Familienvermittlungsagentur Berger


„Familienvermittlungsagentur Berger, Bohnstingl mein Name, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Ja, ich weiß nicht so recht“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, die zu Hermann Pollinger gehörte. „Düfte ich vielleicht Ihren Namen erfahren, mein Herr?“, fragte die Telefonistin. „Ja natürlich“, sagte Pollinger und nannte ihn ihr. „Haben Sie sich denn vorab über unsere Dienstleistungen im Internet informiert?“, hielt Frau Bohnstingl das Gespräch am Laufen. „Ja, habe ich, aber …“ Aha, ein Aber-Kunde, dachte Frau Bohnstingl, da hilft nur das persönliche Gespräch, um ihn zu überzeugen, bloß vorher wollte sie noch wissen, ob es sich bei ihm überhaupt auszahlte. „Ich verstehe“, sagte Frau Bohnstingl, „würden Sie mir eventuell Ihren beruflichen Hintergrund verraten, Herr Pollinger?“ „Ich bin selbständiger Unternehmer und verkaufe Matratzen. „Pollinger-Matratzen – und Sie finden zur Ruhe.“ Kennen Sie diesen Slogan?“ „Er liegt mir in den Ohren“, log Frau Bohnstingl, „wäre es Ihnen möglich, zu uns ins Haus zu kommen? Frau Dr. Schmölzer informiert Sie gerne eingehend über unsere Möglichkeiten. Wann würde es Ihnen denn passen?“ „Ich kann es mir kurzfristig einrichten“, sagte Polinger. „Gut“, Frau Bohnstingl blätterte im elektronischen Terminkalender von Frau Dr. Schmölzer, „wie wäre es mit kommenden Mittwoch um sechzehn Uhr?“ „Ich werde da sein.“ „Die Adresse kennen Sie?“ „Ja, danke, auf Wiederhören.“ „Danke für das Gespräch, Herr Pollinger, auf Wiedersehen.“

Hermann Pollinger drückte auf den roten Knopf seines Handys. Er notierte sich den Termin auf einem Zettel, den er in seine Brieftasche gab. Er saß im Wohnzimmer seines Hauses und blickte in den Garten, in dem eine Sandspielkiste und eine Schaukel stehen sollten, aber nicht standen, weil kein Kind da war. Die Frau, die ihn umsorgte, war auch keine mit ihm liierte, sondern nur ein Dienstmädchen, das den Haushalt führte. Hermann war jetzt Anfang fünfzig. Längst war es Zeit, eine Familie zu gründen. Mit seiner letzten fixen Partnerin hatte er es jahrelang probiert, aber sie war nicht schwanger geworden. Da war er zum Arzt gegangen, und es hatte sich herausgestellt, dass die Beweglichkeit seiner Spermatozoen zu gering war, er war zeugungsunfähig. Wozu nun das große Haus, wenn für ihn allein? In der Firma, tagsüber, katzbuckelten die Mitarbeiter vor ihm, seine Geschäftspartner achteten ihn, kam er nach Hause, war da niemand, der ihn liebevoll erwartete, außer dem Dienstmädchen, aber das war ja auch ihr Job. Er würde gerne Bauklötze verstreut sehen und Plüschtiere auf dem Boden stehen, er wünschte sich eine Frau, die sich zurechtmachte, um mit ihm abends auszugehen, jemanden, irgendjemanden, am besten möglichst viele, die sich ehrlich freuten, wenn er unter ihre Augen trat. Jeder ist käuflich, also kann man sich auch alles kaufen, meinte Hermann. Da war er auf dieses Inserat in der Zeitung aufmerksam geworden. „Schluss mit einsam – Familienvermittlungsagentur Berger.“ Eine Familie, die man mieten kann. Die Website zeigte, dass das Basismodul aus Frau und Kind bestand, für je zwei Stunden am Tag, die Familie war beliebig erweiterbar, durch mehrere Kinder, Eltern, Schwiegereltern, am billigsten war der Hamster, die Verweildauer der Personen konnte auch rund um die Uhr sein, die Mindestmietvertragsdauer betrug einen Monat. Die Preise waren mit Sternchen versehen, welche Einschränkungen beinhalteten. Es gab einen Kalkulator, mit dem man gemäß seinen Vorstellungen seine Wunschfamilie zusammenstellen konnte, er war aber ziemlich kompliziert zu bedienen. Die Frauen waren hübsch, die Kinder nett, die Eltern gütig, die Schwiegereltern besorgt, die Tiere blickten treuherzig. Am teuersten als Frauen schienen Schwedinnen oder solche, die so aussahen, bis fünfunddreißig und blonde und blauäugige Kinder, die nicht quengelten, Mädchen waren etwas günstiger als Buben.

