Der Blitzableiter von Medjugorje
In den fernen Weiten der
Balkanhalbinsel, unweit von Dubrovnik, liegt Medjugorje.
Man kennt die Gegend aus alten Karl-May-Filmen. Es ist eine steinige Wüstenlandschaft
mit einem riesigen Himmel, dem man die Meeresnähe anmerkt. Die Wolken ziehen
dort so rasch durch wie Segelboote bei Starkwind. Dubrovnik, die Stadt am Meer,
nennt man ja auch die Perle der Adria, und Medjugorje, die Stadt in der
bosnischen Provinz, heißt heute vielfach die Perle der Christenheit.
Anerkannt an diesem Perlenstatus ist von höchster Stelle noch nichts, aber der
alte Papst wäre hier gerne hergekommen, wenn man ihn nur eingeladen hätte. Ich
glaube, der neue Papst würde auch kommen, aber auch er wird nicht eingeladen
werden, denn der Katholizismus ist hier Marke Eigenbau, und deshalb Kult wie
Trabi oder Lada, nämlich unverfälscht, urwüchsig und echt - und zugleich
etwas von gestern. Ist das schlecht? Nein. So was kann man ja auch über
Schwarzenegger sagen, und er ist immerhin sowas wie Präsident von Amerika.
Im Gegensatz zu Fatima, Lourdes und ähnlichen Marienverehrungssorten ist
Medjugorje was wirklich Besonderes. Hier erscheint die Madonna einigen Menschen
immer noch täglich, um an die Wichtigkeit des Betens zu erinnern und die
gottlose Menschheit zur Umkehr aufzurufen. Ja, die Madonna selbst. Sie lebte vor
zweitausend Jahren, nun ist sie wieder da, unsichtbar, aber konkret, und in
zahlreichen Bildern in Glas, Stein, Metall, Kunststoff, Holz geschnitzt,
gepresst und gelasert. Wenn ich einmal schätzen müsste, wie oft man in
Medjugorje die Madonna anbietet, würde ich sagen drei komma fünf Godzillionen
mal. Vielleicht auch öfter. Diese Vielfalt, das ist noch echte religiöse
Begeisterung.
Medjugorje ist eine Stadt voller Symbolik. Hinter dem mit Tausenden Menschen
vollgepfropften Gemeindezentrum, in dem eine der Seherinnen Besuchern aus
aller Welt im Namen der Madonna erklärt, dass Beten wichtig ist, die Menschheit
umkehren und sich auf den Glauben besinnen soll, erhebt sich der Krizevac, der
Hausberg von Medjugorje. Er wird gekrönt von einem weißen Christenkreuz, das
weit hinaus ins Land grüßt als Symbol der Christenheit, dem diese Landschaft -
in der man jeden Moment Indianerhorden erwartet, die von Trappern niedergeknallt
werden - untersteht. Nun gut, was kann Medjugorje dafür, dass deutsche
Filmstudios ihr Amerika in Jugoslawien suchten?
Lex Barker (Old Shatterhand) und Pierre Brice (Winnetou) kann ich mir heute
durchaus als Gäste in Medjugorje vorstellen, denn hier sitzen viele, die
woanders kaputt gegangen sind. Sie sitzen wie ich und du in einem der
zahlreichen Straßencafés und trinken Gin Fizz, während Uschi
Glas(Nschotschi)frustriert von Souvenirladen zu Souvenirladen torkelt auf der
Suche nach einem Marterpfahl oder einer schönen Bluse.
Gin Fizz ist ein alkoholisches prickelndes Ingwergetränk, das zischt, und
Ginger nennt man in Amerika Frauen, deren Haare dieses schöne Rotblond haben.
Die wichtigste Ginger war Ginger Rogers, sie tanzte mit Fred Astaire mit diesem
unvergleichlichen Blick diensteifriger Langeweile. Sie wurde nach ihrem Haar
benannt, was besser ist als nach der Farbe seiner Brustwarzen benannt zu werden.
Aber lassen wir diese Assoziationen, und bleiben wir bei Medjugorje - und
deutschen Karl-May-Filmen.
Wie oft können ein abgetakelter Hollywoodstar und ein französischer
Schauspieler, der seit seiner Winnetou-Rolle nur mehr als Indianer denkbar ist,
in Medjugorje-Bars Gin Fizz kippen, bis sie sich automatisch in der Kirche unter
die inbrünstigen Betenden mischen, die sich vor dem Madonnenaltar aufbauen, und
rührselig kroatische Gebetsbrocken murmeln? Ein, zweimal, sicher nicht häufiger.
