Florian Harms, Lutz Jäkel: "Kulinarisches Arabien"
Kulinarische
Schätze aus 1001 Nacht
Ein prächtiger Streifzug durch die Küchen Arabiens
"Nafsak
heluu fi l-akl!" "Deine Seele ist süß im Essen!"
(Ägyptisches Sprichwort)
Verklärte man früher den Orient gerne zu einer
glitzernden Märchenwelt, so wird diese Region heute in den
westlichen Medien und Köpfen vor allem mit
Kopftüchern und Bomben, mit Fundamentalismus und Fanatismus in
Verbindung gebracht.
Dass auch, oder vielleicht gerade ein Buch über etwas so
universell Verbindendes wie die Freude am kulinarischen Genuss zum
Verstehen und somit Verständnis einer anderen Kultur beitragen
kann und will, beweist ein überaus empfehlenswerter
Text-Bildband von Florian Harms und Lutz Jäkel. Die beiden
ausgewiesenen Orient-Kenner präsentieren in ihrem
prächtigen "Kulinarischen Arabien" weit mehr als eine
gelungene Rezeptsammlung, sie bieten auch einen spannenden Einblick in
einen bedeutenden Aspekt des Alltagslebens und erschließen so
eine Region, die nicht nur politisch und sozial, sondern auch
kulinarisch komplex und vielfältig ist.
Essen war und ist ein unverzichtbares Gemeinschaftserlebnis
für die Menschen im arabischen Raum, die Gastfreundschaft
zählt zu ihren wichtigsten und dauerhaftesten
gesellschaftlichen Prinzipien. Schon in vorislamischer Zeit war der
Schutz von Leib und Leben, die Versorgung mit Nahrung und die herzliche
Anteilnahme am Leben des Gastes nicht nur heilige Pflicht, sondern auch
Ehre. Reisen oder Handel wären undenkbar gewesen ohne diese
soziale Errungenschaft, die durch den Islam eine zusätzliche
religiöse Komponente erlangte.
In der arabischen Küche verbinden sich beduinische Traditionen
mit den kulinarischen Meisterleistungen zahlreicher Hochkulturen. Die
einfache, meist auf Datteln, Milch und Fleisch von Schafen und Kamelen
beschränkte Küche der Beduinen oder der Berber
Nordafrikas vermischte sich im Laufe der muslimischen Expansion mit der
von indischen, römischen und griechischen Einflüssen
geprägten Küche der Perser, die Osmanen bereicherten
die persisch-levantinische Esskultur um die köstliche
türkische Komponente und auch Gewürze aus Fernost
hinterließen ihre dauerhaften Spuren auf den Tellern Arabiens.
Dennoch hat jedes Land seine eigenen kulinarischen Geheimnisse und aus
regionaltypischen Zutaten gewachsenen Spezialitäten. Harms und
Jäkel haben acht Staaten Arabiens ausgewählt und 88
Rezepte gesammelt, die aus dem überlieferten Fundus von
Hausfrauen, aus den brodelnden Töpfen und zischenden Pfannen
der Garküchen auf den Straßen, aber auch aus dem
Repertoire von internationalen Spitzenköchen exklusiver
Restaurants und Hotels stammen.
Die Küche Marokkos repräsentieren etwa eine
schmackhafte Suppe aus Kichererbsen, Fleisch, Gemüse,
Kräutern und Gewürzen, Lamm-Tadschiin
mit Pflaumen und Mandeln oder Fisch- Tadschiin aus
Meeraal mit Zwiebeln und Rosinen, beides aus dem ebenfalls Tadschiin
genannten Gartopf aus Lehm. Als landestypischer Nachtisch empfehlen
sich süßes Couscous,
Mandel-Pastilla mit Vanillecreme oder Orangensalat mit Zimt,
dazu gibt es
natürlich grünen Tee mit Minze,
den man in der Hütte eines Ziegenhirten im Hohen Atlas ebenso
wie im Nobelhotel in Casablanca genießt.
