Cinque Terre: zwischen Stein und Meer
Die 5 Terre, urligurische Dörfer, wo das Schreien das Leben bestimmte, die Fremden "weiße Popos" genannt wurden, und jeder über einen Spitznamen verfügte, was den Betroffenen oft nicht glücklich machte.
Steile Hänge. Agaven
mit riesigen gelben Blumen, graue Klippen und das Meer dort unten. Gerade nicht
ein Ungeheuer, das Meer, aber fast; die Einheimischen kamen nämlich aus den
Bergen und hatten mit dem Wasser nicht allzuviel Vertrautheit. Die Barbaren
griffen aber immer öfters an, im Hinterland, und die Küste schien eine gute
Fluchtmöglichkeit, da das Meer eine Domäne der byzantinischen Kriegsschiffe
war. Also fingen diese zähen Ligurier an, Dörfer aufzubauen: die Kirche zuerst,
dann die Häuser, ein Nebeneinander, ein Aufeinander. Das genügte wohl nicht,
da in der Gegend die Anzahl der Grundstücke gleich null war: Die Küste war so
steil und steinig, dass man sich etwas einfallen lassen musste. Schleppen lautete
das Motto, Erdeschleppen und Trockenmauern errichten, um Terrassen zu gestalten,
auf denen man überhaupt etwas anbauen konnte. Dieser Spaß dauerte Jahrhunderte:
Man hat ziemlich genau berechnet, dass die Gesamtlänge all dieser Mauern über
12.500 km war, also viel mehr als jene der berühmten Chinesischen Mauer. Böse
Überraschungen waren jedoch das Alltägliche: Zuviel Regen, und die ganze Terrasse,
samt Mauern und Erde, Rebe oder Gemüse fiel einfach ins Meer; was dem Bauer
blieb, war ein schöner ockergelblicher Fleck in dem grünen Wasser und die einzige
Wahl, wieder anzufangen, Stein nach Stein, Korb nach Korb (voll Erde) und Stufe
nach Stufe.
Der Schrei war das Verständigungs-mittel: zum Rufen, zum Schimpfen, zum Fluchen;
die Frauen schrien ebensoviel wie die Männer, und die Dörfer genossen täglich
dieses schrille Konzert. Die Gewohnheit ist heute noch präsent, nur ein wenig
abgeschwächt, und fast zur Tradition geworden. Die ersten "Fremden", die diese
Gegend entdeckten, waren im Grunde keine echte "foresti ": Sie waren mehr oder
weniger mit den Dorfbewohner verwandt, lebten aber in der Stadt. Sie kamen im
Frühsommer hierher, relativ blass, in der Zeit, in der auch die Schwalben auftauchten;
deshalb verdienten sie, wie eben diese Vögel, die Benennung "cûgianchi", was
weiße Popos heißt, worüber sie sich beträchtlich ärgerten. Das haben sie aber
überstanden, und heute sind die Touristen in der Überzahl, zumindest in den
Sommermonaten. Eine Infrastruktur nach Maß gibt es nicht: Die Einheimischen
behaupten, dass dem Touristen nicht allzuviel geboten werden muss, da die unwiderrufliche
Konsequenz eine negative Verwandlung des ursprünglichen Ambientes wäre.
Im Grunde reichen die besondere Landschaft, die atemberaubenden Küsten und die
Atmosphäre.
Wahr ist, dass Restaurants und kleine Hotels oder Pensionen auf den Tourismus
gebaut haben; für die meisten Bewohner aber sind die Schwärme im Juli und August
nicht gerade etwas Willkommenes: Lärm und Müll ist der Trend, die geregelte
Ruhe der Dörfer geht auseinander, und der vorhandene Platz ist knapp für soviele
Menschen.
