(...)
Dann kam die
Nachricht, daß man erst in vier Stunden abfahren werde. Die nach Hatwan
führende Strecke sei mit Verwundetenzügen verstellt. Auf den Bahnhöfen
verbreitete sich überdies das Gerücht, daß bei Jagr ein Sanitätszug mit
Kranken und Verwundeten mit einem Munitionszug zusammengestoßen sei.
Aus Pest seien
angeblich Hilfszüge abgefahren. Bald darauf arbeitete bereits die
Phantasie des ganzen Bataillons. Man sprach von 200 Toten und
Verwundeten, und es hieß, daß der Zusammenstoß absichtlich herbeigeführt
worden sei, damit die Betrügereien bezüglich der Verpflegung der Kranken
nicht an den Tag kämen.
Das gab Anlaß zu
einer scharfen Kritik an der unzureichenden Verpflegung des Bataillons
und den Dieben in den Kanzleien und Magazinen.
Die Mehrzahl war
der Meinung, daß Bataillonsrechnungsfeldwebel Bautanzel alles zur Hälfte
mit den Offizieren teile.
Im Stabswaggon
verkündete Hauptmann Sagner, daß man der Marschroute nach eigentlich
schon an der galizischen Grenze sein sollte. In Jagr hätte man bereits
für drei Tage Brot und Konserven für die Mannschaft fassen sollen. Bis
Jagr seien noch zehn Stunden Fahrt. In Jagr stünden tatsächlich so viele
Züge mit Verwundeten von der Offensive bei Lemberg, daß dem Telegramm zufolge in Jagr
weder ein Kommißbrot noch eine einzige Konserve vorhanden sei. Er habe
Befehl erhalten, statt Brot und Konserven 6 K 72 h pro Mann auszuzahlen,
die bei der Verteilung der Löhnung für neun Tage ausgezahlt werden
sollten, das heißt, falls er bis dahin Geld von der Brigade erhalten
werde. In der Kassa habe er nur etwas über 12000 Kronen.
»Das ist aber eine
Schweinerei vom Regiment«, sagte Oberleutnant Lukasch, »uns so miserabel
in die Welt zu schicken.«
Ein gegenseitiges
Geflüster zwischen Fähnrich Wolf und Oberleutnant Kolarsch ergab, daß
Oberst Schröder während der letzten drei Wochen an sein Konto in einer
Wiener Bank 16000 Kronen geschickt habe.
Hierauf erzählte
Oberleutnant Kolarsch, auf welche Weise gespart werde. Man stiehlt dem
Regiment 6000 Kronen, steckt sie in die eigene Tasche und erteilt mit
konsequenter Logik an alle Küchen den Befehl, täglich jedem Mann 3 Gramm
Erbsen abzuzwicken.
In einem Monat
macht das 90 Gramm pro Mann, und bei jeder Kompanieküche muß wenigstens
ein Vorrat von 16 Kilogramm Erbsen erspart werden, mit dem der Koch sich
ausweisen muß.
Oberleutnant
Kolarsch und Wolf erzählten einander nur so allgemein von bestimmten
Fällen, die sie beobachtet hatten.
Es stand jedoch
fest, daß es in der ganzen Militärverwaltung eine Fülle von solchen
Fällen gab. Mit dem Rechnungsfeldwebel bei irgendeiner Kompanie fing es
an, und mit dem Hamster in Generalsuniform, der Vorräte für den
Nachkriegswinter anhäufte, endete es.
Der Krieg
erforderte Tapferkeit auch beim Stehlen. Die Intendanten schauten
einander liebevoll an, als wollten sie sagen: »Wir sind ein Leib und
eine Seele, wir stehlen, Kamerad, wir betrügen, Brüderlein, aber du
kannst dir nicht helfen, gegen den Strom kann man schwer schwimmen. Wenn
dus nicht nimmst, nimmts ein anderer und sagt noch von dir, daß du
deshalb nicht stiehlst, weil du schon genug zusammengerafft hast.«
Den Waggon betrat
ein Herr mit roten Lampassen. Es war wieder einer von den Generalen, die
alle Strecken inspizierten.
»Setzen Sie sich,
meine Herren«, nickte er leutselig, erfreut, wieder einen Transport
überrascht zu haben, von dem er nicht gewußt hatte, daß er ihn hier
vorfinden werde.
