Sportarten für Intellektuelle


1. Besoffen joggen

Am besten Nachts, im Laternenschein, in ausgestorbenen Anlagen, Strassen, auf entleerten Plätzen. Man suche sich dafür Kleinstädte oder friedliche Städte mittlerer Größe aus, in denen man sich sicher fühlt und voll aufgehen kann in der Wurstigkeit nach einigen Gläsern wohlschmeckenden Weins.

Der Abend zerfällt in zwei Teile: Anfangs saß man in einem Restaurant, einem Club oder einer Kneipe und aß wenig, trank aber umso mehr. Sollte diese Beschreibung bereits bekannt sein oder bei Ihnen sogar das Landläufige, eine Form des Dauerzustandes, darstellen, vergessen Sie diese Ablenkung. Sie sind Alkoholiker!

Wer das aber nicht kennt, der sitze dort und trinke genüsslich mehr als ihm zusteht, versuche dann, auf schwankendem Boden unauffällig das Lokal zu verlassen und stehe dann im Joggingdress und weichen Laufschuhen vor der Tür, um langsam und übergangslos wegzulaufen.

Im Vordergrund steht einerseits Nonchalance, sprich Wurstigkeit. In Ihrem Gehirn bedeutet Wurstigkeit die Unbeteiligtheit in Bezug auf die Strecke, die Sie nun zurücklegen. Touren Sie im Laufschritt die ganze Stadt ab oder joggen Sie hundert Meter in eine Richtung zu zurück, oder kreiseln Sie im Park auf dem Rasen um ein Blumenbeet – dergleichen Konstanten sind für Sie im Alkoholrausch unwichtig geworden.

Für Ihre Glieder bedeutet Wurstigkeit das erleichternde Nicht- oder Kaumgefühltwerden. Das ist angenehm für Ihre Glieder wie auch für Sie. Die Schmerzen sind weg, und die Aufsicht und Strenge Ihrer Beobachtung ebenfalls. Befreit trabt der Körper durch die Natur, wie abgelöst von Ihrem Leben, Ihren Gedanken und Absichten. Zugleich trainieren Sie Ihren Körper und bauen Alkohol ab, bevor der Stoffwechsel und seine Enzyme Zugriff bekommen, und missliebige Katerstimmung hervorrufen kann.

Besoffen joggen ist eine subtile Form der Perversion, sich vorteilhaft gehen lassen zu wollen.


2. Mit einer Zigarre in der Hand Rollschuh laufen

Es handelt sich im Prinzip um eine Variante des vorhergehenden Kapitels, die allerdings weitreichendere Folgen hat. Anstatt der Wurstigkeit beschert es nämlich eine Empfindung von Eleganz und des Schwebens, die eher eine gesteigerte Form der Selbstempfindung darstellt.

Die Vorbereitung ist aufwendig und kostenintensiv, soweit Sie nicht zufällig bereits in Vorleistung gegangen sind.

Nehmen wir an, Ihre Kindheit habe im Norden Deutschlands stattgefunden, im Land der Bolder und Deiche. Es gibt dort im Winter langgestreckte Kanäle, auf denen man Eisschuh laufen kann. Vielleicht strebten Sie schon als Kind über das glatte Grau hinaus in die weiße Kälte, um heimlich Zigaretten zu rauchen. Der weiße Dampf des Atems wurde durch den weißen Rauch der Zigarette verstärkt, wobei die eigenartige Kontrastwirkung zwischen dem Kältephänomen einerseits und dem anheimelnden Feuer des anderen Ihnen wie ein versteckter Hinweis auf das Geheimnis des Lebens an sich erschien, denn auch Ihr Atem war Wärme, und konnte durch die Wärme des verbrennenden Tabaks unterstützt werden.

Sollten Sie dieses Phänomen längst Tag für Tag gedankenlos abspulen lassen, überspringen Sie diese Ablenkung. Sie sind Kettenraucher, Ihre Lungen sind längst Teerklötze und schrumpeln gegenwärtig zu nutzlosen Wischlappen zusammen, aus denen demnächst Krebsknoten wuchern könnten, was Ihnen keiner wünscht.

Sollten Sie aber zu jenen Menschen gehören, die nicht dauernd an die nächste Zigarette denken, dann ist das Hantieren mit Tabakrauch eine wunderbare Beschäftigung, und die Chance, aus der einfachen, lässigen Bewegung des mit Schlittschuhschritten Dahingleitens eine Inszenierung zu machen einer doppelt gekonnten, sportlichen Lässigkeit.

Dazu eignet sich nichts besser als eine gute Zigarre, im Humidor gereift zu einer Aroma verströmenden, weichen, keinesfalls knisternden Wurst, das Mundstück gekappt, die Spitze gleichmäßig zum Glühen gebracht, eine Einstundenzigarre, die Sie nun auf einer wohlausgesuchten Bahn Asphalts perfekter Glätte, nicht zu bevölkert, während einer sonnigen Abendstunde aufrauchen.

Sie laufen zügig, ohne aber zu hetzen. Bevor es losgeht, trinken Sie eine Flasche Leitungswasser aus, um sich recht gut anzufeuchten und die Schleimhäute auf die verstärkte Belastung durch Sport und Rauch vorzubereiten. Während Sie nun Ihre Bahn ziehen, atmen Sie weit rascher und intensiver, und darauf setzen Sie als Hütchen in nicht zu knappen Abständen ein Paffen aus der Zigarre.

Abgesehen davon, dass Sie einen exzentrischen, aber doch kunstvoll gelassenen Eindruck der Nonchalance hervorrufen, beginnt nun Ihr Herz zu klopfen von einer Mischung aus Gefordertsein der Muskeln und Giftwirkung des Nikotins, ein eigenartiger, euphorisierender Zauber, der Sie immer zufriedener macht und Ihr Äußeres zunehmend verschönert. Kraft, Schnelligkeit und zugleich die kluge Zurückhaltung eines bereits Dahinrasenden, der nur mehr mit Geschicklichkeit die Rundung der Bahnen seiner Schuhräder innerlich nachzieht und unmerklich korrigiert, verbindet sich hier mit einer gezielten und gekonnten Intoxikation, die dazu angetan ist, die Länge Ihrer Laufzeit auszudehnen und Ihren Appetit herunterzuschrauben im Bewusstsein der Schönheit dieses Dahinschwebens.

(Weitere Kombinationen zwischen sportlichen Tätigkeiten und Rauschmitteln entfallen hier aus Platzgründen. Versuchen Sie allerdings, Unfallgefahren zu reduzieren. Espresso zu nippen, während Sie im Pool Pirouetten auf der Luftmatratze ausführen, ist o.k., solange Sie dabei nicht umkippen und sich zu spät erinnern, eigentlich Nichtschwimmer gewesen zu sein.)


(Berndt Rieger)