Isabel Allende: "Die Stadt der wilden Götter"
Der 15-jährige Alexander Cold lebt zusammen mit seinen Eltern, seinen
beiden Schwestern und einem tollpatschigen Hund namens Poncho in
Kalifornien. Vor geraumer Zeit erlitt die Familie einen schweren
Schicksalsschlag. Alexanders Mutter erkrankte plötzlich an Krebs. Durch
das rasche Fortschreiten der Krankheit verschlechtert sich ihr Zustand
sehendlich. Alle Familienmitglieder werden im täglichen Zusammenleben
auf eine harte Probe gestellt. Sterben und Tod sind seither ständiges
Gesprächsthema. Jeder versucht auf seine Weise den von dieser Situation
ausgehenden Schmerz zu verarbeiten.
Als Alexander zufällig mit ansehen muss wie sich seine Mutter aus Angst
vor der bevorstehenden Chemotherapie ihrer Haare entledigt, rastet er
völlig aus und verwüstet sein Zimmer.
Nach diesem Vorfall beschließt John Cold, seinen am Boden zerstörten Sohn zwecks
psychischer Entlastung zu seiner Großmutter nach
New York zu schicken. Diese soll gerade als Journalistin im Auftrag der
Zeitschrift International Geographic an einer Expedition in
das Amazonasgebiet, genauer in den Urwald zwischen Venezuela und Brasilien
teilnehmen, um nach einem riesenhaften, menschenähnlichen Wesen zu suchen, welches
dort bereits einige Male gesichtet wurde. Alexander, der alles Andere als unternehmungslustig
und waghalsig ist, lässt sich trotzdem auf die abenteuerliche Reise mit seiner
Oma ein.
Im brasilianischen Manaus treffen sie auf die weiteren Mitglieder der
Expedition. Das Team umfasst Alexander, seine Großmutter Kate Cold,
eine energische alte Dame, den englischen Fotografen Timothy Bruce, den
berühmten Anthropologen Ludovic Leblanc, der seinem Geschlecht durch
männliche Überheblichkeit alle Ehre macht, und die außerordentlich gut
aussehende venezolanische Ärztin Dr. Omayra Torres. Geführt wird das
Team vom Mexikaner César Santos, den seine 14-jährige Tochter Nadia
begleitet. Sie spricht als Einzige der Gruppe etliche Indianersprachen
und wird somit für die gefährliche Unternehmung unentbehrlich.
In der ersten Nacht treffen Nadia und Alexander abseits des Lagers auf
einen alten Schamanen, der ihnen prophezeit, dass die Fremden nicht
nach der Bestie suchen sollen, denn dies würde einige von ihnen das
Leben kosten. Sie beide wären jedoch reinen Herzens und würden gerufen
werden.
Während des gesamten Urwaldaufenthalts haben die Expeditionsteilnehmer
das Gefühl beobachtet zu werden, doch im Dickicht des Dschungels kann
niemand ausgemacht werden. Als schließlich einer der Träger von einem
indianischen Giftpfeil getötet wird, fühlen sich einige Besucher in
ihrer Angst vor den "blutrünstigen" Indianern bestätigt. Nadia und Alex
glauben nicht daran und werden prompt von so genannten Nebelmenschen
entführt. Diese bringen die beiden Jugendlichen in ihr Dorf, das so
versteckt liegt, dass es weder von Goldgräbern noch von anderen
unerwünschten Fremden jemals heimgesucht wurde. Die Indianer hoffen,
ihre Heimat und ihren Stamm mit Hilfe von Alexander und Nadia vor
Rahakanariwa, dem bevorstehenden Bösen, schützen zu können. In einer
ihrer Visionen erfährt das Mädchen, dass nur drei Eier aus Kristall das
Schicksal des Dorfes verhindern können. Diese befinden sich an der
Spitze des heiligen Berges, dem Sitz der Götter des Stammes.