Als Hauptmann
Sagner ihm Rapport erstatten wollte, winkte er nur mit der Hand: »Ihr
Transport ist nicht in Ordnung. Ihr Transport schläft nicht. Ihr
Transport sollte schon schlafen. Bei Transporten soll, wenn sie auf dem
Bahnhof stehen, wie in den Kasernen um neun Uhr geschlafen werden.«
Er sagte abgehackt:
»Vor neun Uhr führt man die Mannschaft zu den Latrinen hinter dem
Bahnhof hinaus – und dann geht man schlafen. Sonst verunreinigt die
Mannschaft in der Nacht die Strecke. Verstehn Sie, Herr Hauptmann?
Wiederholen Sie mir das. Oder wiederholen Sie mirs nicht und machen Sies
so, wie ich mirs wünsche. Alarm blasen. Alles zu den Latrinen jagen.
Retraite blasen und schlafen. Kontrollieren, wer nicht schläft. Strafen!
Ja! Ist das alles? Abendessen um sechs Uhr verteiln.«
Er sprach jetzt von
etwas in der Vergangenheit, von etwas, was nicht geschehen war und sich
gewissermaßen hinter einer zweiten Ecke befand. Er stand da wie ein
Phantom aus der Region der vierten Dimension.
»Abendessen um
sechs Uhr verteiln«, fuhr er fort und schaute auf die Uhr, die zehn
Minuten nach elf Uhr nachts zeigte. »Um halb neun Alarm,
Latrinenscheißen, dann schlafen gehn. Zum Abendessen um sechs Uhr
Gulasch mit Kartoffeln statt
15 Deka Emmentaler.«
Dann folgte der
Befehl: Bereitschaft. Hauptmann Sagner ließ also abermals Alarm blasen,
und der Inspektionsgeneral, der der Aufstellung des Marschbataillons
zusah, ging mit den Offizieren auf und ab und redete ununterbrochen auf
sie ein, als wären sie Idioten und könnten nicht gleich begreifen; dabei
zeigte er auf die Zeiger der Uhr: »Also sehn Sie. Um halb neun scheißen
und nach einer halben Stunde schlafen. Das genügt vollkommen. In dieser
Übergangszeit hat die Mannschaft ohnedies weichen Stuhl. Hauptsächlich
lege ich Gewicht auf den Schlaf. Das ist die Stärkung zu weiteren
Märschen. Solange die Mannschaft im Zug ist, muß sie sich ausruhn.
Wenn nicht genug Platz in den Waggons ist, schläft die Mannschaft partieweise.
Ein Drittel der Mannschaft legt sich im Waggon bequem hin und schläft
von neun bis Mitternacht und die übrigen stehn und schaun zu. Dann
machen die ersten Ausgeschlafenen dem zweiten Drittel Platz, das von
Mitternacht bis drei Uhr früh schläft. Die dritte Partie schläft von
drei bis sechs, dann ist Reveille, und die Mannschaft wäscht sich.
Während der Fahrt nicht aus dem Wagen ab-sprin-gen! Vor den Transport
eine Patrouille stellen, damit die Mannschaft während der Fahrt nicht ab-springt!
Wenn der Feind einem Soldaten ein Bein bricht ...«
Der General klopfte
sich dabei aufs Bein: »... so ist das etwas lobenswertes, aber sich
durch überflüssiges Abspringen aus dem Waggon in voller Fahrt
verkrüppeln, ist sträflich.«
»Das ist also Ihr
Bataillon?« fragte er Hauptmann Sagner, die schläfrigen Gestalten der
Mannschaft beobachtend, von denen sich viele nicht zurückhalten konnten,
und, aus dem Schlaf getrommelt, in der frischen Nachtluft gähnten; »das
ist ein gähnendes Bataillon, Herr Hauptmann. Die Mannschaft muß um neun
Uhr schlafen gehn.«
Der General stellte
sich vor die 11. Kompanie, an deren linkem Flügel Schwejk stand, der
über das ganze Gesicht gähnte und sich dabei manierlich die Hand vor den
Mund hielt; aber unter der Hand ertönte so ein Brummen, daß Oberleutnant
Lukasch zitterte, der General könnte dem eine genauere Aufmerksamkeit
schenken. Ihm schien, daß Schwejk absichtlich gähnte.