Monterosso, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore heißen die Glorreichen
Fünf, die die Bezeichnung "5 Terre" der Diözese von Luni verdanken. Die religiöse
Präsenz ist hier immer stark gewesen: Jedes Dorf hat nämlich eine Wallfahrtskirche
auf den Bergen, und der Kult des Todes spielte immer eine wichtige Rolle, in
einer merkwürdigen Mischung zwischen Heidnischem und Christlichem. Zahlreiche
Legenden erzählen von Seelenprozessionen in den engen Gassen, nachts, in den
Stunden, in denen es den Menschen verboten war, das Haus zu verlassen; Feste
und kirchliche Veranstaltungen sind immer noch aktuell und zeigen, wenn auch
nicht mehr mit der Intensität von früher, Szenen à la "Peppone und Don Camillo";
Altkommunisten schimpfen die ganze Woche durch über Gott und die Welt, tragen
aber am Sonntag riesige Kruzifixe bergauf bis zum Friedhof, helfen beim Schmücken
der Kirche für bestimmte Anlässe und, wenn auch vereinzelt, singen im Kirchenchor.
Das Dorfbild hat sich im Laufe der Jahre kaum verändert: Die Fassaden sind immer
das farbige Auge der Straßen, die Glockentürme ragen in den Himmel, die Boote
schwanken an den Bojen, und wenn das Meer unruhig wird, werden sie regelmäßig
an Land gezogen; die Menschen leben in Symbiose mit den endlosen Treppen, plaudern
in den kleinen Läden beim Einkaufen, gehen täglich in die "orti", Gemüsegärten,
wo alles angepflanzt wird, von den Zucchini bis zu den Blumen, und kümmern sich
schlussendlich um ihre eigenen Angelegenheiten; sie schleichen zwischen den
Touristen, als ob jene gar nicht da wären, die Kinder spielen weiter Fußball
auf dem Platz, die älteren Frauen sitzen auf dem Kirchplatz oder auf einer Bank
unter den Tamarisken und bedauern, wie sich die Zeiten geändert haben.
Wanderwege am Rande der Kluft
Mai ist der liebste
Monat, hauptsächlich der Flora wegen. Die Hänge, in der Regel graugrün und braun,
verwandeln sich in eine bunte Farbenpalette; der Maler Gott läßt seiner Fantasie
freien Lauf und spritzt überallhin gelbe Ginsterflecken, purpurrote Spornblumenzeichnungen
und violette Glöckchenstreifen. Die eigenartigen Wanderwege, die die Dörfer
verbinden, winden sich inmitten von wilden Blumengärten, zwischen Olivenbäumen,
Reben, Pinien, Myrte und allgegenwärtigen riesigen Wolfsmilchpflanzen. Das Panorama,
das man von dort oben genießt, ist atemberaubend: An einigen Stellen sieht man
die ganzen 5 Terre, von zwei messerartigen Landzungen, die sich in das Meer
erstrecken, Punta Mesco und Capo di Monte Negro, eingeschlossen. Man begegnet
Schlossruinen, gepflegten Obstgärten, Marmortafeln, Kapellen, kleinen Tälchen
mit Bächlein, urigen Parzellen, wo Hennen und lustige Zieglein frei herumlaufen,
und manchmal dem Zug, wenige Meter vom Meer entfernt, der schnell und fast geräuschlos
von einem Tunnel kommend in den anderen verschwindet. Die Höhenunterschiede,
die man bewältigen muss, sind zwar nicht enorm, eine gute Kondition ist aber
erwünscht aufgrund der unzähligen Stufen, die vom Dorf zu den relativ ebenen
Küstenwegen führen.
Da oben ist die Luft ganz anders, sie hat mit dem salzigen Geruch des Meeres
nichts zu tun: Eher Düfte aus den Bergen erreichen den Wanderer, der curryartige
der Strohblume zum Beispiel oder jener des Origano, der Pinien, die ab und zu
richtige Oasen zwischen den Büschen bilden, und des wilden Fenchels. Wenn das
Meer unruhig ist, werden die Wellen vom Südwind geschoben; ein kraftvolles faszinierendes
Spektakel: Sie schlagen und schlagen gegen quergeschnittene Klippen mit unglaublichen
Spritzspielen, und das Wilde, das in den Dörfern noch versteckt lebt, nimmt
Gestalt an und zeigt sich in all seiner Schönheit. Was man noch findet, genau
wo die Wege den Rand der Klüfte, die über 100 m hinunter fallen, streifen, sind
die Feigenkakteen, deren Früchte rot und einladend zum Genuss rufen. Vorsicht,
Jahre her musste ein deutscher Urlauber einige Stunden im Krankenhaus verbringen:
Die Anzahl der von der Schale der Feigenkakteen in seinen Gaumen und seine Zunge
gelangten winzigen Dornen ging nämlich in die Tausender.
