GEHEIMNISVOLLES ROM


Skandal unter der Sonne.

Als 1901 der "Brunnen der Najadi" auf dem Piazza dell'Esedra enthüllt wurde, wirkten die vier nackten Frauen mit ihren üppigen Busen und ihren unzüchtigen Posen wie eine Ohrfeige für Papst und Klerus.
Die Scheinheiligkeit und die Anständigkeit rüsteten vehement auf gegen den unverschämten Künstler, die "Osservatore Romano" (das vatikanische offizielle Presseorgan) sprach von Teufel und Hölle, aber vergeblich: Die Nymphen blieben mit all ihrer plastischen Verführung und für die Freude des römischen Volkes. Jahrzehnte später kam wieder so was Ähnliches und es regte noch mal die Gemüter der frommen Bürger auf. Diesmal aber geschah es nachts und mit Wasser: Anita Ekberg mischte ihre ausbrechende Sinnlichkeit mit der Apotheose der "Fontana di Trevi", und Fellini reinterpretierte dadurch die barocke Weltanschauung, d.h. die Abschaffung der Grenzen zwischen Mensch und Natur in einem wirbelnden Szenario, in dem das fließende Wasser alles sublimierte.
Auch diesmal, trotz Verbannungen seitens des Heiligen Stuhls, fand das Ganze sehr wohl die Zustimmung der Römer; die "Dolce Vita" wurde zum Kult und Idol und blieb ein Meilenstein der eigentlichen Seele der Stadt.
Tatsächlich lebt in Rom die Faszination des Alltäglichen mit all seinen Facettierungen, seinen teilweise nicht nachvollziehbaren Kontrasten und seinen Problemen jenseits des manchmal zu schweren Gewichts der Denkmäler und ihrer Bedeutung, welche über zwei Jahrtausende der Stadt Ruhm und Ewigkeit verliehen. Der Verkehr plagt, jeder schimpft täglich, aber nicht der Menge der Autos wegen, sondern gegen die sinnlose Ampelnregelung; ohne Ampeln fährt man viel besser, und so merkwürdig wie es klingen mag, gab ein Versuch ohne rote, gelbe und grüne Lichter den Befürwortern dieser Einstellung uneingeschränkt recht.
Die lokale Presse berichtet laufend über diese oder jene Unannehmlichkeit, aber in der Tat werden diese Ereignisse als leichte Lektüre für den Sonntag morgen interpretiert; es ist eine Art reelles Kabarett, welches in den Choreographien wunderschöner historischer Bauten gespielt wird, eine natürliche Integration von Gegensätzen.
Ein weiteres Problem stellt die berühmte Nachlässigkeit der öffentlichen Stellen und die groteske Kompliziertheit der Bürokratie dar.
Die lustige Episode mit Asterix und Obelix, die mit der altrömischen Verwaltung konfrontiert werden - d.h. die erste Tür links, nein, die zweite Tür rechts, wie bitte?, drei Stöcke höher, die vierte Tür rechts, nein, Sie sind hier falsch, Erdgeschoß, sechste Tür links, wir sind dafür nicht zuständig, bitte dritter Stock, die Tür geradeaus usw. - trifft relativ genau zu, aber die Römer haben sich mittlerweile daran gewöhnt und nehmen einen notwendigen Besuch im Ministerium als eine Art Ausflug zwischen Papierberge und gelangweilte Funktionäre, die eher an der Bar ausfindig gemacht werden können; Geduld heißt die Devise, das Unternehmen wird sowieso den ganzen Vormittag in Anspruch nehmen!

