Müll ist männlich
In
der Zeit, bevor ich lesen lernte, ich nehme an, ich war etwa 4 Jahre alt,
brachte mir meine Mutter bei, dass ein Mann
im Leben drei Pflichten hat: Morgens die Milch holen, mittags Geschirr und
Besteck abtrocknen und abends den Abfalleimer leeren.
“Morgens die Milch holen”, nun, das ist eine Metapher. Der Mann als Jäger
und Sammler ist ein Grundmotiv der Menschheitsgeschichte. Mittags kehrte er in
die Höhle heim, um das Geschirr abzutrocknen. Nein, das ist ein schiefes Bild.
Überhaupt würde ich das Abtrocknen aus Dezenzgründen als männlichen Topos
ganz streichen, seitdem Prince Charles seiner Camilla in einem abgehörten
Telephongespräch sein schütter behaartes Haupt quasi als Stop-Gap-Measure in
gewissen Situationen anempfahl. “Abtrocknen”, das wäre ein eigenes Thema für
eine Nachtgeschichte. Lassen wir's lieber.
Also der Mann als Nahrungsmittelbeschaffer. Heute eher ungewöhnlich, da zu
kompliziert. Wie weit der Jäger und Sammler in der Menschheitsgeschichte
herabgekommen ist, erkennt man an schulbubenhaften Ehemännern, die
Einkaufszettel ausgefolgt bekommen, die sie dann verlieren oder fehlerhaft
abarbeiten oder überhaupt nur mit Bier und Fritten aus dem Supermarkt zurückkommen.
Auch dieses Thema ist zu peinlich, um darauf weiter einzugehen. Bleibt also noch
Punkt 3: Müll wegschaffen. Hier kann ich offen reden.
Das Thema Müll hat männliche Grundierung. Ich möchte in diesem Elaborat männliche
Artgenossen dazu aufrufen, dazu zu stehen und vielleicht sogar ein bisschen
stolz darauf zu sein, dass wir mit Müll ein special relationship pflegen. Das
ist nicht viel, aber immerhin ein erster Schritt auf dem Weg zu einem
wissenschaftlichen Maskulinismus, der den Namen verdient, mit folgenden
Grundprinzipien: 1. Müll ist männlich. 2. Der Müll muss vom Mann weggeschafft
werden.
Ich komme darauf, weil ich jahrelang bei meiner Mutter für das Wegschaffen von
Müll zuständig war und diese Aufgabe unwillkürlich, wie mir schien, in jeder
seither gelebten Beziehung mit Frauen übernommen habe. Weder freiwillig, noch
aus besonders Interesse, z. B. politisch akzentuierten Mülltrennungsmotivationen
heraus. Sondern einfach so, und das gern. Schon bei flüchtigen Beziehungen:
“Könntest Du mal kurz den Müll - während ich noch mal ins Bad? Danke.”
Und wenn die Aufgaben in tiefschürfenden Partnerschaften verteilt wurden,
landete - wahrscheinlich der Simplizität der Aufgabe wegen - die Müllwegschaffung
immer bei mir. Das ist seit zwanzig Jahren so. Das kann kein Zufall sein.
Haben Sie schon einmal eine Müllfrau gesehen? Das Wort ist so was wie schwarzer
Schnee oder weiße Nächte. Kann vorkommen, ist aber merkwürdig, mitunter gefährlich
und im Zweifelsfall Müll. Frauen und Müll stoßen sich ab wie die
gleichgerichteten Pole von Magneten. Wenn eine Frau etwas macht, dann ist es
prinzipiell nützlich und schön. Das beginnt bei der gottähnlichen Formung von
Kindern und endet in so prosaischen Dingen wie geschmackvoll eingerichtete,
blankgeputzte Wohnungen. Wenn der Mann dort den Müll fortträgt, dann deshalb,
weil es sein Müll ist. Bierflaschen, Zigarettenkippen, schmutzstarrende Wäsche.
Das sind Klischees, aber doch auch zu häufig traurige Wahrheiten.
Kennen Sie den Begriff: Hier sieht's aus wie bei Hempels unterm Sofa? Dort, wo
das dunkle Geheimnis von Frau Hempel ruht, da ihr Mann den Müll nicht rausträgt,
liegt das Reich des Mannes. Lebt ein Mann allein, sieht es dort oft so aus als
lebte er unter dem Sofa, und alles, was einmal über dem Sofa existierte, nämlich
die Wohnung, ist im Laufe der Zeit verschwunden. Das kann Frau Hempel, wenn sie
allein lebt, nicht passieren. Dann schafft sie aus Gründen der Vernachlässigbarkeit
auch den Müll selber weg.