Und der General
drehte sich um, als kenne er Schwejk, und trat auf ihn zu: »Böhm oder
Deutscher?«
»Böhm, melde
gehorsamst, Herr Generalmajor.«
»Gut«, sagte der
General, der ein Pole war und ein wenig tschechisch verstand, »du
brüllst wie eine Kuh. Stul pysk, drsch gubu, nebutsch! Warst du schon
auf der Latrine?«
»Nein, melde
gehorsamst, Herr Generalmajor.«
»Warum bist du
nicht mit den übrigen scheißen gegangen?«
»Melde gehorsamst,
Herr Generalmajor, auf den Manövern in Pisek hat uns der Herr Oberst
Wachtl gesagt, wie die Mannschaft während der Rast ins Korn gekrochen
is, daß ein Soldat nicht immerfort nur ans Scheißen denken darf, ein
Soldat soll ans Kämpfen denken. Übrigens, melde gehorsamst, was möchten
wir dort auf der Latrine machen? Man hat nicht was herauszudrücken. Nach
der Marschroute hätten wir schon auf einigen Stationen Nachtmahl kriegen
solln, und gekriegt hamr nichts. Mit leerem Magen kriech ich nicht auf
die Latrine!«
Nachdem Schwejk dem
Herrn General die allgemeine Situation mit so einfachen Worten
klargelegt hatte, schaute er ihn so zutraulich an, daß der General die
Bitte herausfühlte, ihnen allen zu helfen. Wenn schon Befehl erteilt
wird, in Marschformation zur Latrine zu gehen, so muß dieser Befehl auch
innerlich durch etwas gestützt sein.
»Schicken Sie alles
wieder in die Wagen«, sagte der General zu Hauptmann Sagner, »wie kommt
es, daß die Mannschaft kein Abendessen bekommen hat? Alle Transporte,
die diese Station passieren, müssen ein Abendessen bekommen. Hier ist
die Verpflegsstation. Das geht nicht anders. Es besteht ein bestimmter
Plan.«
Der General sagte
dies mit einer Bestimmtheit, die bedeutete, daß es jetzt bereits nach
elf Uhr nachts sei, daß das Nachtmahl, wie er bereits vorher bemerkt
hatte, um sechs Uhr hatte verabreicht werden sollen und daß daher nichts
anderes übrigbliebe, als den Zug noch eine Nacht und einen Tag über bis
sechs Uhr abends hier zurückzuhalten, damit die Mannschaft Gulasch
mit Kartoffeln bekomme.
»Es gibt nichts
Ärgeres«, sagte er mit ungeheurem Ernst, »als im Krieg während des
Transportes von Soldaten ihre Verpflegung zu vergessen. Meine Pflicht
ist festzustellen, wie es eigentlich in der Kanzlei des
Bahnhofskommandos ausschaut. Denn, meine Herren, manchmal sind die
Transportkommandanten selbst schuld. Bei der Revision der Station
Sabatka auf der bosnischen Südbahn habe ich festgestellt, daß sechs
Transporte kein Nachtmahl bekommen haben. Sechsmal hat man auf der
Station Gulasch mit Kartoffeln gekocht und niemand hat es verlangt. Man
hat es haufenweise weggegossen. Es war eine Senkgrube für Kartoffeln mit
Gulasch, meine Herren, und drei Stationen weiter haben die Soldaten der
Transporte, die in Sabatka an Haufen und Bergen von Gulasch
vorbeigefahren sind, auf dem Bahnhof um ein Stück Brot
gebettelt. Hier, wie Sie sehen, trug nicht die Militärverwaltung die
Schuld.«
Er winkte heftig
mit der Hand: »Die Transportkommandanten haben ihre Pflicht nicht
erfüllt. Gehn wir in die Kanzlei.«
Sie folgten ihm,
während sie darüber nachdachten, warum alle Generale verrückt geworden
seien.
