(....) Neugierig schickte der Page einen Blick über seine Buchstaben hinweg nach der Gefangenen, die er sich setzen hieß, und erstaunte über ihre Schönheit. Nur von mittlerer Größe, trug sie über vollen Schultern auf einem feinen Halse ein wohlgebildetes kleines Haupt. Wenig fehlte, stillere Augen, freiere Stirn, ruhigere Naslöcher und Mundwinkel, so war es das süße Haupt einer Muse, wie unmusenhaft die Korinna sein mochte. Pechschwarze Flechten und dunkeldrohende Augen bleichten das fesselnde Gesicht. Die in Unordnung geratene buntfarbige Kleidung, von keinem südlich leuchtenden Himmel gedämpft, erschien unter einem nordischen grell und aufdringlich. Der Busen klopfte sichtbar.
Das Schweigen wurde dem Mädchen unerträglich. »Wo ist der König, Junker?« fragte sie mit einer hohen, vor Erregung schreienden Stimme. »Ist verritten. Wird gleich zurück sein!« antwortete Leubelfing in seiner tiefsten Note.
»Der König bilde sich nur nicht ein, daß ich von dem Herzog lasse«, fuhr das leidenschaftliche Mädchen mit unbändiger Heftigkeit fort. »Ich liebe ihn zum Sterben. Und wo sollte ich hin? Zu meinem Vater? Der würde mich grausam mißhandeln. Ich bleibe. Der König hat dem Herzog nichts zu befehlen. Mein Herzog ist ein Reichsfürst.« Offenbar plapperte die Angstvolle dem Lauenburger nach, welcher, ob auch an und für sich ein frevelhafter Mensch, seinen Fürstenmantel, halb im Hohn, halb im Ernst, allen seinen Missetaten umhing.
»Nutzt ihm nichts, Jungfer«, versetzte der Page Gustav Adolfs. »Reichsfürst hin, Reichsfürst her, der König ist sein Kriegsherr, und der Lauenburger hat zu parieren.«
»Der Herzog«, zankte die Slawonierin, »ist vom alleredelsten Blut, der König aber stammt von einem gemeinen schwedischen Bauer.« Ihr Freund, der Lauenburger, mochte ihr das aus dem Bauerkleide Gustav Wasas entstandene Märchen vorgestellt haben. Leubelfing erhob sich beleidigt und schritt bolzgerade auf die Korinna zu, machte dicht vor ihr halt und fragte gestreng: »Was sagst?« Auch das Mädchen hatte sich ängstlich erhoben und fiel jetzt mit plötzlich verändertem Ausdruck dem Pagen um den Hals: »Teurer Herr! Schöner Herr! Helft mir! Ihr müßt mir helfen! Ich liebe den Lauenburger und lasse nicht von ihm! Niemals!« So rief und flehte sie und küßte und herzte und drückte den Pagen, dann aber wich sie in unsäglicher Verblüffung einen Schritt zurück, und das seltsamste Lächeln der Welt irrte um ihren spöttisch verzogenen Mund.
Der Page wurde bleich und fahl. »Schwesterchen«, lispelte die Korinna mit einem schlauen Blick, »wenn du deinen Einfluß« - in demselben Moment hatte Leubelfing sie mit kräftiger Linken am Arme gepackt, auf die Knie niedergedrückt und den Lauf seines rasch ergriffenen Pistols der Schläfe des kleinen Kopfes genähert. »Drück los«, rief die Korinna halb wahnsinnig, »und der Lust und des Elends sei ein Ende!« wich aber doch dem Lauf mit den behendesten und gelenkigsten Drehungen und Wendungen ihres Hälschens aus.
Jetzt setzte ihr Leubelfing den kalten Ring des Eisens mitten auf die Stirn und sprach totenbleich, aber ruhig: »Der König weiß nichts davon, bei meiner Seligkeit.« Ein ungläubiges Lächeln war die Antwort. »Der König weiß nichts davon«, wiederholte der Page, »und du schwörst mir bei diesem Kreuz« - er hatte es ihr an einem goldenen Kettchen aus dem Busen gezerrt - »von wem hast du das? von deiner Mutter, sagst du? - Du schwörst mir bei diesem Kreuz, daß auch du nichts davon weißt! Mach schnell, oder ich schieße!«
Aber der Page senkte seine Waffe, denn er vernahm Roßgestampf, das Gerassel des militärischen Saluts und die treppansteigenden schweren Tritte des Königs. Er warf noch einen Blick auf die sich von den Knien erhebende Korinna, einen flehenden Blick, in welchem zu lesen war, was er nie ausgesprochen hätte: »Sei barmherzig! Ich bin in deiner Gewalt! Verrate mich nicht! Ich liebe den König!«

Dieser trat ein, ein anderer Mann, als er vor zwei Stunden verritten war, streng wie ein Richter in Israel, in heiliger Entrüstung, in loderndem Zorn, wie ein biblischer Held, der ein himmelschreiendes Unrecht aus dem Mittel heben muß, damit nicht das ganze Volk verderbe. Er hatte einem empörenden Auftritt, einer ekelerregenden Szene beigewohnt: der Beraubung eines vor dem Friedländer in das schwedische Lager flüchtenden Haufens deutscher Bauern durch deutschen Adel unter Führung eines deutschen Fürsten.
