(...)
REITEN, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag.
Reiten, reiten, reiten.
Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge
mehr, kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten hocken
durstig an versumpften Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche
Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht manchmal glaubt man
den Weg zu kennen. Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder das Stück
zurück, das wir in der fremden Sonne mühsam gewonnen haben? Es kann
sein. Die Sonne ist schwer, wie bei uns tief im Sommer. Aber wir haben
im Sommer Abschied genommen. Die Kleider der Frauen leuchteten lang aus
dem Grün. Und nun reiten wir lang. Es muß also Herbst sein. Wenigstens
dort, wo traurige Frauen von uns wissen.
DER von Langenau rückt im Sattel und sagt. »Herr Marquis ... « Sein
Nachbar, der kleine feine Franzose, hat erst drei Tage lang gesprochen
und gelacht. Jetzt weiß er nichts mehr. Er ist wie ein Kind, das
schlafen möchte. Staub bleibt auf seinem feinen weißen Spitzenkragen
liegen; er merkt es nicht. Er wird langsam welk in seinem samtenen
Sattel. Aber der von Langenau lächelt und sagt: »Ihr habt seltsame
Augen, Herr Marquis. Gewiß seht Ihr Eurer Mutter ähnlich -«, Da blüht der Kleine noch
einmal auf und stäubt seinen Kragen ab und ist wie neu.
JEMAND erzählt von seiner Mutter. Ein Deutscher offenbar. Laut und
langsam setzt er seine Worte: Wie ein Mädchen, das Blumen
bindet, nachdenklich Blume um Blume probt und noch nicht weiß, was aus
dem Ganzen wird -: so fügt er seine Worte. Zu Lust? Zu Leide? Alle
lauschen. Sogar das Spucken hört auf. Denn es sind lauter Herren, die
wissen, was sich gehört. Und wer das Deutsche nicht kann in dem Haufen,
der versteht es auf einmal, fühlt einzelne Worte: »Abends« ... »Klein
war ... «
DA sind sie alle einander nah, diese Herren, die aus Frankreich kommen und aus
Burgund, aus den Niederlanden, aus
Kärntens Tälern, von den böhmischen Burgen und vom Kaiser
Leopold. Denn was der Eine erzählt, das haben auch sie erfahren und
gerade so. Als ob es nur eine Mutter gäbe...
SO reitet man in den Abend hinein, in irgend einen Abend.
(...)
(aus "Die
Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" von Rainer
Maria Rilke)
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