Das Gold von Caxamalca
Erzählung von Jakob Wassermann
1
Das Folgende wurde niedergeschrieben von dem Ritter und nachmaligen Mönch Domingo de Soria Luce in einem Kloster der Stadt Lima, wohin er sich, dreizehn Jahre nach der Eroberung des Landes Peru, zur Abkehr von der Welt begeben hatte.
2
Im November
des Jahres 1532 zogen wir, dreihundert Ritter und etliches Fußvolk,
unter der Führung des Generals Francesco Pizarro, Friede seinem
Andenken, über das ungeheure Gebirge der Kordilleren. Ich will mich bei
den Schwierigkeiten und Gefahren dieses Marsches nicht lange aufhalten.
Es sei genug, wenn ich sage, daß wir manchmal glaubten, unsere letzte
Stunde sei gekommen, und die Qualen des Hungers und Durstes noch gering
anzuschlagen waren gegen die Schrecken der wilden Natur, die gähnenden
Abgründe, die steilen Wege, die an vielen Stellen so schmal waren, daß
wir von den Pferden absitzen und sie am Zügel hinter uns herziehen
mußten. Auch von der greuelvollen Ödnis, der Kälte und den Schneestürmen
will ich nicht reden, und daß einige unter uns den unseligen Entschluß
verfluchten, der sie in dieses menschenmörderische Land geführt hatte.
Aber am siebenten Tage waren unsere Leiden zu Ende, und als es Abend
wurde, betraten wir erschöpft und dennoch in unseren Gemütern erregt die
Stadt Caxamalca. Das Wetter, das seit dem Morgen schön gewesen, ließ
jetzt Sturm befürchten, bald auch begann Regen mit Hagel vermischt zu
fallen, und es war kalt. Caxamalca heißt soviel wie Froststadt.
Es verwunderte uns sehr, daß wir die Stadt vollkommen verlassen fanden.
Niemand trat aus den Häusern, uns zu begrüßen, wie wir es von den
Gegenden an der Küste gewohnt waren. Wir ritten durch die Straßen, ohne
einem lebendigen Wesen zu begegnen und ohne einen Laut zu hören außer
den Hufschlägen der Pferde und ihrem Echo.
Bevor aber noch die Dunkelheit ganz einbrach, gewahrten wir längs der
Berghänge, soweit das Auge reichte, eine unübersehbare Menge weißer
Zelte, hingestreut wie Schneeflocken. Das war das Heer des Inka
Atahuallpa, und der Anblick erfüllte selbst die Mutigsten unter uns mit
Bestürzung.
3
Der General erachtete es für notwendig, eine
Gesandtschaft an den Inka zu schicken. Er wählte dazu den jungen Ritter
Hernando de Soto, mit dem mich eine aufrichtige Freundschaft verband,
und fünfzehn Reiter. Im letzten Augenblick erwirkte de Soto vom General
die Erlaubnis für mich, daß ich ihn begleiten durfte, und ich war dessen
froh.
Wir brachen in der Morgenfrühe auf; das Gebirge bis in den Äther
gegipfelt zur Rechten, die blühende Ebene vor uns und zur Linken, alles
war so neu, daß ich nur schaute und staunte.
Nach einer Stunde gelangten wir an einen breiten Fluß, über den eine
schöne hölzerne Brücke gebaut war. Dort wurden wir erwartet und in das
Lager des Inka geführt. Alsbald standen wir in einem geräumigen Hof, um
den eine Säulenhalle lief. Die Säulen hatten kunstreiche
Goldverzierungen, die Mauern waren mit gelbem und kobaltblauem Mörtel
bekleidet, in der Mitte befand sich ein kreisrundes Steinbecken, das aus
kupfernen Leitungen mit warmem und kaltem Wasser gespeist wurde.
Prunkvoll geschmückte Edelleute und Frauen umgaben den Fürsten, der ein
scharlachrotes Gewand trug und um die Stirn, als Zeichen seiner
Herrschaft, die rote Borla, deren Fransen ihm bis auf die Augen
niederhingen.