Von versteinerten Filmen und Fabelwesen

Rom ist eine ständige Überraschung und eine ewige Bühne: Kolosseum, Forum Romanum, die prunkvollen Paläste aus der Renaissance und die zahllosen barocken Kirchen, die die Stadt schmücken, stellen eigentlich nur einen Teil der wahren Seele der Stadt dar, hauptsächlich anhand ihrer gewaltigen Dimension. Aber andere eben so wertvolle Juwelen glitzern an allen Ecken, manchmal ein bisschen versteckt, manchmal nur mit der Nase nach oben zu betrachten.
Das Kino erfanden eigentlich nicht die Brüder Lumiere, sondern die alten Römer; nur die Fotogramme waren nicht aus Zelluloid und gespielt wurden sie und werden sie immer noch im Freien: Aus Stein war dieses Meisterwerk der antiken Cinecittà, 200 m lang, spiralförmig und mit dem Zweck, die Kriegshandlungen von Kaiser Trajan zu preisen: Die Trajanische Säule ist der Film, mit ihren unbekannten Schauspielern, mit Soldaten, Tieren, Reitern, Karren, Landschaften, Bäumen, Wäldern, Festungen, Flüssen, Choreografien und dem Hauptdarsteller, der 60 mal auftritt. Zur römischen Zeit war die Saule farbig, wie übrigens alle Tempel und Gebäude des alten Rom, also weit weg von unserer heutigen imaginären Vorstellung, dass das Klassische ein eintöniges Weiß aufweisen muss.
Das Volk genoss diese Aufführung und bald tauchten andere "Erzählsäulen" auf, wie eine Art Illustrierte für die Öffentlichkeit bestimmt, eine politische Propaganda in Bildern.
Nicht zu unterschätzen ist die "tierische" Seite Roms, soviele sind die Fabelwesen des Barock, die man, mehr oder weniger verborgen, entdecken kann.
Diese merkwürdige Fauna aus Marmor springt von alten Kapitellen, sitzt auf Simsen und Traufen, versteckt sich hinter Wasserspielen, klebt an Brücken und Fassaden, spioniert aus wunderschönen Muscheln, ruht in den stillen Ecken von gepflegten Innenhöfen.
Drachen mit Fledermausflügeln, Greife, Adler mit Frauenbrüsten, Harpyien, Chimären, aber auch Fische, Vögel, Schildkröten, Katzen, Panther, Delphine, Bienen, Schnecken, Pferde und andere mythologische Gestalten füllen Straßen, Gassen, Ruinen, Paläste, Kirchen, Plätze und Denkmäler.
Ihnen schrieb das "popolino", das Volk des 17. Jhs einen bestimmten Symbolismus zu. Der Falter war die Seele, und jeder stellte sich zahlreiche Kardinäle und Prelate in Form eines schwarzen Schmetterlings vor, der Adler war die Macht, und jeder versuchte ihn zum pathetischen Vögelchen zu reduzieren, der Delphin war der Glauben, und hier machte die Ironie eine Ausnahme, und die Schnecke war die Sünde, jedoch so langsam, dass keiner jemals von ihr hätte erreicht werden können.

Das Herz der Welt

"Pesce vivo, pesce vivo!". Man hat immer noch das Gefühl, die Stimmen der Verkäufer zu hören, welche vor 2000 Jahren in den eleganten Architekturen der Trajanischen Märkte - mit seinen 150 Geschäften eine Art Supermarkt der Antike -, den frischen, gerade aus Ostia kommenden Fisch, verkauften. Damals gab es zwar keine Kühlschränke, aber Fleisch, Gemüse, Obst, Kräuter, Milchprodukte und Blumen waren sehr begehrt, ebenso wie die Seide aus dem Orient und die exotischen Raritäten aus den weiten Provinzen. Die Trajanischen Märkte waren das kommerzielle Herz der damaligen bekannten Welt.
Man besuchte den Markt nicht nur des Einkaufs wegen; er war eher eine Sorte soziales Ereignisses: man traf einander, man diskutierte, plauderte, tratschte, unterhielt sich mit den Verkäufern, erzählte Witze, stritt wegen den Preisen. Heute sind die "mercati rionali", die Märkte der verschieden Viertel Roms immer noch ein Universum von Freunden und Bekannten, also ein unverzichtbares volkstümliches Muss.
Man findet zwischen Ständen, deren Farben eine unwiderstehliche Apotheose improvisierter Kunstwerke darstellen, Politiker, Schauspieler, Geschäftsmänner, Hausfrauen und begeisterte Touristen; man tauscht oft ein paar Worte miteinander, man hat die Möglichkeit das und jenes zu kosten, und in der Regel findet man sehr gute Ware aus Eigenproduktion.
Campo de' Fiori ist sicherlich der interessantste von diesen malerischen Lebensmittelsmärkte unter freiem Himmel, wohl ständig bewacht von der schaurigen anklagenden Statue von Giordano Bruno, der gar nicht glücklich war, auf dem Platz beim lebendigen Leib verbrannt zu werden, da ihm die Inquisition Häresie und Teufelspakte vorwarf, und deswegen, heute noch von seinem hohen Marmorsockel, allen einen schiefen und schrägen Blick schenkt.
Campo de' Fiori ist der Inbegriff des alltäglichen römischen Lebens von 8.00 bis 13.00 Uhr: bunte Sonnenschirme, bunte Verkaufsflächen, bunte Menschen und bunte Gespräche; zur westlichen Seite, von einer Unmenge von leeren Kartons und Holzschachteln halb versteckt, tröpfelt einer der schönsten kleinen barocken Brunnen von Bernini, die "Terrine" ohne Deckel, in dem zwischen Gemüseblättern, Blumenteilen und Obstschalen ab und zu ein dicker Goldfisch lakonisch schwimmt.

