(...) Am Eingang zum Restaurant drängten sich die Leute. Stau.
Eine lange Reihe Liebhaber von Fleisch- und Wurstwaren, gegrillten
Innereien und mariniertem Schweinefleisch, in großen,
dampfenden Töpfen. Die Dame Mado waltete im Freien ihres
Amtes, mit dem Rücken an die Umzäunung des Maquis
gelehnt, eine geblümte Schürze mit roter Borte, ein
bisschen Spucke - nicht schlimm, so schafft sie sich seit fast zehn
Jahren eine feste Kundschaft - und immer das auf die Dauer etwas
einfältig gewordene breite Lächeln, das sie wie eine
Balletttänzerin auf den Lippen trug. Um uns herum stopften die
Leute sich den Bauch voll. Das Fleisch, zart, heiß und fast
kross, dazu ein helles Bier mit sahnigem Schaum, alles verschwand tief,
abgrundtief in ihren Eingeweiden und entzog sich somit den
prüfenden Blicken der Ernährungswissenschaftler des
Welternährungsprogramms, die der Meinung waren, dass es eben
diesem Fleisch an Proteinen mangelte und dass es alles erdenklich
Schlechte einschließlich gefährlicher Mikroben
enthielt.
"Die sind selbst die Schweinigel. Iss nur, Schwester, das ist mal etwas
anderes als die Nahrung der Weißen!"
Mit ihren Fingern, die feingliedrig und lang waren, fast wie die Finger
eines Mannequins, rollte Parisette Kügelchen aus Maniokmehl.
Das heiße Fleisch verbrannte mir die Kehle. Unser Nachbar
verschlang seine Portion wie ein ausgehungerter Maquisard. Vor sich auf
den Tisch hatte er ein Transistorradio gestellt. Radio TiBrava sendete
die Nachrichten aus dem Inland. Nichts von Interesse, nicht einmal eine
kleine Syphilis Yamatokes für den hohlen Zahn. Also wirklich,
es war ein Land mit einem todlangweiligen Rundfunk!
Zu meiner großen Enttäuschung kam Sosthene nicht zu
unserer Verabredung. Schade, ich hätte ihn gern noch einmal
wiedergesehen.
Nach dem Essen haben wir einen Spaziergang durch die Straßen
der Unterstadt gemacht. Die Leute, an denen wir vorbeischlenderten,
hörten nicht auf, mich anzustarren, mich anzulächeln,
als wäre ich jemand aus ihrer Bekanntschaft, eine weit
entfernte Verwandte, die zu ihnen gekommen war, um ihrer Eitelkeit noch
gerade rechtzeitig neuen Glanz zu verleihen. Eine Händlerin,
bei der wir uns mit Bananen versorgten, wollte mir einen Kapaun als
Willkommensgeschenk überreichen. Womit hatte ich diese
Großzügigkeit verdient? Mit meiner
beiläufigen Bemerkung (wenigstens glaubte ich das)
über die schönen Federn des Viehs. Sie sind zu
gutmütig, die Leute hier. Von einer Freundlichkeit, dass es
dir den Atem verschlägt, dass du es nicht wagst, nach dem Weg
zu fragen: Sie bieten dir ihre Wohnstätten und
Ehemänner an, nur um sich dafür zu entschuldigen,
dass sie die Auskunft nicht geben können, die du von ihnen
erbittest.
Dort, wo die Hauptverkehrstraße der Stadt einen Bogen macht -
dieselbe, die zum Fluss hinabführt und die, an ihrer rechten
und linken Seite, in so bunt gemischter Reihenfolge wie nur
möglich staatliche Behörden, ein paar libanesische
Geschäfte sowie die verstaubten Räumlichkeiten der
Gendarmerie beherbergt -, dort stießen wir unverhofft auf Sam
das Mirakel. Er saß auf der Terrasse von "Zone Vier". So
hieß, nach meinem Geschmack etwas zu
mafiamäßig, eine ganz normale Pizzeria, die von
einem französischen Paar betrieben wurde, das aus der Bocage
Vendee stammte. Dies zumindest meine Vermutung.
"Sam, was machst du hier?"
Der arme Sam. Er saß in der prallen Sonne wie ein ungezogenes
Kind, das man in die Ecke gestellt hatte; vor ihm eine aufgetaute
Pizza, hastig in der Mikrowelle aufgewärmt. Ein Horror. Das
Tomatenmark war furztrocken und der Teig hart wie Leder, genau wie die
Zwiebelringe und der Mozzarella. Und als Krönung obendrauf
noch zwei verschrumpelte Oliven, die wie Eselsköttel aussahen.
Parisette zog einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm.
"Mein armer Sam, was machst du hier? Und wo ist Sosthene?"
