Schweizer Tunnels
(Oder die Frage, wer hier mit wem schlief)
Wenn man des Nachts von Süden in
die Schweiz hinein fährt, kommt man über einen Pass, dessen Namen in zwei
Teile zerfällt, „Gott“ und „hard“. Früher einmal hat einem „hard“
nicht viel gesagt. Im Althochdeutschen hieß es wohl so etwas wie mutig. Heute
aber, wenn man „Gott!“ ausruft und „hard“ hinzufügt, entsteht ein
kleiner Dialog, zu dem Variationen möglich sind. Zum Beispiel: „Oh Gott! - oh
hard“. Oder: „Gott! Gott! – hard, hard.“ Und so weiter. Natürlich sind
solche Assoziationen x-beliebig und müssen gar nichts bedeuten. Ziemlich albern
außerdem, wenn man damit das innige Zusammensein mit einem liebreizenden
Partner würzen wollte.
Der Tunnel und das Einfahren in Tunnels mit einer stampfenden Motormaschine,
deren glänzende Oberfläche man feiertags zu polieren pflegt mit der
Betriebsamkeit orientalischer Intimmasseure, das ist ja an und für sich – oh
Gott! weiß Gott! Hard! Hard! – schon ein hardes Ding. Männer mit Autos, die
rot anschwellend tiefergelegt die Fahrbahn küssen mit hodenartig wulstig
vorragenden Breitreifen – das ist schon eine ziemlich schlimme Sache, die sich
extrem zuspitzt, wenn man mit der rundlichen Schnauze so eines Wagens in
Berggebieten auf lockende Tunnelhalbbögen zufährt, die dunkle Wirrnisse
bergen. Da wird eingedrungen und ausgefahren und wieder eingedrungen noch und
noch und irgendwann einmal entsteht der Eindruck einer ziemlichen Schweinerei.
In der Schweiz ist so was extrem häufig. Wahrscheinlich haben die Menschen, die
dort leben, deshalb so einen zweifelhaften Ruf. Andererseits ist mir
aufgefallen, dass es dort viel weniger Autofetischisten gibt als zum Beispiel in
Bottrop und irgendwo sonst auf dem flachen Land. Noch eine Beobachtung: Ich fuhr
ganz im Gegenteil ein dunkles, plumpes Gefährt, auf dem jede Menge Fliegendreck
klebte, und das hat keinen der Tunnels gestört. Ich hoffe, damit keine Hinweise
auf mein Intimleben gegeben zu haben.
Was aber soll man sich denken, wenn nun drei Tunnels in kurzer Abfolge mit den
Bezeichnungen „Guetli“, Intschi“ und „Platti“ auftauchen? Der
Dreisprung dieser schweizerischen Begriffe ist zu eindeutig, als dass es sich
noch um Zufall handeln könnte. Man merkt plötzlich, man hat mit seinen überhitzten
Vermutungen offenbar doch Recht gehabt, die Gegend ist genauso versaut wie
vermutet, und diese drei Tunnels stellen drei Stadien dar. Ich möchte lieber
nicht genau sagen, wovon. Aber stellen Sie sich zwei Menschen vor, einen Mann
und eine Frau, die sich irgendwie zum Schmusen absondern und mit Zärtlichkeiten
beginnen. Alles, was jetzt kommt, läuft, auf Schwyzerdütsch formuliert, dann
nach dem „Guetli-Intschi-Platti“-Schema ab. Zuerst kommt das Lob. Eine
geschmeichelte Person, die befriedigt “Guetli” spricht, um anzudeuten, was
ihr gefällt. Sie beantwortet die empfangenen Freuden mit Zärtlichkeiten, die
wieder bei ihrem Partner ein „Guetli“ auslösen. Und so sagt der eine „Guetli“,
und der andere „Guetli.“ Mal lauter, mal leiser. Man muss ja miteinander
reden, damit beide merken, was abgeht.
Also “Guetli” hier, “Guetli” da. Unversehens ist man in eine Phase
gekommen, in der das “Guetli” von dem drängenden, fordernden “Intschi”
abgelöst wird. “Intschi” ist der schwyzerdütsche Begriff für die
Innerlichkeit, die auch und vor allem beim Suchen von Intimität angestrebt
werden muss, koste es, was es wolle, es ist ein natürliches Bestreben, ein
Naturdrang, um nicht zu sagen, ein Naturschauspiel. „Intschi“ beginnt als
kleine Bitte, als Vorschlag, vielleicht nur als Andeutung. Bald aber wird daraus
eine Forderung, mal von der oder von der anderen Seite. “Intschi” kann dann
zuletzt anwachsen zum Laut, der „Guetli“ ganz ersetzt. Eine Zeitlang
vermischt sich das, der eine Schweizer sagt noch „Guetli“, der andere „Intschi“,
oder beides gemeinsam. Bald aber hört man nur mehr „Intschi“. Die Stimmen
vermischen sich, und zuletzt wird „Intschi“ in seiner Totalität erfahren
als Lustschrei unsäglicher Sprachlosigkeit in dem Moment, in dem das
“Intschi” ganz erreicht wird. Dann verkörpert man zumindest sekundenlang
das seelische „Intschi“ des Angekommenseins, was eine ziemlich coole Sache
ist.