Auf dem Kommando
stellte sich heraus, daß man von dem Gulasch wirklich nichts wußte. Es
hätte heute – das stimmte – für alle Transporte gekocht werden sollen,
die durchfuhren, aber dann war der Befehl gekommen, bei der Verrechnung
der Verpflegung der Soldaten je 72 Heller pro Mann abzurechnen,
so daß jeder durchfahrende Truppenteil ein Guthaben von 72 Heller
pro Mann hatte, das ihm von seiner Intendanz bei der nächsten
Löhnungsfassung auszuzahlen war. Was das Brot betrifft, werde die
Mannschaft in Watian auf der Station je einen halben Wecken erhalten.
Der Kommandant der
Verpflegungsstation fürchtete sich nicht. Er sagte dem General
geradewegs ins Gesicht, daß die Befehle jede Stunde geändert wurden.
Bisweilen habe er Menage für die Transporte vorbereitet. Aber es kommt
ein Sanitätszug, weist sich mit einem höheren Befehl aus und, nichts zu
machen, der Transport steht vor dem Problem leerer Kessel.
Der General nickte
zustimmend mit dem Kopf und bemerkte, daß sich die Verhältnisse
entschieden besserten, zu Beginn des Krieges sei es viel ärger gewesen.
Es gehe nicht alles auf einmal, es erfordere entschieden Erfahrungen,
Praxis. Theorie hemme eigentlich die Praxis. Je länger der Krieg dauere,
desto mehr komme alles in Ordnung.
»Ich kann Ihnen ein
praktisches Beispiel geben«, sagte er, entzückt davon, daß ihm etwas
Ausgezeichnetes eingefallen war: »Vor zwei Tagen haben die Transporte,
die durch die Station Hatwan fuhren, kein Brot bekommen, und Sie werden
es dort morgen fassen. Gehn wir jetzt in die Bahnhofsrestauration.«
Im
Bahnhofsrestaurant lenkte der Herr General das Gespräch abermals auf die
Latrinen und fügte hinzu, wie häßlich es aussehe, wenn überall auf den
Schienen Kakteen seien. Er aß dabei Beefsteak, und allen schien es, als
wälze sich ein Kaktus in seinem Mund herum.
Auf die Latrinen
legte er so ein Gewicht, als hänge von ihnen der Sieg der Monarchie ab.
In Anbetracht der
neuen Lage in bezug auf Italien erklärt er, daß gerade in den Latrinen
unserer Armee der unleugbare Vorteil der italienischen Kampagne beruhe.
Der Sieg
Österreichs kroch aus der Latrine.
Für den Herrn
General war alles so einfach. Der Weg zum Kriegsruhm war laut Rezept:
»Um sechs Uhr bekommen die Soldaten Gulasch mit Kartoffeln, um halb neun
scheißt sich das Militär in der Latrine aus, und um neun Uhr wird
schlafen gegangen. Vor so einem Heer flieht jeder Feind entsetzt.«
Der Generalmajor
wurde nachdenklich, zündete sich eine Operas an und schaute lange, lange
auf den Plafond. Er dachte nach, was er noch sagen könnte, da er nun
einmal hier war, und womit er die Offiziere des Marschbataillons
belehren sollte.
»Der Kern Ihres
Bataillons ist gesund«, sagte er plötzlich, als alle erwarteten,
daß er fortfahren werde, auf den Plafond zu schauen und zu schweigen,
»Ihr Stand ist vollkommen in Ordnung. Der Mann, mit dem ich gesprochen
habe, erweckt mit seiner Aufrichtigkeit und seiner militärischen Haltung
die beste Hoffnung in bezug auf das Ganze. Er wird gewiß bis zum letzten
Blutstropfen kämpfen.«
Er verstummte und
schaute, auf die Lehne des Sessels gestützt, wieder auf den Plafond,
dann sprach er in der gleichen Haltung weiter, wobei nur Leutnant Dub,
dem Trieb seiner sklavischen Seele folgend, mit dem General auf den
Plafond blickte: »Ihr Bataillon braucht aber, daß seine Taten nicht in
Vergessenheit geraten. Die Bataillone Ihrer Brigade haben schon ihre
Geschichte, die Ihr Bataillon fortsetzen muß. Und Ihnen fehlt gerade der
Mann, der genaue Notizen macht und die Geschichte des Bataillons
schreibt. Bei ihm müssen alle Fäden zusammenlaufen. Er muß wissen, was
jede Kompanie des Bataillons vollbringt. Es muß ein intelligenter Mensch
sein, kein Rindvieh, keine Kuh, Herr Hauptmann, Sie müssen im Bataillon
einen Bataillonsgeschichtsschreiber ernennen.«
Dann schaute er
auf die Wanduhr, deren Zeiger die ganze schläfrige Gesellschaft daran
erinnerte, daß es bereits Zeit sei, auseinanderzugehen.