Via Appia: Die "Regina viarum"

Diese "Königin der Straßen" ist eigentlich eine Legende.
Nicht nur weil sie ein echtes Meisterwerk des Straßenbaus war, sondern auf Grund der revolutionären Konzeption, der Art ihrer Ausführung, der wahnsinnigen Kosten und der endlosen Bauzeit (erinnert es nicht ein bisschen an die heutige Zeit?). Die "Via Appia" bestand nämlich aus vier verschiedenen Schichten und man könnte sie als Autobahn der Antike bezeichnen. Von unten nach oben gab es ein Niveau aus großen Steinen, dann aus Mörtel , weiters aus Kies, und schlussendlich war die letzte Schicht aus flachen Basaltplatten; für die Autos von heute eine Qual, aber für die "bighe" von damals eine Topstraße.
80% ihrer Länge war geradlinig, um das Ziel so schnell wie möglich erreichen zu können, die ganze Strecke von Rom bis Süditalien war mit Pferdeposten (jede zehnte Meile) und zum Großteil mit Gehsteigen versehen, und sie rühmte sich - in unmittelbarer Nähe Roms - mit architektonischen Kunstwerken, welche beidseitig errichtet wurden.
Die Katakomben kamen dazu, zwei oder drei Jahrhunderte später; aber diese unterirdischen "Wege des Jenseits" (sie waren eigentlich christliche Friedhöfe und liturgische Kultstätten und nicht dunkle Refugien für verfolgte Gläubige) schafften nie mit ihr an Schönheit und Eitelkeit zu konkurrieren.
Eine Art Verbindung mit der Welt der Toten hatte wohl die Appia selbst: Die ersten drei Kilometer sind nämlich von Grabstätten der Patrizier gesäumt, gefolgt von dem Mausoleum von Romulus und dem runden Grab von Cecilia Metella.
Zwischen den beiden letzten stand stolz die prunkvolle Kaiservilla von Massenzio mit Amphitheater, Thermen, Statuen, Mosaiken, Säulen und wunderschönen Sälen. Was heute leider von diesem gewaltigen Baukomplex übriggeblieben ist, sind spärliche Ruinen (Barbaren, Barberini und Bauern montierten nach und nach die gesamte Anlage ab) und ein ganzes Feld voll von wilder Chicorée; eine Riesenfreude bereitet es aber den spielenden Kindern und auch den begleitenden Müttern, die geduldig die kleinen Pflanzen zwischen dem Gras suchen und abschneiden und sich schon nach dem in der Pfanne gerösteten Gemüse mit Knoblauch sehnen.
Anlässlich des Jubiläums im Jahre 2000 wurde die Appia Antica zur Fußgängerzone erklärt und die Römer genießen heute wieder in Gelassenheit die Streifzüge unter Pinien und Myrthen, erblicken die mittelalterlichen Wachtürme, die links und rechts wie ziegelrote Pilze emporragen, lesen Reste von staatlichen Marmortafeln mit dem allgegenwärtigen S.P.Q.R. (Senatus Populusque Romanum, Dem Senat und dem römischen Volk oder, nach einer freien moderneren Interpretation "Die spinnen, die Römer") und warten jedes Mal gerührt und fasziniert auf die berühmten Sonnenuntergänge, die schon Goethe begeisterten (noch mehr, wenn in Begleitung einer schönen Römerin).