So stark weht hier der religiöse Geist, dass er die Sonnenmarkisen klappern lässt
und alles, was nicht angeklebt ist, vom Tisch weht. Woanders nennt man das Wüstenwind,
hier heißt es Gospa (=Madonna).
Nebenbei bemerkt gehören die Souvenirladenverkäuferinnen von Medjugorje neben
Schmetterlingen und jungen Rehen zu den anmutigsten Geschöpfen dieser Erde, was
womöglich auch etwas mit der Mutter Gottes zu tun hat, die ihnen Schönheit
verliehen hat, um Bar Flies wie Lex und Pierre in die Kirche zu locken. Eine
Sinnlichkeit liegt über der Landschaft, wenn sie abends in lauer, klarer Luft
durch ohrenbetäubendes Zikadenschrillen schreiten, über ihre Agenten
schimpfen, ihre geschiedenen Frauen verdammen und sich gegenseitig
Immobiliendeals anpreisen. Die Sinnlichkeit hat etwas mit dem Himmel zu tun, dem
man die Meeresnähe anmerkt, mit den Feuermalen in Nachgewitterwolken, und mit
der Begegnung mit so einer Souvenirladennymphe auf dem Weg zum Erscheinungsberg,
dem Podbrdo. "Madonna", stößt Lex den anderen an, "look-it
those boobs, man!", und Pierre: "Isch legge flasch dein Madonna."
Übrigens wurden beide in den Filmen synchronisiert von deutschen Sprechern, die
was drauf hatten. Dann hätte in diesem Fall Lex gesagt: "Ich sehe die
heilige Madonna." - Und Pierre: "Ich auch, weißer Bruder."
Gerade noch Statistin in einer Wildwestklamotte, verwandelt sich die junge
Medjugorjanerin zum Abbild der Mutter Gottes. Man sieht sie in der Kirche mit
ausgebreiteten Armen, das Gesicht entrückt, und der Karl-May-Film ist ein
Ernstfall, ein künstlerischer Film geworden, vielleicht von Emir Kusturica. Lex
Barker könnte den deutschen Touristen spielen, einen Alkoholiker, der zum
Glauben findet, seine beste Rolle. Uschi Glas spielt eine Kleiderladenverkäuferin,
die schamlos Neuware leihweise anzieht und nach dem Discobesuch wieder
verschwitzt zum Verkauf ins Regal zurückfaltet. Eines Tages begegnet ihr auf
dem Podbrdo (deutscher Originalname aus der NS-Zeit: Brotbrei) die Madonna, die
aussieht wie sie selbst - nämlich wie Uschi Glas - eine schmeichelhafte
Entscheidung des Schöpfers, die Uschi, eine himmlische Schönheit, als ganz
normal hin nimmt.
Symbolisch an Medjugorje (deutscher Originalname aus der NS-Zeit: Matsch mit
Gurke) ist auch der auf den Krizevac hochführende Kreuzweg. Unbehauen, ein Trümmerfeld
spitzer Steine, die Millionen Gläubige mit ihren Füssen abgeschliffen und
gangbar gemacht haben, ist er ein Symbol für den Leidensweg Christi, den der
Wanderer mühselig über Fels kletternd nachvollzieht, und für die Kraft des
Glaubens, der durch die Beständigkeit der Liebe, Hass und Gewalt bezwingt. Die
Sohlen der Pilger sind quasi die zwei Backen des Christen, die dem Backpfeifen
austeilenden heidnischen Boden entgegengestellt werden, ein beredtes Symbol. Da
kann ein Büßer ruhig barfuss den Kreuzweg hochsteigen, statt blutiger Füße
holt er sich nur mehr schmerzende (wie ich aus eigener Erfahrung weiß).
Zu den Symbolen kommen beim Weg auf die Höhe Plastikbeutel mit kleinen Steinen,
die eine Einheimische sammelt. Daraus werden Rosenkränze mit eigenwilligem
Charme gefertigt, Original Medjugorje-Krizevac-Rosenkränze, geadelt von
Millionen Sohlen von Pilgern, die sie glatt schliffen, ein kräftiges Symbol der
Unbeirrbarkeit des katholischen Glaubens, der wenn schon nicht Berge versetzen,
so sie doch glatt polieren kann. Wer dann auf die Anhöhe kommt und ins Tal
blickt, sieht die Stadt vor sich ausgebreitet liegen. Es ist eine reiche Stadt,
mit großen, vorwiegend neuen Gebäuden, ungewöhnlich proper für die Gegend,
ein Symbol für die wirtschaftliche Bedeutung der Marienerscheinungen, für die
Infrastruktur.