Der General hatte
seinen Inspektionszug vor der Station und forderte die Herren auf, ihn
in seinen Schlafwaggon zu begleiten.
Der
Bahnhofskommandant seufzte. Der General dachte nicht daran, sein
Beefsteak und seine Flasche Wein zu begleichen. Der Kommandant mußte das
wieder selbst bezahlen. Solche Besuche gab es täglich einige. Ihretwegen
waren schon zwei Fuhren Heu draufgegangen, die er auf ein blindes
Geleise hatte ziehen lassen und der Firma Löwenstein, Heereslieferant,
verkauft hatte. Das Ärar hatte diese zwei Waggons der Firma wieder
verkauft, aber er hatte sie sicherheitshalber stehnlassen. Vielleicht
würde er sie der Firma Löwenstein wieder einmal weiterverkaufen müssen.
Dafür sagten
sämtliche Inspizierenden, die diese Hauptstation in Pest passierten, daß
man dort beim Bahnhofskommandanten gut esse.
Am Morgen stand der
Transport noch auf dem Bahnhof, es wurde Reveille geblasen, die Soldaten
wuschen sich bei den Pumpen in der Eßschale, der General mit seinem Zug
war noch nicht weggefahren und revidierte persönlich die Latrinen, wohin
man sich dem Tagesbefehl des Bataillons gemäß unter Kommando
der Schwarmkommandanten in Schwärmen begab, damit der Herr
Generalmajor eine Freude habe.
Damit auch Leutnant
Dub eine Freude habe, teilte ihm Hauptmann Sagner mit, daß er – Leutnant
Dub – heute Inspektion habe.
Leutnant Dub
beaufsichtigte also die Latrinen.
Die langgestreckte
zweireihige Latrine nahm je zwei Schwärme einer Kompanie auf.
Und jetzt hockten
die Soldaten hübsch einer neben dem andern über den aufgeworfenen Gräben
wie Schwalben auf Telegrafendrähten, wenn sie sich im Herbst zum Flug nach
Afrika rüsten.
Jedem schauten die
Knie aus den herabgelassenen Hosen, jeder hatte einen Riemen um den
Hals, als wolle er sich jeden Augenblick aufhängen und warte auf
irgendeinen Befehl. Daran konnte man freilich die militärische eiserne
Disziplin, die Organisation erkennen.
Auf dem linken
Flügel saß Schwejk, der zufällig hierhergeraten war, und las mit
Interesse ein aus weiß Gott welchem Roman von Ružena Jesenska
herausgerissenes Blatt:
...sigen
Pensionat leider Damen
es
unbestimmt,
tatsächlich vielleicht mehr
de größtenteils in sich abgeschlossene Ver
men in ihre Kemenaten,
oder sie
eigentümliche
Unterhaltung.
Und wenn er auch
ging ein Mensch und seufzte ti
ch besserte, denn sie wollte nicht so sehn
wie sie selbst es gewünscht hätte. Er
war nichts für den jungen Keitschka
Als
er die Augen von dem Papier losriß, blickte er unwillkürlich zum Ausgang
der Latrine und erstaunte. Dort stand in voller Parade der Herr
Generalmajor von gestern nacht mit seinem Adjutanten und neben ihm
Leutnant Dub, der ihm eifrig etwas erklärte.
Schwejk schaute
rund umher. Alles blieb ruhig auf der Latrine sitzen, nur die Chargen
waren gewissermaßen regungslos erstarrt.
Schwejk empfand den
Ernst der Situation.
Er sprang so wie er
war, mit herabgelassenen Hosen, den Riemen um den Hals, noch im letzten
Augenblick das Stück Papier benützend, in die Höh und brüllte: » Einstellen!
Auf! Habt acht! Rechts schaut!« Und salutierte.
Zwei Schwärme mit
herabgelassenen Hosen und Riemen um den Hals erhoben sich von der
Latrine.