Jetzt gerade am Telefon mit dieser Frau Bohnenstange war Hermann ganz anders gewesen als sonst. Üblicherweise war er bestimmt, er wusste genau, was er wollte und artikulierte dies, gegensätzlich dazu hatte er vorhin wie der typisch verunsicherte potentielle Kunde gewirkt. „Man kann nicht immer souverän sein“, sagte da Hermann zu sich selbst, „jeder hat seine verletzliche Seite, aber, das ist klar, Matratzen-Pollinger wäre das nicht passiert.“ Er erhob dabei doch seine Stimme recht hoch, das Dienstmädchen hörte ihn, und sie fragte: „Kann ich etwas für Sie tun, Herr Pollinger?“ „Nein danke, Anna, es ist alles in Ordnung.“

Zwei Tage später, um kurz nach sechzehn Uhr, saß Hermann vor Frau Dr. Schmölzer, getrennt durch einen gläsernen Schreibtisch, eine Sekretärin, vielleicht Bohnenstange, es spielte keine Rolle, servierte ihm Kaffee. Frau Dr. Schmölzer war eine ausnehmend gutaussehende Frau mit einem schwarzen Band in ihren blonden Haaren, obwohl schon ein wenig zu alt, um in die Gruppe der teuersten Mietfrauen gerechnet zu werden. Sie sprach von Sehnsüchten, die sich auch erfüllen ließen und lächelte dabei ihr Verkäuferinnenlächeln mit Psychologiestudiumhintergrund. „Sie sind ein erfolgreicher Geschäftsmann, Herr Pollinger, aber sind Sie auch glücklich?“, fragte sie rhetorisch, wissend, dass Hermann es nicht war, denn sonst wäre er ja nicht hier. Nachdem er länger als zwei Sekunden nicht geantwortet hatte, zückte sie ein iPad und führte ihm kurz vor, wie ein perfektes Familienleben aussehen könnte, wobei sie ihn so gut es ging beobachtete. Hermanns Augen blieben lange am Bildschirm kleben, da sagte Frau Dr. Schmölzer: „Wir haben gerade ein Drei-Monats-Kombiangebot zum Vorzugspreis, Frau, zwei Kinder, Haustier, mit ständiger Anwesenheit, die Frau steht für üblichen Verkehr zur Verfügung, haben Sie diesbezüglich Sonderwünsche, werden sie zu einem moderaten Aufpreis auch umgesetzt. Wir können es auch einrichten, dass die Kinder Ihnen ähnlich sehen. Herr Pollinger, wäre das denn nichts für Sie?“

Hermann ließ sich einige Frauen zeigen, dann Kinder. „Wie soll Ihre Wunschfrau aussehen, wie alt soll sie sein, welche Eigenschaften soll sie haben?“, fragte Frau Dr. Schmölzer, „welche, wie viele Kinder wollen Sie und wie sollen sie sein?“, bevor sie die Dateien öffnete. Nach Hermanns Angaben erschienen Bildergalerien mit passenden Personen. „Sie sind untereinander völlig kompatibel“, erklärte Frau Dr. Schmölzer. „Jeder kann mit jedem, das ist nicht so wie in einer üblichen Firma“, setzte sie witzig wirken wollend hinzu. Hermann wünschte sich eine kurvige Frau mit schwarzen Haaren und zwei Kinder unterschiedlichen Geschlechts im Vorschulalter, unverbindlich, sowie einen Hund, einen Labrador. Frau Dr. Schmölzers Fragen nach den infrage kommenden Personen wurden präziser, die Auswahl wurde eingeschränkt. Von den verbliebenden ließ sich Hermann Videos mit Ton zeigen. „Sie können die Personen auch persönlich treffen, um sich ein Bild zu machen. Wollen Sie das, Herr Pollinger?“, erkundigte sich Frau Dr. Schmölzer. „Nein danke“, sagte er unbeabsichtigt hastig, „es ist nicht nötig. Ich weiß schon.“ „Was ich noch nicht erwähnte, Herr Pollinger“, sprach Frau Dr. Schmölzer, „ist, dass wir Ihnen nach Beendigung der Mietvertragsdauer gerne die Option auf eine Verlängerung zu einem weit verminderten Preis einräumen. Unser Leistungsangebot bleibt dabei gleich.“

