Leseprobe
aus dem Roman "Das Lachen
des Geckos" von José Eduardo Agualusa:
Der Fremde
Beim Abendessen studiert Félix Ventura die
Zeitungen, blättert sie aufmerksam durch, und wenn ihn ein
Artikel
interessiert, streicht er ihn in Lila mit einem
Füllfederhalter an. Nach dem
Essen schneidet er ihn sorgfältig aus und verstaut ihn in
einem Ordner. In
einem der Regale der Bibliothek stehen Dutzende von diesen Ordnern. In
einem
anderen schlummern Hunderte von Videokassetten. Félix nimmt
gerne
Nachrichtensendungen auf, wichtige politische Ereignisse, alles, was
ihm eines
Tages nützlich sein kann. Die Kassetten sind alphabetisch
sortiert, nach den
Namen der Persönlichkeit oder dem Ereignis, um das es geht.
Sein Abendessen
beschränkt sich auf ein Schüsselchen Caldo
Verde, eine Spezialität
der alten Esperança, einen Pfefferminztee, eine dicke
Scheibe Papaya mit
Zitronensaft
und einem Tropfen Portwein.
In seinem Zimmer, vor dem
Zubettgehen,
zieht er sich seinen Pyjama so umständlich an, dass ich jedes
Mal warte, ob er
sich nicht auch noch eine dunkle Krawatte um den Hals bindet.
An diesem Abend störte ihn der schrille Ton der
Türklingel bei der Suppe.
Das
ärgerte ihn. Er faltete die Zeitung zusammen, stand
mühsam auf und ging öffnen.
Ich sah, wie ein hoch gewachsener Mann hereinkam, distinguiert, mit
Adlernase,
auffälligen Gesichtszügen und einem üppigen,
mit Pomade gezwirbelten
Schnurrbart, wie man ihn schon seit über einem Jahrhundert
nicht mehr trägt.
Seine Augen waren klein und glänzend und schienen sofort von
allem Besitz zu
ergreifen. Er trug einen blauen, altmodisch geschnittenen Anzug, der
ihm
allerdings gut stand, und hielt in der linken Hand eine lederne
Aktentasche. Das
Wohnzimmer verdunkelte sich. Als sei die Nacht,
oder etwas, das noch
düsterer
war, mit ihm hereingekommen. Er zog eine Visitenkarte hervor und las
laut:
"Félix Ventura. Schenken Sie Ihren Kindern eine bessere
Vergangenheit."
Er lachte. Ein trauriges Lachen, aber sympathisch: "Sie selbst, nehme
ich
an? Ein Freund gab mir diese Karte."
Sein Akzent ließ nicht erkennen, woher er kam. Der Mann
sprach sanft und mit
einer Reihe unterschiedlicher Betonungen, einer leicht slawisch
anmutenden Härte,
gewürzt vom Honig des brasilianischen Portugiesisch.
Félix Ventura stutzte.
"Wer sind Sie?"
Der Fremde schloss die Tür, durchquerte das Wohnzimmer, die
Hände auf dem Rücken,
und hielt für einen längeren Moment vor dem
schönen Ölgemälde, einem Porträt
von Frederick Douglass, inne. Schließlich
ließ er sich auf einen der
Sessel nieder und lud den Albino mit eleganter Geste ein, es ihm
gleichzutun.
Als sei er der Herr im Haus. Gemeinsame Freunde, sagte er, und seine
Stimme
wurde noch sanfter, hätten ihm diese Adresse gegeben. Sie
hätten ihm von einem
Mann berichtet, der mit Erinnerungen handelt, Vergangenheit verkauft,
heimlich,
wie andere Kokain
schmuggelten. Félix musterte ihn misstrauisch. Alles an dem
Fremden irritierte ihn - seine sanfte und doch bestimmte Art, der
archaische
Schnurrbart. Er nahm im majestätischen Korbstuhl in der
gegenüberliegenden
Ecke des Zimmers Platz, als befürchtete er, von der Sanftheit
des anderen
kontaminiert zu werden. (...)
José
Eduardo
Agualusa: "Das Lachen des
Geckos"
(Originaltitel "O Vendedor de Passados")
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler.
A1 Verlag, 2008. 184 Seiten.
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Félix
Ventura geht einer ungewöhnlichen Tätigkeit nach: Er
handelt mit erfundenen
Vergangenheiten. Seine Kunden sind Minister, Landbesitzer und
Generäle,
Menschen der neuen angolanischen Oberschicht. Sie alle blicken in eine
gesicherte Zukunft, was ihnen jedoch fehlt, ist eine glanzvolle
Vergangenheit.
Ventura erstellt neue Stammbäume für sie, beliefert
sie mit Fotografien von
Großeltern und Urgroßeltern und stattet sie mit
einem makellosen Vorleben aus.
Doch dann kommt ein Fremder und beauftragt Ventura, ihm nicht nur eine
neue
Vergangenheit, sondern eine völlig neue angolanische
Identität zu verschaffen.
Venturas Schöpfung auf den Namen José Buchmann
beginnt den Fremden so sehr zu
fesseln, dass er sich zunehmend die gefälschten
Identität übernimmt und sich
auf die Suche nach den Figuren seiner gekauften Vita begibt. Agualusas
Roman ist
eine spannende und poetische Reise durch die wechselnden Landschaften
von
Erinnerung und Geschichte, in eine Welt, in der die Wahrheit sich von
einem
Moment zum anderen veränderte. (A1 Verlag)
José Eduardo Agualusa, geboren 1960 in Huambo/Angola,
studierte
Agrarwissenschaft und Forstwirtschaft in
Lissabon. Er
veröffentlichte Gedichte,
Erzählungen und Romane, die in zahlreiche Sprachen
übersetzt wurden. 2006 gründete
er den brasilianischen Verlag "Língua Geral". Er lebt als
Schriftsteller und Journalist in Portugal, Angola und Brasilien.
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