Terry Pratchett
Das hätte einfach nicht passieren dürfen: Tod, dem Sensenmann der Scheibenwelt, ein Stundenglas in die Hand zu drücken und ihn ungefragt in den Ruhestand zu schicken, ist wirklich ein starkes Stück. Der Schnitter jedenfalls ist tödlich beleidigt und macht sich vom Totenacker. Bleibt den Verschiedenen vorerst nichts anderes übrig, als der Untoten-Selbsthilfegruppe beizutreten - Himmel oder Hölle, das Leben ist ein Jammertal, wenn nicht einmal mehr ordentlich gestorben werden kann ...
Eine der beliebtesten Einzelfiguren der Scheibenwelt ist sicherlich der Tod. In seinem klassischen Auftreten als vermummtes Skelett bringt er einige Dinge mit sich, die "Original Pratchett" sind. So spricht er in GROSSBUCHSTABEN und reitet ein ganz normales Pferd namens Binky. Und wie in dem wesentlich uninteressanteren und saubereren Film "Meet Joe Black" ("Rendezvous mit Joe Black") mit Sir Anthony Hopkins und Brad Pitt ist der Tod immer wieder überrascht von den Vorstellungen seiner Kunden.
Eines Tages bekommt er von den Auditoren der Realität - die uns auch noch in anderen Werken negativ auffallen sollen - die Botschaft, dass er in den Ruhestand gehen soll. Sein Abschiedsgeschenk ist ein persönlicher Lebensstandanzeiger. Nach einer anfänglichen Verwirrung verabschiedet er sich von seinem Faktotum und begibt sich für den Rest seines Lebens auf die Scheibenwelt, um dort zu versuchen, ein normales Leben zu führen. Unter dem Namen "Bill Door" nimmt er eine Stelle bei einer alten Dame an, wo er als Erntehelfer mit seiner Sense schnell großen Erfolg erzielt. Er nimmt Dinge des menschlichen Lebens wahr, die ihm zuvor unbekannt waren, wie Schlaf, Träume und das Aufbauen von Freundschaften. Und er stellt fest, dass das Leben irgendwie lebenswert ist.
Wenn der Tod auf Urlaub ist und noch keine Vertretung vorhanden, wird das Sterben kompliziert. Dies wird als Erstes deutlich am Fall des Zauberers Windell Poones, der - wie alle Zauberer - seinen Todeszeitpunkt schon im Vorhinein wusste. Als er dann bei seiner eigenen Todesfeier in der unsichtbaren Universität in Ankh-Morpork nicht termingerecht stirbt, sind alle Anwesenden überaus verwirrt. Sehr bald gibt es neben Windell auch noch andere Personen, die sich nicht ins Totenreich begeben können, weswegen diese dann eine Art Selbsthilfegruppe bilden. Doch bald haben diese Selbsthelfer mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen, als in der ganzen Stadt zunächst seltsame Briefbeschwerer auftauchen, die Windell an Frühstück denken lassen, und die sich schließlich als eine Form von Eiern herausstellen, aus denen Einkaufswagen schlüpfen. Diese Eier und Einkaufswagen sind zwei Stadien in der Entwicklung von Vorstädten mit großen Einkaufszentren, die den gewachsenen normalen Städten die Einwohner - und damit das Leben - entziehen. Diese Art des Sterbens der Innenstädte kennen wir nur allzu gut aus unserer runden Welt und man ist richtig traurig, dass es keine Gruppe von kampfbereiten Zauberern - mit der Unterstützung eines Boogie-Mannes und einiger Werwölfe - gibt, die gegen diese parasitären Städte vorgehen. Hier ist die Kritik Pratchetts sehr treffsicher und dadurch auch entsprechend unterhaltsam.
Diese Ereignisse werden immer wieder unterbrochen durch "Bill Doors" Erfahrungen mit dem realen Leben und der Liebe, die schließlich ebenfalls zu einem fürchterlichen Kampf führen, als er ein Mädchen aus einem brennenden Haus rettet, das eigentlich hätte sterben sollen und wenig später sein Nachfolger auftaucht, um ihn und das Mädchen zu holen.
Doch
das Buch endet auf einer eher romantischen und nachdenklichen Note, die einen
geradezu zu Tränen rühren kann und wogegen "Joe Black" wirklich kalter Kaffee
ist. "Alles Sense" ist eine meiner absoluten Lieblingsgeschichten von Terry Pratchett
und ich hoffe, dass ich sie einigen anderen Leserinnen und Lesern mit dieser Kritik
wirklich an Herz legen konnte.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 06/2003)
Terry Pratchett
(Originaltitel
"Reaper Man")
Aus dem Englischen von Andreas Brandhorst.
Goldmann, 1998.
288 Seiten.
ISBN 3-442-42130-6.
ca.
EUR 8,-. Buch bestellen
und hier wartet die Besprechung eines weiteren Pratchett-Romans