutigen Lebensbedingungen und nicht zuletzt durch nach Spaghetti Bolognese und Pizza verlangende Touristenströme bedrohte Traditionen zu bewahren.

Die weitreichenden Handelsbeziehungen der Serenissima, die "Kultur der Villen" auf dem Festland und die Jahre der Fremdherrschaft ließen eine genussbetonte und raffinierte Esskultur entstehen, die aber stets auch lokale Produkte und die einfachen Gerichte der Hausmannskost schätzte.

Bereits im Mittelalter kamen einige Zubereitungsarten auf, die noch heute fester Bestandteil der venezianischen Kochkunst sind, so etwa die salsa peverada, eine Sauce aus Brot, Rindermark und reichlich Pfeffer. Neben dem gewinnbringenden Handel mit exotischen Gewürzen und Produkten hinterließ auch die Errichtung der prachtvollen Villen venezianischer Patrizier auf der terra ferma Spuren in den Kochtöpfen und Pfannen. Der Wandel in der Landwirtschaft, der diese nicht nur kunsthistorisch bedeutende Wiederentdeckung des Landlebens begleitete, ebnete mit der Einführung des Maisanbaus dem kulinarischen Siegeszug der Polenta den Weg. Und unter den Österreichern, die Venedig insgesamt rund sieben Jahrzehnte regierten, etablierte sich auch die Kartoffel, die Grundlage für köstliche gnocchi, endgültig auf den Speiseplänen der Stadt.

Wie pasta e fasioi, eine nahrhafte Suppe mit Nudeln und weißen Bohnen, die seit Jahrhunderten im gesamten Veneto geschätzt wird, sind die meisten der von Agostini ausgewählten Gerichte traditionelle Bestandteile der Küche Venedigs und seiner Umgebung. Doch auch "moderne Klassiker" wie das berühmte von Giuseppe Cipriani kreierte Carpaccio haben Eingang in den - bis auf einige anscheinend aus den frühen Tagen des Farbfilms stammende Luftbilder von Venedig - sehr ansprechend fotografierten Band gefunden.

Zu jedem der praktikablen Rezepte bietet der als Autorität auf dem Gebiet der Küche seiner Heimat anerkannte Autor auch Variationsmöglichkeiten und Weinempfehlungen.
Die venezianischen Dialektnamen der Speisen klingen allerdings selbst in den Ohren von Köchen mit Kenntnissen des Italienischen manchmal ein wenig rätselhaft. Hinter vovi a l’ocio de bò verbergen sich banale Spiegeleier, màsori a’la va’lesana sind Wildvögel nach Art der Lagunenbewohner, und fasioi co’le sego’le bezeichnen einen herzhaften Salat aus Zwiebeln und Bohnen.

Mit seinen Erläuterungen zur Entstehung der Gerichte sowie einem ausführlichen Vorwort zur Geschichte der Kochkunst Venedigs dokumentiert Pino Agostinis appetitanregendes Buch auch den interessanten kulturhistorischen Hintergrund eines besonderen Kapitels der italienischen Küche.

(sb; 08/2002)


Pino Agostini: "Kulinarische Streifzüge durch Venedig"
Orbis, 2002, 192 Seiten, zahlreiche, meist farbige Abbildungen.
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Noch ein Buchtipp:

Franz Winter: "Orfanelle. Ein Venedig-Roman"

Venedig, die "Serenissima", feiert ihren Abschied von der Weltbühne mit einem grandiosen Fest, in dem Luxus, Promiskuität, Geldgier, Spielsucht, Oper und Konzerte die Hauptrollen spielen. Antonio Vivaldi und das Mädchenorchester der Pietà ...
Die Folgen dieses immerwährenden Karnevals sind Hunderte von Kindern, die verkauft oder weggelegt werden - die Knaben als billige Arbeitskräfte auf das Festland, die Mädchen verschwinden anonym hinter den Säuglingsklappen der Waisenhäuser. Sie werden zu Krankenschwestern, Mägden oder Nonnen erzogen und viele von ihnen schiffsladungsweise als Siedlerbräute nach Übersee verkauft. Die Begabtesten aber werden zu Musikerinnen ausgebildet. Orchester entstehen, die von den berühmtesten Komponisten unterrichtet und mit eigens für sie geschaffenen Werken versorgt werden. So schreibt Antonio Vivaldi (1678-1741), der rothaarige Priester mit dem Liturgiedispens, seine brillantesten Oratorien und Konzerte (u.A. auch "Die vier Jahreszeiten") für die Waisenhausmädchen des Ospedale Santa Maria della Pietà, genannt Orfanelle, und feiert mit ihnen seine größten internationalen Triumphe.
Franz Winter verwebt meisterhaft das Leben des weltberühmten Komponisten mit dem Schicksal zweier Findlingsmädchen. (Braumüller)
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