Ein für Tunesien typisches Menü könnte zum
Beispiel aus einem Salat Meschwiiya mit
über offenem Feuer oder Holzkohle gegrillten Paprika und
Tomaten als Vorspeise bestehen, gefolgt von einem Oudscha
genannten würzigen Omelett vom "tunesischen Johann Lafer"
Rafik Tlatli - die beiden populären Spitzenköche,
Restaurantbesitzer und Rundfunkstars schauen einander
tatsächlich frappierend ähnlich - oder auch Lablabi,
einem aus einer einfachen Garküche in Tunis stammenden Rezept
für ein schmackhaftes Gericht aus Kichererbsen. Maqruud
wäre das Dessert der Wahl, konkurrieren doch in der Stadt
Kairouan zahlreiche Konditoreien um das beste Früchtebrot mit
Datteln.
Mit Gerichten wie Mubattan, mit Rindsfaschiertem
gefüllte Kartoffeln, oder Couscous mit
Lamm und Kichererbsen ist die Küche Lybiens auch heute noch
stark von der bodenständigen kulinarischen Tradition der
Berber beeinflusst. Das Nationalgericht ist Basiin,
ein zu einer für mehrere Personen gedachten Halbkugel
geformter Mehlbrei. Dessen einem zugedachte Teil sollte, will man
authentisch essen, mit etwas Zitrone beträufelt, mit
Kartoffel, Fleisch, Ei, Chili und Sauce vermengt und
schließlich mit der rechten Hand - die linke wird in der
arabischen Welt niemals zum Essen verwendet - fest zu einer
mundgerechten Kugel geknetet werden. Oder man hält sich doch
lieber an Ftaat, ein Berber-Gericht, das trotz der
traditionellen Zubereitung mit Hammel- oder Kamelfleisch laut Meinung
der Autoren dem europäischen Gaumen etwas vertrauter anmutet
als die vielleicht ein wenig bedrohliche Mehlkugel aus dem Lande
Gaddafis.
In Ägypten bleibt das kulinarische Erbe der Pharaonen in
Rezepten mit teilweise Jahrtausende alter Tradition lebendig. Man kann
sich an einer Linsensuppe mit Meeresfrüchten von Abdel Hamid
Badawy, dem in Italien ausgebildeten Chefkoch des Marriott Hotel Kairo,
versuchen, oder an Kuschari, dem Hauptgericht
ägyptischer Garküchen, aus Reis, Nudeln, Linsen und
frittierten Zwiebeln, das mit Tomatensauce und Essig-Knoblauchsauce
gegessen wird. Als Vor- oder Hauptspeise wird das Bohnengericht Fuul
Ramadaan gereicht, aber auch Leber mit Zitronensaft,
Okraschoten mit Lamm oder Fisch auf Luxor-Art, also gegrillt auf einem
Linsenbett serviert, kann man sich munden lassen. Begleitet werden die
Spezialitäten gerne vom beliebten Milchgetränk Sahlab,
das von den Osmanen zusammen mit der Wasserpfeife und der
Kaffeehauskultur in Ägypten eingeführt wurde.
Der reiche Golfstaat Dubai vereint auch in seiner
arabisch-europäischen Fusion-Küche auf faszinierende
Weise Tradition und Moderne. Im Luxushotel Burj al-Arab etwa, wo
tatsächlich alles Gold ist, was glänzt, serviert John
Wood, der aus England stammende Herr über die 194
Köche dieser teuersten Herberge der Welt, traditionelle
Linsensuppe oder den legendenumwobenen Brot-Milch-Auflauf Umm
Ali, aber auch marinierte und gegrillte Riesengarnelen mit
Safran. Der gebürtige Kieler Ingo Maaß, Chefkoch des
JW Marriott Hotel Dubai, verwöhnt seine Gäste mit
extravaganten Fusion-Kreationen wie Karottensuppe mit Ra's
al-Hanuut und Wachtelragout oder Lammfilet mit
Kaffeebohnen-Kardamom-Kruste auf Auberginenmus mit Granatapfelsauce; im
exklusiven Wüstenresort zaubert ein aus Sri Lanka stammender
Küchenmeister ein mit nur in den Sanddünen wachsenden
Ghaff-Blättern gefülltes Hühnchen und Muhallabiiya,
einen duftenden Reismehlpudding mit Rosenwasser.
