Waldemar Bonsels: "Die Biene Maja und ihre Abenteuer"


Wiederentdeckung des Originals

Schon als Maja ganz frisch aus ihrer Puppe geschlüpft ist, verhält sie sich anders als die meisten jungen Bienen. Ihrer Lehrerin Kassandra stellt sie lauter ungewöhnliche Fragen, und sie hat eine gute Beobachtungsgabe. Bald wird Maja bewusst, dass sie keine Lust hat, wie die anderen Bienen tagaus, tagein Honig heranzuschaffen. Sie möchte die Welt und vor allem die Menschen kennenlernen.

Und so reißt Maja schon bei ihrem ersten Flug aus und bleibt allein. Sie knüpft viele Bekanntschaften, und aufgrund ihres unbekümmerten, freundlichen Wesens gewinnt sie auch einige Freunde, was ihr in gefährlichen Situationen, zum Beispiel im Netz der Spinne Thekla, zugute kommt. Über die Menschen hört sie allerdings nur Schlechtes - sehr zu ihrer Überraschung, denn von Kassandra und den Ihren hat sie erfahren, dass die Menschen Freunde der Bienen sind und diese schützen.
Maja begegnet den Menschen unmittelbar erst, nachdem ihr ein Blumenelfchen diesen ihren größten Wunsch erfüllt, und sie lernt die Menschen von ihrer besten Seite kennen.
Bald darauf wird Maja von den Hornissen gefangengenommen und muss dem Tod ins Auge sehen. Noch schlimmer: sie belauscht, dass die Hornissen ihren Stock überfallen und ihre Königin töten wollen. Sofort erwacht Majas Loyalität.
Wie aber soll Maja, eingekerkert im Hornissennest, ihr Volk retten?

Freund Willi, Grashüpfer Flip, den Regenwurm Max und manch andere aus Filmen und Comic bekannte Figur sucht man im Original vergeblich, das dafür wesentlich mehr Tiefe besitzt als die Bearbeitungen und Leser oder Zuhörer mehr fordert, weil einige Figuren etliche Kapitel später noch einmal auftauchen und dann Bedeutung als Retter in der Not erlangen. Für Kleinkinder eignet sich das Buch, anders als die Fernsehfilme, nicht; Kinder ab etwa vier Jahren können hingegen mit dem Inhalt schon etwas anfangen, auch wenn Vorlesende manches aus dem Gebrauch verschwundene Wort erläutern müssen. Dass Spinnen als Insekten bezeichnet werden, ist aus heutiger Sicht nicht richtig, aber bei "Biene Maja" handelt es sich nicht um ein Sachbuch. Da diese Ausgabe wie das Original in der "alten" Rechtschreibung gesetzt ist, sollte man es auch lesekundigen Kindern lieber vorlesen.

Mancher Elternteil wird vermutlich angesichts der Unterscheidung von Jungen und Mädchen aus Insektensicht etwas stutzig werden: "Es gibt niemand, der nicht Angst vor ihnen hätte, besonders vor den kleinen, bei denen man die beiden Beine deutlich unterscheiden kann. Diese heißen Knaben." Und die anderen trugen damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, noch ausnahmslos Röcke. Deshalb also. Hinzu kommt die neoromantische Orientierung des Autors, an die man sich aufgrund des Charmes der fantasievollen, liebenswerten Darstellung jedoch rasch gewöhnt. Die Geschichte selbst ist, wie erwähnt, wesentlich tiefgründiger als spätere Bearbeitungen. Es geht darin um die Gratwanderung zwischen Individualismus und Anpassung an die umgebende Gesellschaft, um Loyalität und eigenständiges Denken, darum, je nach Situation anerzogenes Wissen und Verhalten oder eigene Erfahrung einzusetzen und sich selbst treu zu bleiben, die eigenen guten Eigenschaften aber auch Anderen zur Verfügung zu stellen.

Die Originalillustrationen mit ihren Jugendstilanklängen haben nichts mit den Zeichentrickfiguren gemein. Maja ist hier eine richtige Biene mit Facettenaugen und in zarten Pastellfarben schillernden Flügeln, sechs klassischen Insektenbeinen und einem dreiteiligen Körper. Die Bilder stellen zentrale Situationen der einzelnen Episoden dar und könnten trotz ihrer kunstvollen Gestaltung beinahe einem älteren Pflanzen- und Insektenbestimmungsbuch entstammen.

Wenngleich es sich um ein bezauberndes Vorlesebuch handelt, dürften auch die meisten Eltern begeistert sein von den so spannenden wie klugen Texten und aparten Illustrationen - vielleicht sogar mehr als die Kinder, falls diese bereits die leichter bekömmliche, freilich im Vergleich zu diesem Buch oberflächliche Filmversion verinnerlicht haben. Als Ergänzung dazu eignet sich das Buch folglich nicht sonderlich, sondern eher als erster Kontakt mit der wagemutigen, liebenswürdigen kleinen Biene.

(Regina Károlyi; 08/2007)


Waldemar Bonsels: "Die Biene Maja und ihre Abenteuer"
DVA, 2007. 172 Seiten. (Ab 4 J.)
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Waldemar Bonsels (21. Februar 1880 - 31. Juli 1952) bereiste nach einer Ausbildung zum Missionskaufmann Indien, später Europa, Ägypten sowie Amerika und war zeitweise als Verleger in München tätig. Seine Leser begeisterte er nicht nur mit der "Biene Maja", sondern auch mit Reise- und Naturschilderungen.

Noch ein Buchtipp:

Bernhard Viel: "Der Honigsammler. Waldemar Bonsels, Vater der Biene Maja"

In einem wohlbekannten Land, vor gar nicht allzu langer Zeit ...
Noch immer schwirrt seine Biene Maja durch jedes Kinderzimmer, in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war er einer der meistgelesenen Schriftsteller überhaupt, seine Bücher fanden sich im Tornister eines jeden Soldaten: Waldemar Bonsels, der Schöpfer der vorwitzigen Biene, ist heute der wohl unbekannteste deutsche Erfolgsautor.
Diese erste Biografie folgt Bonsels auf seiner Suche nach dem süßen Leben in den letzten Jahren des Kaiserreichs ins Zentrum der Münchner Bohème. Sie erzählt, wie er, inspiriert von Heinrich Mann, an der Seite von Frank Wedekind und Lion Feuchtwanger gegen die bürgerlichen Konventionen aufbegehrte und seine abenteuerlustige Maja erschuf.
Und sie zeigt, wie sich der Erfolgsschriftsteller schließlich dem Regime der Nazis andiente und nach dem Krieg mit einem Publikationsverbot belegt wurde. So rückt auch seine "Biene Maja" in ein neues, düsteres Licht: Entpuppt sich das Buch am Ende als Lehrstück der Naziparole "Gemeinnutz geht vor Eigennutz"?
Bernhard Viel liefert nicht nur eine Antwort auf diese Frage, ihm gelingt dabei auch ein großartig ausgepinseltes Epochenpanorama mit dem zeittypischen Porträt eines radikalen Opportunisten sowie die Klärung des anhaltenden Erfolgs der "Biene Maja". (Matthes & Seitz)
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