Alexandre Dumas: "Das große Wörterbuch der Kochkunst"

Eier mit Taubenblut

Alexandre Dumas’ Enzyklopädie der Kochkunst liegt erstmals in deutscher Übersetzung vor


Alexandre Dumas der Ältere ist hierzulande vor allem als Schöpfer von Romanen wie "Der Graf von Monte Christo" oder "Die drei Musketiere" bekannt. Eine Neuerscheinung des Mandelbaum Verlages präsentiert den überaus produktiven französischen Romancier und Dramatiker nun auch als Autor eines kulinarischen Klassikers.

Zwei Jahre vor seinem Tod im Jahre 1870 wagte sich Dumas noch einmal an eine große Aufgabe heran, die sein gewaltiges literarisches Gesamtwerk krönen sollte. Ein Buch wollte er schaffen, das "von Leuten mit Geschmack gelesen und von erfahrenen Meistern umgesetzt" werden würde, alle klassischen Rezepte sammeln, denen "auf den besten Tischen die Bürgerrechte verliehen worden sind", als passionierter Jäger "Neues für die Zubereitung von Wachteln und Fettammern" erfinden und all dies um unbekannte Gerichte ergänzen, die er auf seinen zahlreichen Reisen durch alle Welt kennen gelernt hatte. "Die unerhörtesten und sprühendsten Anekdoten zur Küche der Völker sowie zu diesen Völkern selbst sollten hier Eingang finden und ich würde die Anatomie aller essbaren Tiere und Pflanzen besprechen, von denen es sich zu sprechen auszahlt. So würde mein Buch mit Wissenswertem und Esprit aufwarten und dennoch die Praktiker unter den Köchen nicht allzu sehr abschrecken."

Mit seinem posthum erschienenen "Grand Dictionnaire de Cuisine" erfüllte Dumas seine eigenen hohen Ansprüche aufs Trefflichste. Obwohl das umfangreiche Werk bis nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend ignoriert wurde, zählt es heute zu den Standardwerken der französischen Kochkunst. Von A wie Aal bis Z wie Zwiebel rückt der Literat dem beinahe uferlosen Themengebiet alphabetisch zu Leibe und erfreut den Leser mit einer Fülle von Rezepten, Geschichten, eigenen Erlebnissen und trockenem Humor.

Seine Art der Wissensvermittlung als "Waren- und Produktkunde" zu bezeichnen, täte den amüsanten Betrachtungen Dumas’ grobes Unrecht. So könnte man mit manchem von ihm beschriebenen Objekt kulinarischer Begierde fast Mitleid bekommen: "Die Auster ist ein von der Natur stiefmütterlich behandeltes Weichtier. Sie hat keinen Kopf, also weder Augen noch Ohren noch Geruchssinn. (...) Auch fehlt ihr jegliches Organ zur Fortbewegung; so ist Schlaf ihr einziger Sport, Fressen ihre einzige Freude." Doch dann, nachdem uns der Autor elegant von der Ächtung des Aristid zur Ausbeutung der Meere geführt und uns nebenbei allerlei Fakten zu Anatomie, Vorkommen, Fangtechniken, Wertschätzung über die Jahrtausende und den Empörung auslösenden hohen Marktpreisen im Frankreich des 19. Jahrhunderts vermittelt hat, folgen köstliche Rezepte, die den Feinschmecker schnell wieder jegliches Mitgefühl vergessen lassen.

Getreu seinem Vorsatz, über alles Essbare zu berichten, finden sich in Dumas’ "Großem Wörterbuch der Kochkunst" auch einige in unseren Breiten unbekannte Gerichte wie Achiar, eine extrem scharfe Konfitüre, die von den Holländern aus Ost-Indien importiert wurde und dem Autor "nur für phlegmatische Naturen und für Greise" geeignet scheint, Beschreibungen von als Delikatessen geschätzten exotischen Tieren oder Rezepte für Singvögel, deren Jagd und Genuss heute heftig umstritten ist. Bei Dumas allerdings genießt die Lerche noch "den doppelten Vorzug, von Schlemmern geliebt und von Dichtern besungen zu werden", auf die berühmten Shakespeare-Verse aus "Romeo und Julia" folgt prompt eine Kochanleitung für "Lerchen in der Kasserolle nach der Methode von Eleazar Blaze".