Wenn eine Frau kreativ ist, dann hantelt sie sich in der Regel von Dekos über Töpfern
etc. zur wahren Kunst hoch, ein konsequenter Weg, dessen Richtschnüre Schönheit
und Nützlichkeit sind. Der Mann beginnt dagegen lieber mit der “wahren
Kunst”, ohne sich über die Nützlichkeit oder das Handwerk große Gedanken zu
machen. Grob gesagt macht er zuerst lieber Müll, und wenn einmal große Kunst
daraus wird, dann ist das die Blume im Humus der überbordenden Wertlosigkeit.
Sehr häufig wird das Stadium gar nicht erreicht. Macht nichts. Hauptsache, es
ist keiner da, der ihn darauf anspricht.
Der Mann ist stolz darauf, weil sein Müll “genial” ist. Die Frau kennt
keinen genialen Müll, sondern nur den, der durch harte Arbeit in Leben
verwandelt oder fortgeschafft werden muss.
Der erste Müllmann der Geschichte war Herakles, der Held (nicht zu verwechseln
mit Rehakles, der die Olympiade erfunden hat), der den Augiasstall ausgemistet
hat. Hoffnungsloser Müll kann nämlich, wie schon Homer wusste, nur mehr von
Helden entfernt werden. Die moderne Version des griechischen Halbgottes ist der
“Müllmann” oder “Staubsauger” der Mafia-Krimis, der nach einem
Massenmord mit Plastikbeuteln, Wischlappen und Verkleinerungswerkzeugen anrückt,
um die blutspritzende Sauerei anderer Männer aus der Welt zu schaffen und die
Wohnung schlüsselfertig der Polizei zu übergehen, die dann auch mit
Hochtechnologie keine Blutspuren mehr findet. Ich vermute manchmal, diese Vision
des “Staubsaugers” muss einer Krimiautorin eingefallen sein, die im
Privatleben großen Wert auf Sauberkeit legte. Der Müllmann als Held. Finde ich
Klasse.
Denn die gesellschaftliche Realität ist leider anders. Geben wir es doch zu:
Wenn ein Mann richtig dumm und ungebildet ist, dann kann er immer noch Müllmann
werden. Ein sehr bedauerliches, auch krudes Vorurteil. Ich plädiere stattdessen
sowohl für eine dreijährige Müllmannlehre, als auch ein Müllverwertungsfachdiplom
und ein Hochschulstudium Müll, um dem Thema auf allen Ebenen gerecht zu werden.
Dass es noch nicht soweit gekommen ist, hängt ja nur damit zusammen, dass der Müll,
wie wir ihn kennen, als Begriff im Lateinischen nicht existiert, und man auf
Ersatzbegriffe wie Scatologie - Scheißkunde - ausweichen müsste. Das Fach würde
dann vermutlich heute von ratlosen Abiturienten an der Uni aus Coolness-Gründen
überbelegt werden. “Was studierst Du?” - “Alles, was Scheiße ist.” -
“Endlich, das Studium universale, und das so, dass es jeder versteht.”
“Als das Kind Kind war“ (um Handke zu zitieren), nämlich in den Sechziger
Jahren, landete die leere Konserve noch in einer Holzsteige für den
Wertstoffhof, das Verpackungspapier im Ofen und der Rest war Wertstoff für den
Misthaufen, Basis für neues Leben im Garten. Damals war Müll eben kein Müll,
sondern das Zwischenstadium, die Verpuppung lieblicher Blumen und
wohlschmeckender Früchte. Heute ist Müll alles, was man nicht mehr zu brauchen
glaubt, das „Wertlose an Sich“ (um Kant zu zitieren).
Warum muss das so sein? Könnte nicht zum Beispiel ein manischer Dichter, der
zeitlebens unveröffentlicht geblieben ist, weil seine Reime oder Nicht-Reime Müll
sind, auf hohem Niveau die Vermüllisierung in der Welt thematisch so angehen,
dass er die Heldenhaftigkeit des eigenen Schaffens auf Müllhalden umlegt und
sagt: Das ist mein Revier. Das sind die Bausteine, die Grundfesten meines Ichs.
Das ist meine neue, schöne Welt? Diese leeren Plastikflaschen, diese stinkende
Soße von Urschleim, diese zerbrochenen Scherben, sind sie nicht genial? Den Müll
suchen, den Müll leben. Städte auf Müll und aus Müll bauen, Heimstätten
eines neuen männlichen Volkes, wärmende Höhlen, in denen ich zu mir finde,
mich ganz erfühlen kann? Und dort das Opus schreiben für eine neue, männlichere
Generation Müll?
All das sind nur Vorschläge. Und jetzt schaue ich mal in die Küche und sehe
unter der Spüle nach, was läuft.
(Berndt Rieger)