Hermann nahm die Drei-Monats-Kombi mit Katja als Frau. Katja war laut Angabe der Agentur dreiunddreißig und hätte Russin sein können, war sie aber nicht, sie war Inländerin, sie sah nur so aus als ob, vielleicht irgendwelche Vorfahren. Sie war unten nicht rasiert, das war Hermann wichtig gewesen, Frau Dr. Schmölzer gegenüber vor der Vertragsunterzeichnung als gewünschtes Merkmal zu erwähnen, trimmen fand er okay, aber nicht alle Haare weg. Bei der Offenlegung seiner sexuellen Vorlieben war dann doch der Preis um einiges nach oben geschnalzt, aber das war es Hermann wert gewesen. Als Kinder wählte er Andreas, der so blond war, wie er früher gewesen war, fünf Jahre alt und aufgeweckt, und Sandra, die dunkelbraune Haare hatte, sie war eher ruhig. Dazu kam Rudi, ein schon älterer Labradorrüde von der gemütlichen Sorte. Zwanzig Prozent der Gesamtsumme waren sofort fällig gewesen, zwanzig Prozent waren beim Eintreffen der Gruppe zu zahlen, dann jeweils zwanzig Prozent zum Monatsletzten.

Heute war der erste Juli, Hermann musste die zweite Rate überweisen, denn Katja, Andreas, Sandra und Rudi waren bereits im Haus. Sie saßen im Sofa auf dem Gästezimmer, der Hund natürlich nicht, der war am Boden, und Katja hielt ihn an der Leine. Sie warteten auf ihren Einsatz. Hermann hatte sie mit „Willkommen“ begrüßt. Die Menschen hatten ihm ihre rechten Hände entgegengestreckt, die Kinder waren artig gewesen, Katja freundlich, alle etwas reserviert. „Ich denke, eine Kleinigkeit fehlt noch, bevor Sie uns als Ihre Familie ins Herz schließen können, Herr Pollinger“, hatte da Katja gesagt. Hermann hatte kurz nachgedacht. „Natürlich“, hatte er geantwortet, „einen Moment bitte“ und sie ins Gästezimmer gebeten. Brummend warf der Drucker den Überweisungsbeleg aus. Hermann zeigte ihn Katja. Sie betrachtete ihn genau, schien die Daten der Empfängerbank zu überprüfen. Jetzt lächelte sie und fiel ihn mit „Hallo Schatz“ um den Hals, die Kinder umarmten ihn und nannten ihn „Papa“, Hund Rudi wedelte sogar mit dem Schwanz.

Hermann führte die Kinder in ihre Zimmer und Rudi in die Hundehütte im Garten. Die benötigten Möbel für das Familienleben hatte er über die Agentur geleast, auch die Hundehütte und die Spielsachen für die Kinder, die kannte eine Firma, die sie gegen Entgelt bereitstellte. Katja hatte kein eigenes Zimmer, ihr Schlafplatz war an der linken Seite von Hermanns Doppelbett, das nun für drei Monate ihr gemeinsames war, Hermann hatte ihr ein weißes Schminktischchen in den Raum stellen lassen. „Oh Hermannlein, das ist ja wunderbar. Was du alles für mich tust!“, jubelte Katja, als sie es sah. Die Kinder kamen hereingelaufen. „Papa, spielst du mit uns?“, baten sie. Hermann baute mit Andreas eine Burg aus Legosteinen, das sie mit Rittern, Knechten und Burgfräulein bevölkerten, dann war Hermann auf allen vieren das Pferd, auf dem Andreas ritt, währenddessen Sandra ganz still in ihrem Zimmer wartete. „Papa, noch ein bisschen!“, rief Andreas ihm nach, als Hermann in ihr Zimmer ging. Sie kletterte auf seinen Schoß, und er las ihr aus einem Märchenbuch vor. Nach einiger Zeit betrat Katja das Zimmer. „Na, ihr zwei Hübschen, habt ihr noch immer nicht genug?“, fragte sie und schlug vor, gemeinsam in den Garten zu gehen, die Sonne sei so schön, vielleicht ein wenig im Pool zu plantschen. „Was meinst du, Schatz?“