Es hatte ein hübsches Gesicht mit seltsam kristallenem Ausdruck und
mochte gegen dreißig Jahre alt sein. Die Gestalt war kräftig und
ebenmäßig, sein Wesen gebieterisch, dabei von einer Feinheit, die uns
überraschte. De Soto hatte den Dolmetscher Felipillo mitgenommen, einen
unlängst getauften Eingeborenen, einen Menschen von tiefer
Verschlagenheit, der in der Folge großes Unheil angerichtet hat, wie ich
zu gegebener Zeit berichten werde. Ihn erfüllte ein Haß gegen seine
Landsleute, dessen Art und Ursprung wir nie ganz ergründen konnten, und
er war der einzige Rebell und Abtrünnige, den wir in Peru fanden.
Mit seiner Hilfe also wendete sich de Soto redend an den Inka. Er
richtete die Grüße des Generals aus und lud Atahuallpa mit
ehrfurchtsvollen Worten ein, er möge geruhen, unsern Führer zu besuchen.
Atahuallpa erwiderte nichts. Keine Miene und kein Blick ließ merken, daß
er die Rede verstanden habe. Seine Lider waren gesenkt, und er schien
angestrengt zu überlegen, was der Sinn der gehörten Worte sei. Nach
einer Weile sagte einer der ihm zur Seite stehenden Edlen: „Es ist gut,
Fremdling.“
Dies setzte de Soto in Verlegenheit. Es war so unmöglich, den Gedanken
des Fürsten und was er empfinden mochte, zu erraten, als hätten Berge
zwischen ihm und uns gestanden. Welch eine fremde Welt! Welch ein
fremder Schein und Geist! De Soto bat also den Inka auf eine höfliche,
fast demütige Weise, ihm selbst mitzuteilen, was er beschlossen. Darauf
glitt ein Lächeln über Atahuallpas Züge; ich habe dieses Lächeln
späterhin noch oft wahrgenommen, und es hat mich jedesmal wunderlich
ergriffen. Er erwiderte durch den Mund Felipillos: „Meldet eurem Führer,
daß ich Fasttage halte, die heute zu Ende gehen. Morgen will ich ihn
besuchen. Er möge bis zu meiner Ankunft die Gebäude am Platz bewohnen,
aber keine anderen. Was nachher geschehen soll, werde ich befehlen.“
Wieder entstand ein Stillschweigen. Wir waren nicht von
den Pferden abgesessen, weil wir uns im Sattel sicherer fühlten
und den Peruanern, wie wir aus Erfahrung wußten, mehr Furcht einflößten.
Da gewahrte de Soto, daß der Inka das feurige Tier, auf dem er vor ihm
saß und das unruhig an seinem Gebiß kaute und den Boden stampfte, mit
großer Aufmerksamkeit betrachtete. De Soto war immer ein wenig eitel auf
seine Reitkunst gewesen; es lockte ihn, sie zu zeigen, er dachte auch,
dies werde einschüchternd auf den Fürsten wirken. Er ließ dem Tier die
Zügel schießen, gab ihm die Sporen und sprengte über den gepflasterten
Platz hin. Dann riß er es herum und hielt in vollem Lauf jäh an, indem
er es fast auf die Hinterbeine warf, so nahe bei dem Inka, daß etwas von
dem Schaum, der die Nüstern des Pferdes bedeckte, auf das königliche
Kleid spritzte.
Die Trabanten und Höflinge waren von dem nie gesehenen Schauspiel so
betroffen, daß sie unwillkürlich die Arme ausstreckten und bei der
stürmischen Annäherung des Tieres entsetzt zurückwichen. Atahuallpa
selbst blieb so ruhig und kalt wie vorher. Es hat sich später die Sage
gebildet, daß er diejenigen seiner Edlen, die bei dieser Gelegenheit
eine so schimpfliche Feigheit bewiesen hatten, noch am selben Tage habe
hinrichten lassen. Aber das, wie so vieles sonst, was ich vernommen, ist
nichts weiter als müßige und boshafte Erfindung, die das Bild des
Fürsten besudeln sollte.
4
Wir nahmen
ehrerbietig Abschied von Atahuallpa und ritten mit ganz andern
Empfindungen als noch vor Stunden zu den Unsrigen zurück. Wir hatten den
Inka inmitten seiner Heeresmacht gesehen, gegen die zu kämpfen ein
sinnloses Unterfangen war. Dreihundert waren wir an Zahl; weitere
dreihundert erwarteten wir als Verstärkung aus San Miguele; was sollten
sechshundert ausrichten wider die Myriaden? Das peruanische Lager hatte
uns einen Glanz und Reichtum gezeigt, der unsre Bangigkeit erregte vor
den Hilfsmitteln des bisher gering geschätzten Volkes; zudem eine Zucht
und Gesittung, die einen ungleich höheren Kulturzustand verrieten als
alles, was wir in den Gegenden der Küste erfahren hatten.