Sam deutete mit dem Kopf ins Innere der Pizzeria. In einer Ecke des
klimatisierten Raums sahen wir einen bestens gelaunten Sosthene mit
Monsieur François am Tisch sitzen. Sie widmeten sich dem
Verzehr einer mit Hummer- und Avocadostücken verzierten
Salatplatte.
"Es ist doch wohl nicht möglich", fauchte Parisette. "Sie
haben gewagt, dir das anzutun? Aber das ist Apartheid. Das kann man
nicht einfach so hinnehmen!"
Was dann passierte, darüber zerriss man sich noch Monate
später die Mäuler in der kleinen
französischen Gemeinschaft, die untätig in dem Kaff
herumsaß und, wie es schien, Anstoß daran nahm,
dass eine Negerin die Frechheit besessen hatte, einen der Ihren
anzugreifen, selbst wenn viele insgeheim keine
übermäßige Sympathie für besagten
Monsieur François hegten, den Intriganten, Rüpel,
Spezialisten für Judasküsse
und was weiß ich noch alles. Meine Schwester kannte Monsieur
François nur aus meinen Erzählungen. Was Sosthene
anging, so hatte sie Zeit gehabt, sich ein Bild von ihm zu machen. Nun
sah es so aus, als bestätigte sich ausgerechnet ihre erste
Intuition. Und wie sie mir später erklärte, hatte sie
vor allem sein doppeltes Spiel empört, weniger die Hautfarbe
und der gesellschaftliche Status seines weißen Liebhabers.
Noch in der gleichen Sekunde, in der wir die garstige Tat entdeckten,
holte Parisette zu der einzig angemessenen Antwort aus. Sie ergriff das
Messer, das auf dem Tisch lag, schnitt die Pizza in zwei gleiche Teile
und warf sie quer durch den Raum hinüber zu den beiden
Turteltäuberichen. Und päng! Und platsch! Eine
Pizzahälfte Sosthene in die Schnauze und die andere Tata Yoyo
aufs Maul! Ehe sie noch begriffen hatten, was auf sie zugeflogen kam.
Ich schrie jedes Mal "yes!" Die zu Hilfe eilende Wirtin sah sich
seitens Parisette, die fuchsteufelswild war, der Gefahr einer
gebrochenen Magenwand ausgesetzt. Sie trat also den Rückzug an
und holte ihren Gefährten, einen Kraftprotz, der
Karatebewegungen ins Leere simulierte, mehr um seine Kunden zu
beruhigen, als meine gefährliche Schwester das
Fürchten zu lehren. Wie ein Senator, gemessenen Schritts
verließ sie das Lokal und schleuderte das Messer auf den
Bürgersteig. Dann hielt sie ein Motorradtaxi an, das gerade
vorbeikam. Wir schwangen uns zu zweit auf die Maschine, und ausgelassen
wie zwei freche Gören sind wir losgefahren zurück
nach Maccarthy Hill.
Als wir an
jenem Abend bei Harry O. eintrafen, lief die Fete bereits auf vollen
Touren. Wir passierten das Eingangstor und gelangten durch einen langen
Gang, der in einen rautenförmigen, gänzlich mit Rasen
bewachsenen Hof mündete, in das Innere der Residenz. Auf eine
Pappe, die an der Wand der Eingangsschleuse hing, hatte eine geschickte
Hand "Vorsicht, frisch gestrichen" gemalt.
Ein sportlicher Vierzigjähriger, der sich in einen
beige-grauen Anzug gezwängt hatte, der Herr des Hauses, sowie
seine Ehegattin, eine junge Frau im Chanelkostüm, mit
ausladendem Busen und ausgeprägten Hüften,
begrüßten die Gäste am Ende des Korridors.
"Willkommen, willkommen, seien Sie willkommen! Danke, dass Sie unserer
Einladung gefolgt sind", sprach uns die Frau an.
"Treten Sie ein, treten Sie ein!", forderte uns der Ehemann auf, bat
dann aber einen jungen Mann, er möge sich um uns
kümmern. "Ich leiste Ihnen gleich Gesellschaft. Bring die
jungen Damen herein, ich komme sofort."
Der junge Mann trat zu uns. Ungefähr dreißig Jahr
alt, sehr helle Haut, erinnerte er mich (die Dreadlocks allerdings
weniger) an den Albino bei der roten Ampel, den ich dabei beobachtet
hatte, wie er seine geheimnisvollen Schutzverträge
meistbietend versteigerte, an eben dem Abend, als ich in TiBrava
angekommen war. Er bedeutete uns, ihm zu folgen, und führte
uns an einen Tisch, der etwas abseits von der Mehrzahl der
Gäste stand. Dort saßen bereits drei Paare. Die
Männer sahen aus wie Handelsvertreter, die nach einem harten
Tag mit lauter Gewaltmärschen am Ende ihrer Kräfte
waren, während ihre Begleiterinnen - undurchschaubare Geishas,
die in bunten Bubus steckten - uns aus den Augenwinkeln beobachteten
und unser Eindringen in ihren intimen Kreis offenbar entschieden
missbilligten. Einer der Vertreter, ein pausbäckiger, feister
Mann, jonglierte dauernd mit seinen drei Handys herum, die er
ostentativ vor sich auf den Tisch gelegt hatte, als erwartete er jede
Sekunde den Anruf, der den Krieg in Liberia ein für alle Mal
beendete und die Flüchtlinge von Tewu House in ihre Heimat
zurückschickte.