Dann aber ist man “Platti”. Man ist es, und man sagt es auch, wenn das
“Intschi” des Partners noch am Laufen sein sollte, als Verneinung. Lass mich
in Ruhe, soll dieses “Platti” heißen, zuerst war “Intschi”, jetzt aber
eben nicht mehr, also lass es “Guetli” sein, bin “Platti”. Das ist dann
eine Tragödie oder eine Komödie, jedenfalls in drei Akten. Einer ist noch im
„Guetli“-Stadium, der andere sucht schon das „Intschi“, und wenn der „Guetli“-Mensch
ins „Intschi“ wechselt, begegnet ihm dann oft schon das „Platti“ des
anderen. Irgendwie Scheiße. Manchmal geht es so. Macht aber nichts. Es wartet
ein neuer Tag mit „Guetli-Intschi-Platti“-Abfolgen. Better luck next time.
Man kann sich die handelnden Personen auch als Indianer vorstellen. Häuptling
Gotthard und seine Lieblingssquaw Intschi queren die Alpen aus italienischer
Richtung in die tiefen Schluchten der wundersamen Schweiz. Zuerst scheinen sie
eine unbekannte Sprache zu sprechen, dann aber merkt man, es ist Schwyzerdütsch.
Unlängst habe ich gehört, dass all diese Ausführungen Makulatur sein sollen.
Denn die Bezeichnung der Tunnels sei nicht im Geringsten mit Geschlechtsverkehr
in Verbindung zu bringen, sondern eher so eine historische Sache. Die Abfolge
der Begriffe sei zufällig, und besagte Tunnels des St. Gotthard nach den
Empfindungen der Arbeiter, die dort bohrten, benannt. Zuerst baten sie den
harten strafenden Gott, der schon dem Berg seinen Namen geliehen hatte, er möge
“Guetli” mit ihnen umgehen, wenn sie sich in den Berg “Intschi” bewegen
würden. Nach Feierabend waren sie jedes Mal ziemlich “Platti”. So prosaisch
soll alles begonnen haben.
Allerdings wurde “Intschi” in dieser Gegend bald zum Inbegriff des schweißtreibenden
Bohrens und hat in der Gegend zu Sprachverwerfungen im Intimbereich geführt,
die nur durch Generationen anderer beruflicher Tätigkeiten – Geldwechseln,
Autobahngebühr kassieren, Käse herstellen, Wanderer in Pensionen mit „Gruezi
miteinond!“ begrüßen, etc. – behoben werden können. Also stimmen die
Vermutungen des zufällig Durchreisenden bis zu einem gewissen Grad.
Dann habe ich gehört, dass in der Schweiz „Intschi“ so etwas wie
Schamlosigkeit bezeichnet. Was anderswo „Sex on the Beach heißt“ und einen
Fruchtcocktail mit einer halben aufgespießten Banane ergibt, wurde mir in
Luzern in einer Kneipe als „Intschi-Fieber“ vorgesetzt. Als ich nach den
Ingredienzien fragte, hieß es: „Ein Teil Guetli, ein Teil Intschi, ein Teil
Platti.“ Mehr war aus dem Mann nicht heraus zu kriegen. Jedenfalls schmeckte
das Ganze nach Dreitagessocken.
Es war eine ziemlich heiße Sommernacht, als ich vom Como-See her nachts über
den St. Gotthardpass fuhr und auch durch andere Wegmarkierungen, zum Beispiel
ein Schild, das auf einen „Pfaffensprüng“ und ein „Ripplebrüchli“
hinwies, verwirrt. Nun gut, wenn Pfaffen in der Hitze des Gefechts springen, weiß
man nie, ob sie von vornherein „Platti“ im Krankenhaus landen, bevor überhaupt
bei ihnen das „Guetli“ geschweige denn das „Intschi“ überhaupt genossen
werden kann. Jedenfalls bin ich froh, dort gegen zwei Uhr morgens ungeschoren
Richtung Bregenz weggekommen zu sein.
(Berndt Rieger)