In der Küche Jordaniens und Palästinas treffen
levantinische und "ur-arabische" Kochkultur aufeinander. Das
Fleischgericht Kebse haben die Beduinen auf der
arabischen Halbinsel schon lange vor dem Eindringen von
römischen, indischen, persischen und osmanischen kulinarischen
Einflüssen genossen, Mudschaddara, ein
traditionelles Arme-Leute-Essen aus Linsen, Reis, Bulgur und Zwiebel,
gilt gar als das biblische Linsengericht, für das der hungrige
Esau seinem Bruder Jakob die Rechte des Erstgeborenen
überließ. Zum Nachkochen reizen aber auch Sayadiiye,
Fisch mit Sesamsauce und eine traditionelle sowie eine Fusion-Variante
des jordanischen Klassikers Mansaf, einem mit
Joghurt zubereiteten Lamm.
Abwechslungsreich ist die Esskultur zwischen Damaskus und Aleppo. Aus
Syrien haben die Autoren Rezepte für die einer Pizza nicht
unähnliche Sfiiha und Kebaab
mit Kirschsirup, für den "Reisenden Juden" (Jahuudi
Musaafir) aus Kohl, Auberginen und Lammhackfleisch und den
"Scheich unter den Gefüllten" (Scheich al-Mahschi),
gefüllte Zucchini mit Joghurtsauce, für ein an die
andalusischen Traditionen in Marokko erinnernden
süß-salzigen Quitten-Lammeintopf und Nasali,
einen erfrischenden, von den Osmanen beeinflussten Nachtisch aus
gestocktem Orangensirup auf Milchpudding, mitgebracht.
Der Libanon schließlich ist für seine Vorspeisen wie
Tabuule (Petersiliensalat), Mutabbal
(Auberginenpüree), Käseröllchen, Hammel-
oder Lammtartar, Shrimps-Kroketten oder Auberginen mit
Olivenölsauce berühmt, hat aber auch raffinierte, oft
scharfe Fischgerichte, so manchen edlen Tropfen Wein und den jungen
Starkoch Robert Hanna Khayat zu bieten, der als arabische Antwort auf
Jamie
Oliver gilt und wagemutig Brot auf Brot serviert - einfach ein
halbes Fladenbrot mit Topfen, Salz, einer Hand voll
Bruchstücke von frittiertem Fladenbrot und einem Schuss
Olivenöl
belegen, einrollen und die unterschiedlichen
Brotaromen genießen.
Auch zwei "unmögliche Gerichte", die für
europäische Köche doch ein wenig zu umfangreich und
langwierig erscheinen, werden nichtsdestotrotz beschrieben: An
gegrilltem Lamm auf Reis und Nüssen, wie man es in der
Golfregion als Festtagsgericht serviert, kocht man einen ganzen Tag
lang; die Zubereitung von eingelegtem Rindfleisch (zu den Zutaten
zählt lakonisch "eine Kuh") nimmt gar 10 Tage in Anspruch,
bevor sich "viele Personen" über diese Delikatesse aus Marokko
hermachen können.
Alle anderen Rezepte aber sollten sich relativ problemlos nachkochen
lassen. Das arabische Bratfett Samna bzw. Smen
(Butterschmalz aus Schafs- oder Ziegenmilch) und das Fett des
Fettschwanzschafes (Alya) wurden zum Beispiel durch
Margarine, zerlassene Butter oder Öl ersetzt, die Herstellung
vieler für die arabische Küche typischen
Gewürzmischungen wird genau beschreiben und auch die meisten
authentischen Zutaten und Kochgeräte sollten zumindest in
größeren Städten ohne großen
Aufwand in Supermärkten und orientalischen Läden oder
auch über eine im Anhang angeführte Quelle aus dem
Internet erhältlich sein.