Abbacchio der Borgias, edle Tropfen und raffiniertes Shopping

Die römische Küche kann weder als aristokratisch noch als bürgerlich bezeichnet werden, die Zeiten des Lucullus sind seit einer Ewigkeit vorbei, die verschiedenen Päpste, die übrigens sehr selten aus Rom stammten, brachten die Spezialitäten der eigenen Gegend zwar in die Stadt, schafften aber dadurch nie eine gewisse kulinarische Tradition zu entwickeln, und die armen Leute aßen die Nudeln, die nach den chinesischen Reisen des Marco Polo nach Italien eingeführt wurden. Trotzdem hat hier die Gastronomie einen gewissen Traditionalismus, welcher zum Teil der altrömisch- jüdischen Küche zuzuschreiben ist.
Die "Carciofi alla giudia", "Artischocken auf jüdische Art" sind eine leckere Spezialität ebenso wie die "Bucatini all'Amatriciana" oder der "Fritto misto", frittiertes Gemüse und Fleisch mit Zutaten wie Bries, Lammhirn, Zucchiniblüten und Steinpilzen. Andere Leckerbissen sind der "Coda alla Vaccinara", Rinderschwänze in einer Sauce, die so dick wie Gelatine ist, das "Abbacchio arrosto", gebratenes Milchlamm von unwiderstehlicher Zartheit, das ein Muss für das Osternfest ist, und der Seebarsch vom Grill aus Fiumicino, oft perfekt zubereitet. "I colli", die weichen vulkanischen Hügel neben Rom liefern hauptsächlich zwei legendäre Weine: Frascati und Est! Est!! Est!!!. Der letzte wurde im 12.Jh. berühmt wegen des Dieners eines Bischofs, der sicherlich, seinen Einfällen nach, vom Delirium tremens befallen gewesen sein musste; dieser Weißwein aus Trebbiano und Malvasia ist trocken, fruchtig und mit Mandelgeschmack. Der Frascati wird aus Reben gewonnen, die auf sanften Hängen wachsen und häufig eine hohe Qualität erreichen.
Weitere empfehlenswerte Weine sind der Colle Picchioni, ein Rotwein aus Merlot und Cesanese mit etwas Sangiovese mit viel Format und Bukett und der Torre Ercolana aus den Ciociaria-Bergen, mit opulentem Bukett, einer einmaligen Kraftfülle und einer interessanten Geschmackskonzentration.
Was ist nach einer schmackhaften Mahlzeit und einigen Tropfen vom Nektar des Bacchus geeigneter, als in den berühmten Straßen des historischen Zentrums von Rom zu bummeln, den mythischen via Frattina, via Condotti, via del Corso, via Borgognogna und Piazza di Spagna?
In Rom haben die meisten Geschäfte auch am Sonntag offen, die Auswahl der verschiedensten Waren ist extrem vielfältig und die Preise sind in der Regel nicht übertrieben.
Neben den raffinierten Kultmodeschöpfern Versace, Ferrè, Fendi, Bulgari & Co. findet man eine ganze Reihe von Boutiquen, Buchhandlungen (auch mit Büchern in deutscher Sprache), Kräuterläden, Blumenläden, Juweliers, Antiquitätenläden, Delikatessengeschäfte, welche neben alten Kirchen sind, am Fuße von Palästen atemberaubender Schönheit, in deren Schaufenstern sich Denkmäler für die Ewigkeit widerspiegeln, als auch Palmen, Azaleen und die neugierigen Gesichter der Passanten.
Einkaufen in Rom ist etwas mehr als Shopping, es ist einladender, spannender, manchmal recht überraschend: Wenn man sich im Spiegel anschaut, um festzustellen, ob das getragene Kleid wirklich sitzt, und man bei einer weichen Drehung die Silhouette des Pantheon bemerkt, das Fließen des Wassers eines anziehenden barocken Brunnens hört oder die Reliefs irgendeines eingemauerten Sarkophags mit Löwen, Delphinen und Drachen sieht, wird man sehr wahrscheinlich von der Fantasie mitgetragen, von dem Wirbel dieser einzigartigen Stadt die soviel zu erzählen hat, und man wird sich als Teil von ihr fühlen, mit einem Gewand, das weit über das bloße Produkt hinaus geht.
"Meine Dame", sagt plötzlich der Verkäufer mit einem Hauch femininer Art zu der eleganten Frau, die gerade eine Seidenbluse mit sexy-Rock probiert, "was Sie gerade anhaben, ich meine natürlich etwas Ähnliches, trug auch die Frau des Marchese von Grillo im 17. Jh.".
"Und wer war dieser Marquese?" fragt die entzückende Dame.
"Er pflegte die Tradition, bei bestimmten Festlichkeiten den Armen Goldmünzen zu schenken", antwortet der Jüngling.
"Das ist aber sehr liebenswürdig; aber was hat dies mit meinem schönen pret-á-porter zu tun?" erwidert die Dame.
"Er warf brandheiße Münzen vom Fenster hinunter, das Volk verbrannte sich die Finger und, so dumm wie es was, bedankte es sich noch."
"Wie witzig! Und seine Frau?"
"Ach, die Frau... ja die Frau... meine Gnädige, sie war die bestangezogene Dame in ganz Rom!"


(Dr. Gianni Lorenzo Lercari ©)

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