Rainer Maria Rilke: "Der Panther"

Poesie für Kinder. Illustriert von Julia Nüsch


"Der Panther" ist ein Gedicht von einem Gedicht. Ein einmaliges Ereignis, das seinen Zauber über viele Jahre erhalten hat. Wer in einem Zoo einen Panther zu Gesicht bekommt, der muss unweigerlich an Rainer Maria Rilke denken. Der exzellente Reimschmied hat eine große Anzahl von Gedichten verfasst, viele davon außerordentlich. Doch "Der Panther" sticht hervor, weil er ein Gefühl widerspiegelt. Ein Gefühl, das von einem Raubtier ausgeht, das zu einem Leben in einem Käfig im Zoo verurteilt wurde. Dieser Panther ist nicht vermenschlicht, er ist nicht lieblich, er ist, wer er ist. Und er bleibt auch als Gefangener sich selbst treu. Er ist allein, er hat nichts außer seinen Blick in die Welt, der die Stäbe seines Käfigs durchdringen kann.

Rainer Maria Rilke wurde zu seinem Gedicht durch seine Besuche im Pariser "Jardin des Plantes" inspiriert. Er muss von diesem Geschöpf dermaßen beeindruckt gewesen sein, dass er die Welt aus dessen Sicht beschreiben wollte. "Der Panther" hat keinen Bezug mehr zur Welt außerhalb seines Käfigs, sein Sein hat kein Du, an dem es sich reiben oder mit dem es sich messen kann. Mit nur wenigen Zeilen stellt Rainer Maria Rilke das Leben des Panthers dar und tut dies mit einem Gefühl für den Verlust der Identität des Raubtiers, wie es nicht unmittelbarer mitzuteilen ist.

Was nun der "Kindermann Verlag" mit der Reihe "Poesie für Kinder" ins Leben gerufen hat, findet im "Panther" so etwas wie seine vorläufige Vollendung. Denn selten haben Zeichnungen eine solche Beziehung zum Geschriebenen. Die Zeichnungen sind so etwas wie Gedichte ohne Worte. Wer die Zeichnungen ansieht, kann vielleicht eine Ahnung davon bekommen, wie sich Rainer Maria Rilke gefühlt hat, als er dem Panther begegnete. Es geht nämlich nicht um den Panther allein, es geht um die Beziehung zwischen dem Panther und dem Dichter. Dies macht das Buch zu einem besonderen Erlebnis. Die Trennung zwischen dem Gegenstand der Betrachtung und dem Betrachter ist also aufgehoben. Und führt dazu, dass die Bilder eine eigene Sprache haben, die mit der Sprache des Dichters korrespondiert.

Julia Nüsch, Jahrgang 1979, die Schöpferin der wunderschönen Zeichnungen, hat Illustration an der HAW Hamburg studiert. Seit 2009 arbeitet sie freiberuflich für Agenturen, Verlage und Zeitschriften. Für den "Kindermann Verlag" hat sie zuvor "Der Kaufmann von Venedig" illustriert. Und sie hat dem "Panther" einen gefiederten Freund angedichtet, der ihn zu verstehen scheint und gleichzeitig als Muse des Dichters dient.

Rainer Maria Rilke konnte nirgends so richtig sesshaft werden. Der 1875 in Prag geborene Dichter hat im Jahr 1902 oder 1903 "Der Panther" geschrieben und damit nicht nur sich selbst, sondern mehr noch seinen "Panther" unsterblich gemacht. "Der Panther" bleibt bis heute und darüber hinaus lebendig. Er konnte, anders als Rainer Maria Rilke, nicht aus seinem Käfig ausbrechen. Der Dichter starb nach längerer Krankheit im Alter von 51 Jahren. Welches Alter der Panther erreichte, ist nicht bekannt. Oft leben Tiere im Zoo länger als in Freiheit. Ein schwacher Trost - nicht nur für Panther.

(Klabauter; 06/2018)


Rainer Maria Eilke: "Der Panther"
Illustriert von Julia Nüsch. (Ab 5 J.)
Kindermann, 2018. 24 Seiten.
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