Jene Leser, die der Zubereitung von poetischem Federvieh, "Eiern in Taubenblut" oder dem Kochen im Allgemeinen nichts abgewinnen können, werden sich zumindest an den Anekdoten erfreuen, mit denen Dumas seine Rezepte würzt. Zum Truthahn weiß er etwa Folgendes zu berichten: "Rot erregt den Zorn des Truthahns, wie beim Stier. Er stürzt sich auf denjenigen, der diese Farbe trägt, und attackiert ihn mit Schnabelhieben. Aus diesem Grunde verunfallte der ehrwürdige Boileau. Er war noch ein Kind und spielte in einem Hof, wo sich, unter anderem Geflügel, auch ein Truthahn aufhielt. Plötzlich fällt das Kind, sein Jäckchen verschiebt sich und der Truthahn, der die verhasste Farbe zu Gesicht bekommt, stürzt sich auf den Jungen und verletzt den kleinen Nicolas mit seinem Schnabel so sehr, dass es Boileau fortan versagt war, erotische Dichtung zu schreiben. Stattdessen wurde er Satiriker und Frauenfeind."

Gleich einem modernen Kochbuchautor verrät Dumas auch kleine Küchengeheimnisse wie zum Beispiel einen Trick, der einem Karpfen garantiert den Schlammgeruch auszutreiben verspricht: "Der frisch gefangene Fisch soll ein Glas Essig schlucken. Sogleich wird eine Art Schweißfilm den gesamten Körper überziehen, den man beim Abschuppen entfernen kann. Wenn der Fisch tot ist, schließt sich sein Fleisch und wird ebenso gut schmecken, als hätte man ihn aus klarem Wasser herausgefischt." Das genaue Prozedere des Essigeinflößens lässt der Dichter dabei allerdings leider im Dunkeln.

Ein wenig rätselhaft für den modernen Hobbykoch bleibt trotz eines Glossars oft auch die tatsächliche Umsetzung der Rezepte, doch sollte man die unklaren Mengenangaben und Zubereitungsvorgänge oder das Fehlen mancher Produkte auf heutigen Märkten am besten zum Anlass nehmen, seine eigene Fantasie und Kreativität spielen zu lassen.

Diese erste deutsche Übersetzung von Dumas’ Werk will "weder eine kritische Ausgabe noch ein rein kulturhistorisches Dokument (...), sondern ein Buch, das in jeder Küche seinen berechtigten Platz hat", sein und verzichtet daher auf jene Teile der weitgehend unlektoriert gebliebenen Originalausgabe, die den Herausgebern redundant, heute nicht mehr praktikabel oder, wie der vor der Reblauskatastrophe entstandene Abschnitt über den Weinbau, überholt erschienen. Das Fehlen dieser Kapitel sowie eines Briefwechsels zwischen Alexandre Dumas und Jules Janin, von Menüs großer Empfänge und anderer Anhänge mag zwar unter dem Aspekt der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Werkes zu bedauern sein, sollte aber nicht den Verdienst des kleinen österreichischen Verlages schmälern, Dumas’ kulinarische Enzyklopädie endlich dem deutschsprachigen Publikum ausführlich zugänglich gemacht zu haben.

Denn gleichgültig, ob man nun primär wissenschaftlich-historische oder praktisch-kulinarische Interessen hegt, oder aber einfach nur Schmökern, Staunen und Schmunzeln möchte und ein ungewöhnliches Lesevergnügen sucht, die drei in einem hübschen Schuber verpackten Bände des "Großen Wörterbuchs der Kochkunst" bieten in jedem Fall eine überaus lohnende Lektüre.

 (sb; 10/2002)


Alexandre Dumas: "Das große Wörterbuch der Kochkunst. Band I-III"
Deutsche Erstübersetzung, aus dem Französischen von Veronika Baiculescu.
Mit Illustrationen von Linda Wolfsgruber.
Mandelbaum, 2002. 824 Seiten. 3 Bände im Schuber.
ISBN 3-85476-068-X.
ca. EUR 59,80.
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