Etwas von uns entfernt standen oder saßen Gäste in
Grüppchen unter den Bäumen und lachten aus vollem
Halse. Ein merkwürdiges Bild. Die Männer rauchten,
gingen gut gelaunt von einer Runde zur anderen und
begrüßten einander. Die Frauen hingegen zierten sich
in ihren Sesseln. Die Gläser in der Hand, saßen sie
steif wie Porzellanfiguren da, wie kostbare Museumsstücke, wie
die Sabinerinnen antiker Zeiten, die auf eine Entführung
warten. An den Bäumen hingen fluoreszierende
Glühbirnen und ließen das Herumgeprotze mit Klunkern
und übertriebenem Make-up noch unwirklicher erscheinen. Alle
teuren Markenschuhe: Arche, Weston, Church, Sebago, Bowen, Lobb,
Fenestrier, Paraboot; ebenso Armani-Anzüge der neuesten
Kollektion, neueste ... o, la la, die Blindgänger! Die
gottverdammten Blindgänger!
Auffällig war die Diskrepanz zwischen der Leichtigkeit, mit
welcher die Männer plauderten, und dem Schweigen, der geradezu
empörenden Zurückhaltung ihrer Begleiterinnen oder
Mätressen. Kleinbürger mit bourgeoisen Tendenzen,
ausgesprochen mittelständische Intelligenz, Neureiche, denen
Luxus mehr am Herzen lag als Waffen für den Widerstand. Und
der Machismo im Festgewand. So sind hier die Leute, heißt es
im Chanson von Jacques Brel, wenn sie schrecklich viel reden, wollen
sie sich schrecklich wichtig machen. Bluff,
Gelehrsamkeit im Sonderangebot. Das zahlt sich aus, das zahlt sich aus.
Die erfolglosen Studienjahre an der Uni, in den Pausen Sandwichs mit
Ölsardinen hinunterwürgen, deren Haltbarkeitsdatum
überschritten ist, dann die Siesta im heißen
Audimax, das sich einen Schlafsaal verwandelt, wo Radau, Fürze
und die von den Achselhöhlen aufsteigenden Gerüche
einen schalen Nachgeschmack von Inkonsequenz hinterlassen. All das
formt die Jugend, kann sie aber auch in die Orientierungslosigkeit
stoßen, oder eine unendliche Bedeutungslosigkeit, die sich
für immer auf ihre Seele legt, bringt sie dabei um den
Verstand.
"Oha, was ist das hier für ein Zirkus?", flüsterte
ich Parisette ins Ohr.
"Weitaus komischer als ein Zirkus",
antwortete
sie. "Willkommen bei den Intelligenzbestien TiBravas. Bei
den eingebildeten Typen, die sich für den Nabel der Welt
halten."
"Ja, aber die Welt hat keinen Nabel, wie Che
sagte."
(Aus
"Cola Cola Jazz" von Kangni Alem.
Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke.)
Heloise
ist die Tochter einer exzentrischen Französin und eines
Afrikaners. Heloises Mutter weigert sich, die Fragen des
Mädchens nach dem Vater
zu beantworten, bis eines Tages eine
Einladung aus Afrika kommt und Heloise sich auf den Weg macht, um den
Vater zu treffen. Doch der Vater glänzt durch Abwesenheit;
statt seiner begegnet Heloise ihren zahlreichen Verwandten und lernt
vor allem ihre Stiefschwester Parisette kennen und lieben. Parisette,
die sich illegal eine Rente für Kriegerwitwen verschaffen
will, wird bei der Auszahlung von einem hohen Militär
vergewaltigt und schlägt ihn zusammen. Aus Rache setzt dieser
das väterliche Anwesen in Brand, unmittelbar, bevor die beiden
Halbschwestern dort endlich ihren Vater treffen sollen. Die Villa
fliegt mit dem Brandstifter in die Luft - der Vater, ein
Oppositioneller, hatte dort ein großes Waffenarsenal
gelagert. Er erscheint gerade noch rechtzeitig um die Schwestern zu
retten und nun endlich erzählt er Heloise seine Geschichte.
Ein Buch über Gewalt, Sexualität und die
Möglichkeit und Unmöglichkeit von Liebe.
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So heißen in Westafrika kleine Restaurants oder auch Straßenkneipen.