Kurze Geschichte des Karnevals
Anno 1094 in der Chronik
von Doge Vitale Faliero erwähnt, war der Karneval
schon ein internationales Fest, das von Anfang Oktober bis zum „Martedi
Grasso“ (dem letzten Tag des Faschings) dauerte; Pausen waren die Advent-
und die Weihnachtszeit. Das Maskentragen ist angeblich ein bisschen jünger,
da es erstmals in einem Gesetz aus dem Jahre 1286 genannt wird, welches das
Bewerfen von Vorbeigehenden mit Eiern seitens vermummter Menschen ausdrücklich
verbietet.
Aufführungen und Veranstaltungen fanden in den damals zahlreichen Theatern
statt und Venedig war ein Weltzentrum des „Entertainments“.
Während des Faschings – eigentlich vom 26. Dezember bis zum Faschingsdienstag
- war fast alles erlaubt: Das Sich-Verbergen können, eine andere Identität
zu haben, die verschiedenen „Gansspiele“ und ein Narrenverhalten.
Im Jahre 1162, anlässlich des Sieges Venedigs über Ulrich, den Patriarchen
von Aquileja, wurde groß gefeiert; für seine Wiederentlassung und
die der zwölf mitgefangenen Kanoniker verlangte die Republik einen Tribut
in Höhe eines Stieres und zwölf Schweinen, welche wohl die Festgenommenen
symbolisieren sollten. Seit damals feierte Venedig am Giovedi Grasso immer
wieder diesen Sieg, und zwar mit einer Jagd auf einen Stier und auf Schweine,
mit Feuerwerken, die tags aus der „Macchina“, einer hölzernen
Abschussrampe, starteten, mit Akrobaten, Attraktionen, Spektakeln, Aufführungen
und öffentlichen Konzerten.
Eine der beliebtesten Darbietungen war die menschliche Pyramide, ein lebendes
Gebäude auf einem über zwei Boote gelegten Brett, das Krieg, Kampf,
List und Frieden symbolisierte. Die Athleten bildeten bis zu acht „Stockwerke“ und
bekamen mit der Zeit vom Volk und von den damaligen Chronisten besondere Namen
wie „Der stolze Imperator“, Der Koloss von Rhodos“, „Der
kämpfende Löwe“ oder „Der siegreiche Fürst“.
Ebenfalls sehr gefragt und bedeutungsvoll war der „Engelsflug“ aus
der Turmstube des St. Markus Glockenturmes. Wie bei allen Volksfesten gab es
aber auch gewisse Probleme und Konflikte: Eines davon stellten die immer häufigeren
Missbräuche der Verwendung der Masken dar (Gewalttätigkeitsdelikte
dank der Anonymität, Zutritt zu den Nonnenklöstern usw.), was den
Rat der Zehn mehrmals veranlasste, Geldstrafen und sogar bis zu zwei Jahre
Kerkerhaft zu verhängen.
Für die Herstellung der Masken griff man zu den verschiedensten Materialien:
Leder, Ton, Porzellan, Keramik, Pappmaché und Wachsleinwand erforderten
immer wieder neue Techniken und schon um 1600 war die Kunst der „Mascareri“ – der
Maskenbildner - in voller Blüte.
Aber auch die Masken offenbarten die Kluft zwischen Reich und Arm, zwischen
Prunk und Elend; die der Adeligen waren aus Gold und Silber, mit Edelsteinen
geschmückt, und wirkten oft als beleidigend für die anderen Bevölkerungsschichten.
Das veranlasste den Magistraten, die Entscheidung zu treffen, Strafen in Höhe
von 100 Dukaten zu verhängen und die Beschlagnahmung der wertvollen Kleider
zu veranlassen.
Im Jahre 1617 im Zuge der Mode, prunkvolle Empfänge und üppige Feste
zu veranstalten, organisierte Ippolito D’Este ein Privatbankett mit 54
Gästen, 291 Tellern, 15 Zuckerstatuen, 17 Gängen und insgesamt 145
Gerichten.
Eine wichtige Rolle spielte im Karneval das Puppentheater, dessen berühmteste
Vorstellung im 17. Jh. stattfand, und zwar vom Abate Labia aufgeführt.
Die „Karneval-Regatta“ war ebenfalls ein Erlebnis: Der Canal Grande
wurde zum Amphitheater umgestaltet, die Ufer mit allegorischen Plastiken flankiert
zur Erinnerung an die römische Mythologie, die Paläste wurden mit
prunkvollen Tapisserien verziert, ebenso wie die Gondeln, die Brücken
und die Landestege.
90 Boote mit ca. 200 Mann Besatzung nahmen an den Wettfahrten teil und kämpften
um den Sieg.
Die Maske hat eigentlich ihren Ursprung in der Antike. Sie wurde in den uralten
heiligen Riten und Kulten angewendet, stellte Geister und die Seelen der Verstorbenen
dar, diente zu Kriegszwecken um den Feind zu erschrecken und spielte in der
religiösen Welt eine Schutzfunktion. Das Wort kommt aus dem Lombardischen
und heißt sowohl „Seele“ als auch „Gesicht“.
Die typische venezianische Maske ist die „Bauta“: Sie ist weiß und
besteht aus einer schwarzen Kapuze aus Samt oder Seide, aus einem „Tricorno“,
dem Dreispitz, und einem langen Mantel, dem Tabarro, oft mit aufwendigen Spitzen
verziert. Die Bauta ist eine wirkliche Verkleidung, in der man völlig
unerkennbar ist. Eine zweite typische Maske Venedigs ist der „Domino“,
eigentlich spanischen Ursprungs, die einer Mönchskutte ähnelt, mit
Umhang und breiter Kapuze. Weiters gelten als traditionsreiche Masken die Hauptfiguren
von Goldonis „Commedia dell’Arte“: Arlecchino, Pantalone,
Brighella, Colombina, Pulcinella und der Pestarzt.
Nach jahrhundertelangen Feierlichkeiten verbot Napoleon, der Venedig erobert
hatte, im Jahre 1797 den Karneval; einige Jahre lang setzten die Adeligen in
ihren Palästen diesen Brauch fort, bis er vollkommen in Vergessenheit
geriet.
Es vergingen ca. zwei Jahrhunderte bis zur offiziellen Wiedereröffnung
des venezianischen Karnevals im Jahre 1979.
Zur Wortgeschichte der Festbezeichnung „Karneval“ oder „Fastnacht“ gehören
verschiedene volkstümliche Etymologien. Das Fest hieß im Lateinischen
nicht nur „carnelevamen“ oder „carnisprivium“ sondern
auch „Bacchanalia“, da es sich der Bezeichnung aus der römischen
Tradition bediente. Dies bedeutet nämlich „Bacchus-Fest“ und
wurde veranstaltet zu Ehren des Weingottes Bacchus. Da dieser Gott gewöhnlich
auf dem Fass sitzend dargestellt wird, spricht man von einer „Fass-Nacht“.
Vom Sprachwissenschaftlichen her aber kann man feststellen, dass die üblichen
Bezeichnungen „Fastnacht“, „Fasching“ oder „Karneval“ mit
ihren verschiedenen Ableitungen lediglich die Fastenzeit voraussetzen oder
auf sie bezogen sind.
Eine weitere diesbezügliche Interpretation aus dem christlichen Glauben
führt zum Lateinischen „carne levare“ – vom Fleisch
lassen – zurück und meint damit den Tag vor der Fastenzeit, den
Abschied vom Fleisch, das man am Abend vor dem Aschermittwoch zu sich nahm.
(Gianni Lorenzo Lercari)