Was den Band aus der Reihe "Bibliothek des Orients" aber so deutlich
von gewöhnlichen Kochbüchern abhebt, sind die mit
großformatigen Bildern der Naturschönheiten, der
pulsierenden Städte und des Alltags der Menschen im arabischen
Raum illustrierten Essays, die den Rezepten vorangestellt sind. Mit den
beiden Journalisten und Islamwissenschaftern Florian Harms und Lutz
Jäkel, die mit Arabien durch zahlreiche Reisen sowie Studien-
und Arbeitsaufenthalte bestens vertraut sind, haben sich zwei Autoren
gefunden, die kundig, respektvoll und auch mit Humor kulinarische
Gebräuche und Benimmregeln beschreiben, Anekdoten
erzählen, berühmte Gastgeber und Gäste
vorstellen und Wissenswertes zu Landeskunde, Geschichte, Politik und
sozialem Gefüge vermitteln.
Auf der faszinierenden Reise über alte Handelswege, zu
großen Festen, dem bunten Treiben der Märkte,
in
Beduinenzelte, Luxushotels und geruhsame Kaffeehäuser wird
aber nicht auf die moderne Welt und die sich auch in Arabien
verändernden Lebens- und Essgewohnheiten vergessen. So trinkt
die schicke Jugend Beiruts
ihren Kaffee lieber aus zeitgeistigen Plastikbechern als im
traditionellen Café, auch auf Hamburger will man nicht
verzichten, isst sich aber statt in internationalen Fast Food-Lokalen
mit verbotenem Schweinefleisch und ungewolltem Geldfluss in Richtung
Amerika lieber mit politisch, religiös und geschmacklich
korrekten Burgern der ägyptischen Kette Mo'men satt.
Mit "Kulinarisches Arabien" ist den beiden Autoren ein anregender Band
zum Blättern, Lesen und natürlich Nachkochen
gelungen, der jedem am Orient Interessierten und allen Freunden guten
Essens Freude bereiten wird. Ein wundervolles Buch, so opulent,
vielfältig und sinnlich wie die arabische Küche
selbst.
(sb; 12/2004)
Florian Harms, Lutz Jäkel:
"Kulinarisches
Arabien"
Edition Christian Brandstätter, 2004. 272 Seiten, mit ca. 260
Farbabbildungen.
ISBN 3-85498-335-2.
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Buchempfehlung:
Silvena
Rowe: "Granatapfel,
Sumach und Zitrusduft"
Die
schönsten Rezepte aus der orientalischen Küche
Dieses Buch nimmt Sie mit auf eine Reise durch die Geschichte und
Esskultur des
östlichen Mittelmeerraums. Es präsentiert die
schönsten klassischen Gerichte
der nahöstlichen Küche - oft in
überraschenden Variationen
- und verrät viele kulinarische Geheimnisse.
Eine
Küche, die perfekt zum heutigen Lebensstil passt: Sie ist
leicht und
gesund, überrascht durch Vielfalt und verführerische
Aromen und eignet sich
ideal zum unkomplizierten gemeinsamen Genießen wie auch zum
Bewirten von
Gästen. Den klassischen Rezepten verleiht die Autorin, die
selbst aus der
Region stammt, gekonnt das gewisse zeitgemäße Etwas.
Dabei tritt sie in die
Fußstapfen der großen Köche des alten osmanischen
Reiches, die es meisterlich
verstanden, Süßes und Saures, Frisches und
Getrocknetes, Honig
und Zimt,
Safran und Sumach, Rosen- und Orangenblütenwasser miteinander
zu verbinden.
Die stimmungsvollen Fotos und die kleinen Geschichten zu
Ländern und Leuten
lassen Sie in die geheimnisvolle Welt des Orients eintauchen.
Silvena
Rowe wurde in der alten Stadt Plovdiv, fünfhundert Kilometer
von der
einstigen osmanischen Hauptstadt Konstantinopel
entfernt, geboren und verbrachte dort ihre Kindheit. Ihr
türkischer Vater
weckte die Kochleidenschaft in ihr und gab - wie schon Generationen vor
ihm -
die Traditionen der osmanischen Küche an sie weiter. (AT Verlag)
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