Selbstverständlich wagen die beiden Jugendlichen den Weg dorthin,
stoßen dabei auf das sagenumwobene El Dorado und kommen dahinter, was
es mit den göttlichen Vogelwesen auf sich hat. Nebenbei überwinden sie
ihre tiefsten Ängste und erhalten dafür die benötigten Kristalle und
als Draufgabe ein Wasser, welches Alexanders kranker Mutter das Leben
retten soll.
Nach diesen prägenden Erlebnissen und um einige Erfahrungen reicher,
kehren sie in das Expeditionslager zurück, wo sie zwischen Indianern
und Weißen vermitteln und einen Giftanschlag auf das Urwaldvolk
vereiteln können. Die Menschheit ist gerettet!
"Die Stadt der wilden Götter" ist in 20 Kapitel unterteilt, jedes davon
umfasst zirka 20 bis 25 Seiten. So kommt es zu einem Gesamtumfang von
knapp 380 Seiten. Für jugendliche Vielleser stellt dies kein Problem
dar, jedoch sollten Ungeduldige, vor allem aber Spannungshungrige die
Finger davon lassen. Isabel Allendes Roman plätschert gemütlich vor
sich hin, Dinge nehmen ihren Lauf und enden irgendwann wieder. Die auf
der Buchrückseite nachzulesenden Bezeichnungen "Krimi und
Abenteuerroman" sind fehl am Platz.
Dem Fantasy-Genre wird das Buch am ehesten gerecht. Zahlreiche Elemente wie
Zauberei, magische Gegenstände, Tiere mit menschlichen Eigenschaften und junge
Helden, deren Aufgabe die Rettung der Schwächsten ist, bestimmen die Handlung.
Es ist mehr eine Art Traumreise, die Alexander unternimmt; ein Ausflug
in sein Inneres, in seine Fantasie. Die Welt geht über die Wirklichkeit
hinaus.
Isabel Allende verliert sich hier allzu oft in träumerischen
Illusionen, Fiktionen und langatmigen Beschreibungen. Viele
Nebensächlichkeiten zerfließen und ergießen sich über zahlreiche
Seiten. Der Urwald Brasiliens mag durch seine außerordentliche
botanische und animalische Vielfalt wohl bestechen, doch wäre die
Geschichte auch mit wenigeren Schilderungen darüber ausgekommen.
Beeindruckend ist die ständig mitschwingende und teilweise auch deutlich ausgesprochene Kritik an der Gesellschaft: Pater
Valdomero hatte es aufgegeben, ihnen zu erklären, dass Christus am
Kreuz gestorben war, um die Menschheit von ihren Sünden zu erlösen,
weil die Indianer über die Vorstellung eines solchen Opfers entsetzt
waren. Sie wussten nicht, was Schuld ist. Sie verstanden auch nicht,
wieso sie bei diesen Temperaturen Kleider tragen und wozu sie
Besitztümer anhäufen sollten, wo man ja doch nichts mitnehmen konnte,
wenn man starb. Auch ihre Idee von einer idealen Gesellschaft liefert die Autorin in diesem Werk mit: Es war ein Tabu, Frauen und Kinder zu
misshandeln
und wer es brach, wurde aus der Familie ausgestoßen, musste allein
schlafen und wurde selbst in der Junggesellenhütte nicht mehr geduldet.
... Die Kinder schauten sich alles, was sie brauchten, bei den
Erwachsenen ab. ... Jeder lernte in seiner eigenen Geschwindigkeit und
konnte seine Begabungen entwickeln. Die fiktive Stadt der wilden
Götter und das Dorf der Indianer im tiefen Dschungel verkörpern ihre
Vorstellungen von der idealen Menschheit.
Fantasyfreunde und solche, die es werden wollen, sollten sich auf die
Traumreise in das Innere des Amazonas einlassen. Allen Anderen rate ich
lieber zu Hause zu bleiben.
(NiNanu; 08/2005)
Isabel
Allende: "Die Stadt der wilden
Götter"
Übersetzt von Svenja Becker. (Ab 12 J.)
dtv, 2005. 384 Seiten.
ISBN 3-423-62191-5.
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