Die Herren hatten im Gezelt eines der Ihrigen bis zur Morgendämmerung gezecht, gewürfelt, gekartet. Ein Abenteurer zweifelhaftester Art, der Bank hielt, hatte sie alle ausgebeutelt. Den mutmaßlich falschen Spieler ließen sie nach einem kurzen Wortwechsel - er war von Adel - als einen Mann ihrer Gattung unangefochten ziehen, brachen dagegen, gereizt und übernächtig zu ihren Zelten kehrend, in ein Gewirr schwer beladener Wagen ein, das sich in einer Lagergasse staute. Der Lauenburger, der, im Vorbeireiten sein Zelt öffnend, das Nest leer gefunden und seinen Verdacht ohne weiteres auf den König geworfen hatte, kam ihnen nachgesprengt und feuerte ihre Raubgier zu einer Tat an, von welcher er wußte, daß sie, von dem Könige vernommen, Gustav Adolf in das Herz schneiden würde.
Aber dieser sollte den Frevel mit Augen sehen. Mitten in den Tumult - Kisten und Kasten wurden erbrochen, Rosse niedergestochen oder geraubt, Wehrlose mißhandelt, sich zur Wehre Setzende verwundet - ritt der König hinein, zu welchem sich flehende Arme, Gebete, Flüche, Verwünschungen erhoben, nicht anders als zum Throne Gottes. Der König beherrschte und verschob seinen Zorn. Zuerst gab er Befehl, für die mißhandelten Flüchtlinge zu sorgen, dann befahl er die ganze adelige Sippe zu sich auf die neunte Stunde. Heimreitend, hielt er vor dem Zelt des Generalgewaltigen, hieß ihn seinen roten Mantel umwerfen und - in einiger Entfernung - folgen.
In dieser Stimmung befand sich König Gustav, als er die Beihälterin des Lauenburgers erblickte. Er maß das Mädchen, deren wilde Schönheit ihm mißfiel und deren grelle Tracht seine klaren Augen beleidigte.
»Wer sind deine Eltern?« begann er, es verschmähend, sich nach ihrem eigenen Namen oder Schicksal zu erkundigen.
»Ein Hauptmann von den Kroaten; die Mutter starb früh weg«, erwiderte das Mädchen, mit ihren dunkeln seinen hellen Augen ausweichend.
»Ich werde dich deinem Vater zurücksenden«, sagte er.
»Nein«, antwortete sie, »er würde mich erstechen.«
Eine mitleidige Regung milderte die Strenge des Königs. Er suchte für das Mädchen einen geringen Straffall. »Du hast dich im Lager in Männerkleidern umgetrieben, dieses ist verboten«, beschuldigte er sie.
»Niemals«, widersprach die Korinna aufrichtig entrüstet, »nie beging ich diese Zuchtlosigkeit.«
»Aber«, fuhr der König fort, »du brichst die Ehe und machst eine edle junge Fürstin unglücklich.«
Eine rasende Eifersucht loderte in den Augen der Slawonierin. »Wenn er nun mich mehr, mich allein liebt, was kann ich dafür? was kümmert mich die andere?« trotzte sie wegwerfend. Der König betrachtete sie mit einem erstaunten Blicke, als frage er sich, ob sie je in eine christliche Kinderlehre gegangen sei.
»Ich werde für dich sorgen«, sagte er dann. »Jetzt befehle ich dir: Du lässest von dem Lauenburger auf immer und ewig. Deine Liebe ist eine Todsünde. Wirst du gehorchen?« Sie hielt erst mit zwei lodernden Fackeln, dann mit einem festen, starren Blick den des Königs aus und schüttelte das Haupt. Dieser wendete sich gegen den Generalgewaltigen, der unter der Türe stand.
»Was soll der mit mir?« frug das Mädchen schaudernd. »Ist's der Henker? Wird er mich richten?«
»Er wird dir die Haare scheren, dann bringt dich der nächste Transport nach Schweden, wo du in einem Besserungshause bleibst, bis du ein evangelisches Weib geworden bist.«
Ein heftiger Stoß von wunderlichen Befürchtungen und unbekannten Schrecken warf das kleine Gehirn über den Haufen. Ein geschorenes Schädelchen, welche entehrendere, beschämendere Entblößung konnte es geben! Schweden, das eisige Land mit seiner Winternacht, von welchem sie hatte fabeln hören, dort sei der Eingang zum Reiche der Larven und Gespenster! Besserung? Welche ausgesuchte, grausame Folter bedeutete dieses ihr unbekannte Wort? Ein evangelisches Weib? Was war das, wenn nicht eine Ketzerin? Und so sollte sie zu alledem noch ihres bescheidenen himmlischen Teiles verlustig gehen? Sie, die keine Fasten brach und keine fromme Übung versäumte! Sie ergriff das Kreuz, das an dem zerrissenen Kettchen niederhing, und küßte es inbrünstig. (...)


(aus "Gustav Adolfs Page" von C. F. Meyer)
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