Gold hatten wir genug und übergenug
erblickt. Meine Augen hatten nicht ausgereicht, es zu erfassen. Die Fama
hatte wahrlich nicht gelogen und nicht einmal übertrieben; kein Zweifel,
daß wir an das Ziel unserer glühenden Wünsche gelangt waren, als wir den
Fuß in das Innere dieses Zauberlandes gesetzt hatten. Aber wie sollten
wir uns des Goldes bemächtigen? War es nicht noch grausamer, einen
Schritt vor der Verwirklichung des Traumes zu stehen und verzichten zu
sollen, als mit der schimmernden Hoffnung zu spielen?
Wir brachten Mutlosigkeit ins Lager mit, und die Kameraden wurden davon
angesteckt, ein Gefühl, das sich nicht verminderte, als die Nacht
herabsank und wir die Wachtfeuer der Peruaner von den Berghängen
herüberleuchten und so dicht wie die Sterne am Himmel blitzen sahen.
Da aber wurde uns erst die eigentümliche Kraft und Kühnheit des Generals
zum festen Halt. Ihn erfüllte die Unentrinnbarkeit, in die wir uns
begeben hatten, mit Befriedigung. Jetzt waren die Dinge soweit, wie er
sie haben wollte. Er ging bei allen Leuten herum und redete ihnen in
Gemüt und Gewissen. Sie sollten sich auf sich selbst und die Vorsehung
verlassen, die sie schon durch so manche schreckliche Prüfung geführt
habe, sagte er; wären ihnen die Feinde auch zehntausendfach an Zahl
überlegen, was wolle das bedeuten, wenn der Himmel mit ihnen sei? Er
rief ihren Ehrgeiz an und versprach ihnen unerhörte Reichtümer; indem
er, wie schon so oft, das Unternehmen als Kreuzzug gegen die Ungläubigen
darstellte, entfachte er den verlöschenden Funken der Begeisterung aufs
neue.
Dann berief er die Offiziere zum Rat. Wir kamen in das Haus, das er mit
seinen beiden Brüdern bewohnte, und da entwickelte er uns den verwegenen
Plan, für den er sich entschieden hatte. Er wollte den Inka in einen
Hinterhalt locken und ihn im Angesicht seines ganzen Heeres zum
Gefangenen machen.
Wir alle erbleichten. Wir suchten ihn davon abzubringen. Wir nannten es
ein höchst gefährliches, ja ein verzweifeltes Beginnen. Er aber hielt
uns trocken entgegen, ob denn nicht auch unsere Lage eine verzweifelte
sei? Ob uns nicht auf allen Seiten der Untergang drohe und es nicht viel
zu spät sei, an Flucht zu denken, nach welcher Richtung wir denn fliehen
wollten? Die Landschaft selbst habe sich ja in einen Kerker verwandelt.
Ruhig zu verharren, sei nicht minder gefahrvoll; den Inka in offenem
Felde anzugreifen, Tollheit; bliebe also nur übrig, sich seiner Person
zu versichern; hievon erwarte er eine so außerordentliche Wirkung auf
das Land, daß alle andern Mittel im Vergleich dazu geringfügig und
schwächlich seien.
Ich sehe ihn noch vor mir, wie er düster fragend um sich schaute, die
geballte Faust auf dem Herzen. Er erblickte nur gesenkte Stirnen, denn
sein Vorhaben flößte uns die größte Besorgnis ein. Doch wußte er, daß er
auf jeden von uns zählen konnte, in jedem Fall. Sein Wille war von
unwiderstehlicher Gewalt.
Wir zogen uns in unsere Wohnungen und Zelte zurück, aber nicht um zu
schlafen. Meine Augen wenigstens haben in jener Nacht von Schlaf nichts
verspürt. Ich lag da und lauschte der dunklen Stimme der Erde und den
Einflüsterungen des bösen Dämons in meiner Brust. Und so wird es auch
mit den andern gewesen sein.
(...)
aus "Das Gold
von Caxamalca" von Jakob Wassermann
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