Der Generalmajor
lächelte freundlich und sagte: »Ruht! Weitermachen!« Feldwebel Marek
ging seinem Schwarm mit gutem Beispiel voran und kehrte in die
ursprüngliche Position zurück. Nur Schwejk stand und fuhr fort zu
salutieren, denn von der einen Seite näherte sich ihm drohend Leutnant
Dub und von der andern der lächelnde Generalmajor.
»Sie hab ich in der
Nacht gesehen«, sagte der Generalmajor, als er die komische Positur
Schwejks sah, worauf sich der aufgeregte Leutnant Dub an den
Generalmajor wandte: »Melde gehorsamst, Herr Generalmajor, der Mann ist
blödsinnig und als Idiot bekannt, ein notorischer Dummkopf.«
»Was sagen Sie,
Herr Leutnant?« brüllte der Generalmajor Leutnant Dub plötzlich an und
erklärte schreiend, daß gerade das Gegenteil der Fall sei. Ein Mann, der
weiß, was sich gehört, wenn er einen Vorgesetzten sieht, und eine
Charge, die ihn nicht sieht und ignoriert! Genau wie im Felde. Ein
gemeiner Soldat übernimmt zur Zeit der Gefahr das Kommando. Und gerade
Herr Leutnant Dub hätte selbst das Kommando geben sollen, das dieser
Soldat gegeben hat: »Einstellen! – Auf! – Habt acht! Rechts schaut!«
»Hast du dir den
Arsch abgewischt?« fragte der Generalmajor Schwejk.
»Melde gehorsamst,
Herr Generalmajor, daß alles in Ordnung is.«
»Wjencej schratsch
nebendzesch?«
»Melde gehorsamst,
Herr Generalmajor, daß ich fertig bin.«
»Zieh dir also die
Hosen hinauf und stell dich dann wieder Habtacht!« Da der Generalmajor
dieses Habtacht ein wenig lauter sagte, fingen die Zunächstsitzenden an,
von der Latrine aufzustehen.
Der Generalmajor
winkte jedoch freundschaftlich mit der Hand und sagte in sanftem,
väterlichem Ton: »Aber nein, ruht, ruht, nur weitermachen.«
Schwejk stand
bereits in voller Parade vor dem Generalmajor, und der Generalmajor
richtete eine kurze deutsche Ansprache an ihn: »Achtung vor den
Vorgesetzten, Kenntnis des Dienstreglements und Geistesgegenwart
bedeutet beim Militär alles. Und wenn sich dazu noch Tapferkeit gesellt,
gibt es keinen Feind, den wir fürchten müßten.«
Zu Leutnant Dub
gewendet sagte er, Schwejk mit dem Finger in den Bauch stoßend:
»Notieren Sie sich: Diesen Mann bei Eintreffen an der Front unverzüglich
befördern und bei nächster Gelegenheit für die Bronzene Medaille
vorschlagen, für genaue Ausübung des Dienstes und Kenntnis ... Sie
wissen doch, was ich meine ... Abtreten!«
Der Generalmajor
entfernte sich von der Latrine, während Leutnant Dub, damit der
Generalmajor es hörte, laut die Befehle erteilte: »Erster Schwarm auf!
Doppelreihen. – Zweiter Schwarm ...«
Schwejk ging
inzwischen hinaus, und als er an Leutnant Dub vorüberging, leistete er
diesem zwar wie sichs gebührt die Ehrenbezeigung, aber Leutnant Dub
sagte dennoch: »Herstellt«, und Schwejk mußte von neuem salutieren,
wobei er abermals zu hören bekam: »Kennst du mich? Du kennst mich nicht?
Du kennst mich nur von der guten Seite, bis du mich von der schlechten
Seite kennenlernen wirst, werde ich dich zum Weinen bringen.«
Schwejk ging
schließlich zu seinem Waggon und dachte dabei: »Einmal, wie ich noch in
Karolinental in der Kaserne war, war dort ein gewisser Leutnant Chudawy,
und der hats anders gesagt, wenn er sich aufgeregt hat: ›Jungens, merkts
euch, wenn ihr mich seht, daß ich wie eine Sau auf euch bin und daß ich
diese Sau bleib, solang ihr bei der Kompanie sein werdet.‹«(...)
(aus "Die
Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" von
Jaroslav Hasek;1883-1921)
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