Als das Dienstmädchen das Mittagessen servierte, redete sie Katja mit „Ma´am“ an. Die Kinder hatten ausgezeichnete Tischmanieren, und Katja trank den Wein nur, wenn er ihr angeboten wurde, dann aber trank sie jedes Glas leer. Abends trottete Hund Rudi beim Spazierengehen neben Hermann her. Derweilen brachte Katja die Kinder zu Bett. Hermann betrat das Haus, Rudi bezog die Hundehütte. „Gute Nacht, Papa“, rief Andreas aus seinem Zimmer. Hermann ging kurz hinein und wischte ihm übers Haar. „Gib mir ein Bussi, Papa“, sagte Sandra gerade laut genug, dass Hermann es hörte. Er tat es, und sie drückte dabei seine Hand. Katja erwartete ihn im Schlafzimmer in einem brombeerfarbenen Negligé. „Ich habe lange darauf gewartet“, flüsterte sie, als er sie in den Arm nahm. Die Agentur hatte nicht zu viel versprochen: Katja machte alles mit, was er im Leistungskatalog definiert hatte, es schien ihr sogar Spaß zu bereiten, und sie tat es mit Liebe.

Es wurde ein für Hermann unvergesslicher Juli. Er hielt sich beruflich zurück, es waren auch zwei Wochen Betriebsferien, aber wenn er doch in der Firma gewesen war und von ihr nach Hause kam, liefen die Kinder mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, Hund Rudi bellte, als ob er „Hallo Herrl“ sagen wollte, und Katja küsste ihn, wobei sie ihre Arme um seine Hüften legte, als ob sie ihn schon ihr halbes Leben kannte. Andreas wollte gleich mit ihm Fußball spielen, Sandra zeigte ihm ihre Puppe mit neuen Kleidern. Der Hund erbettelte von Hermann sein Fressen.

„Sagen Sie mal, Anna, was tut denn meine Familie, wenn ich nicht hier bin?“, fragte er sie einmal. „Die Frau und die Kinder sitzen vor tragbaren Computern, und der Hund kaut an seinem Knochen“, entgegnete sie. „Sonst sind sie nicht aktiv, sind Sie sich sicher?“ „Mir ist weiters nichts aufgefallen, Herr Pollinger“, antwortete sie. Sandra war das anhängliche Mädchen, Andreas Papas lieber Lauser. Hermann spielte mit ihm mit Matchboxautos, es war gegen Ende des Monats, da fiel ihm der zirka einen Zentimeter lange dunkle Nachwuchs im Haar des Buben auf. Katja war immer frohen Mutes und bemüht um das Wohlergehen ihres Auftragsehemanns, sie lachte viel und wurde feurig, wenn Hermann Lust nach ihr verspürte.

Am Einunddreißigsten überwies Hermann die dritte Rate. Nach der Senden-Bestätigung des Online-Banking-Programmes fehlte ein erheblicher Betrag auf seinem Konto. Im August und besonders im September musste Hermann wieder mehr arbeiten, und die Agentur war nicht bereit, sich mit ihm auf Diskussionen über eine Verringerung der Vertragssumme wegen seiner häufigen Abwesenheit von seiner Mietfamilie einzulassen. Der Chef der Rechtsabteilung erklärte Hermann telefonisch, die Familie stehe zu seiner ständigen Verfügung, und wenn er ihre Dienste nicht stets nützen wolle oder könne, sei das nicht das Problem der Familienvermittlungsagentur Berger. Der stundenweisen Abrechnung ihrer Leistungen, um die Hermann ersucht hatte, könne leider nicht entsprochen werden, „aber ich wünsche Ihnen noch viel Spaß mit Frau, Kindern und Hund.“

Hermann hatte sich an seine Familie gewöhnt, sie war ihm vertraut geworden, und er wollte sie nicht missen. Auch der August und der September waren wunderbar. Am letzten Tag, nach dem Akt, Katja lag neben Hermann im Bett, fragte sie ihn: „Willst du verlängern?“ Woraufhin Hermann vorerst nichts antwortete, da er ihr nicht sagen wollte, dass dafür sein Geld nicht reichte, sondern nur für regelmäßige Bordellbesuche oder um vielleicht Anna zu überreden, mit ihm gegen Bezahlung ins Bett zu gehen.


(Johannes Tosin)