Das weiße Kreuz wirkt aus der Nähe mächtig, eine unbezwinglich erscheinende
Betonskulptur. Auf der Rückseite, erinnernd an die Verkabelung von
Fernsehmoderatoren, denen die Regie etwas flüstern will, läuft dem Kreuz ein
gut befestigter Metalldraht hoch, und überragt es sogar deutlich. Es ist ein
Blitzableiter. Da kam ich ins Grübeln. Klar, was so exponiert steht wie dieses
Kreuz, wird durch atmosphärische Entladungen eher erreicht als vieles andere.
Es gibt auch anderswo Gipfelkreuze mit Blitzableitern, wenn auch nicht besonders
häufig. Aber hier, am Ort des größtmöglichen Gottvertrauens?
Nun, was wäre, wenn hier eines Tages ein Blitz einschlüge und das weiße Kreuz
über Medjugorje würde in Stücke zerrissen? Es wäre zweifelsohne nicht nur
ein willkommener Auftrag für den Betonkreuzgießer, sondern eine Katastrophe für
den Ort. Gott, eben noch zutraulich wie ein Kätzchen, würde sich von einem
Augenblick auf den anderen in die Bestie verwandeln, das grausame,
unberechenbare Herrscherwesen der Ahnen, eine Naturgewalt, die kein Flehen, kein
Verhandeln, keine Bestechungsversuche der Menschheit anerkennt und patsch! auch
das Heiligste kaputt schmeißt. Er wäre wieder jene alte Fallensteller, der
Landstriche überschwemmt und Mann und Maus ersaufen lässt, bevor er eine Dürre
schickt, die sie in eine Wüste verwandelt, in der man aus Karl Mays Werk nur
mehr die Kara-Ben-Nemsi-Serie verfilmen kann, und die war längst nicht so gut.
All das, hat sich ein kluger Einwohner
von Medjugorje gesagt, - wahrscheinlich Elektriker - kann ich mit einem Stück
Draht verhindern. Dieser Hauch des Zweifels aber - behaupte ich, der fanatische
Christ - ist als Symbol schlecht für eine Stadt des Glaubens. Wie kann die
Menschheit zur Umkehr aufgerufen werden, wenn man sich nicht einmal darauf
verlassen kann, dass Gott sein wichtigstes Symbol ungeschoren lässt in einer
Stadt, die seine Mutter ausgewählt hat, um in ihr zur Menschheit zu sprechen?
Und wie steht es mit dem Glauben, wenn ein möglicher Betonschaden durch einen
meteorologischen Zufall ihn schon erschüttern kann?
Vielleicht muss man aber auch realistisch sein und erkennen, dass der Glaube
eines Großteils der Christenheit porös ist wie Beton, aber nur durch diese Fülle
mächtig erscheinen kann, ohne das schlanke Stahl der klugen Führerschicht, das
ihm den Rücken stärkt, aber zum Scheitern verurteilt wäre. Der Beton stützt
den Blitzableiter, dessen magische Kraft ihn gegen alle Eventualitäten schützt.
Oder ist es das schlechte Gewissen von Medjugorje, das seinem Gott mit
dieser Erfindung der Neuzeit eine Nase dreht und sagt: Schick ruhig so viele
Blitze, wie du willst, wir lassen uns unseren Tourismus nicht kaputt machen?
Eines steht jedenfalls fest: In Millionen von Jahren, wenn es keine Menschen
mehr gibt, die den Kreuzweg mit Hornhaut und Plastiksohlen glatt polieren, wird
Gott ihn wieder zerfurchen. Er wird das Kreuz mit Winden schleifen, bis es Staub
geworden ist. Vom Glauben zurückbleiben wird nur der Zweifel, Fleisch geworden
in Form eines Stück Edelmetalls, schmal und verbogen wie eine Rute in der
Wildnis. Wenn Aliens eines Tages ratlos das Fundstück in Händen drehen werden,
wird einer schließlich sagen: Es war eine Antenne, um Kontakt aufzunehmen. Aber
wo sind die Reste des Empfängers?
(Berndt Rieger)