Von Dichtern, Malern und Wein
Dass eine solche Gegend,
reich an Schönheiten und Naturkontrasten, sensible Wesen wie Dichter anziehen
kann, ist fast selbstverständlich. Schon Petrarca schrieb über die 5 Terre;
zwar lobte er mehr den Wein als das andere, aber die guten Tropfen von der Sonne
gebrannt waren für ihn einfach unwiderstehlich. Eugenio Montale, Literaturnobelpreisträger
1975, besaß ein Haus in Monterosso, was er als "Eremitage der Musen" bezeichnete;
fasziniert war er von den Weinterrassen an den Hängen, vom "rostbraunen Nest
Corniglias", hauptsächlich aber von der menschlichen Geschichte der Einwohner
dieser Dörfer, welche, einsam und mutig, mit den endlosen Dimensionen des Meeres
irgendwie verbunden waren.
Die Ernte ist heute wie früher ein Erlebnis: Von unten gesehen sind die Weinterrassen
perspektivisch fast unmöglich wahrzunehmen, wie die Männer und die Frauen, die
unermüdlich auf und ab rennen. Die einen tragen 80 kg schwere Körbe auf dem
Rücken, die anderen, mit einem fast unglaublichen Gleichgewichtsspiel, meistern
die hohen Stufen mit gut 35 kg auf dem Kopf. Zwar gibt es seit einigen Jahren
Schienen, die diese Arbeit sehr erleichtern, aber sie sind begrenzt anwendbar,
lediglich dort, wo die Hänge nicht allzu steil sind. Nachdem die Trauben endlich
die Keller erreichen, fängt die ganze Prozedur an, die der alten Tradition treu
geblieben ist. Seit der Gründung der "Cooperativa del vino delle 5 Terre DOC"
verkaufen ihr mehrere Bauern fast die ganze Produktion zu recht guten Preisen;
nur einige haben es lieber, auf der Selbsterzeugung zu beharren, um was den
typischen trockenen Weißwein anbelangt als auch den "Sciacchetrà", Süsswein
aus luftgetrockneten Reben gewonnen. Der auserwählte Fremde, der die Möglichkeit
hat, eine solche Flaschen zu bekommen, kann vor Freude einen Luftsprung machen,
da eine solche Gelegenheit recht selten vorkommt.
Szenen aus der Ernte in den 5 Terre malte der berühmte Telemaco Signorini, der
in Riomaggiore eine "ursprüngliche Ruhe" fand, inmitten einer wilden echten
Atmosphäre und weit weg von den wenig sinnvollen Polemiken der Florentiner Kunstwelt.
Gemüse und Fische
Hauptsache bodenständige
Zutaten.
Ja, von einer kargen Erde kann man leider nicht viel erwarten, und um was die
Fische anbelangt, so sind sie mehr ein Produkt der touristischen Ära. Sie waren
nämlich, im Gegensatz zu dem, was man eigentlich annehmen würde, keine ursprünglichen
Hauptgerichte dieser Gegend. Abgesehen von dem schon erwähnten Umstand , dass
die damaligen "vernazzesi, monterossini etc." aus dem Landesinneren kamen, also
mit der Fischerei nicht sehr vertraut waren, spielte auch die ligurische Regierung
eine entscheidende Rolle, um sie von dieser Tätigkeit abzuhalten: Es gab nämlich
genaue Gesetze, die festlegten, dass der Fisch lediglich von den Mitgliedern
des Adels genossen werden durfte.
Wie beim Anbauen von Wein und Oliven wurden die Einheimischen erfinderisch:
Das Gemüse ließ sich ohne besondere Schwierigkeiten kultivieren , das Mehl war
leicht zu besorgen. Man erfand den "Pesto", Sauce mit frischem Basilikum, Knoblauch,
Pinienkernen und rohem Olivenöl für hausgemachte Nudeln;
Torten mit Gemüsefüllung waren und sind immer sehr beliebt, besonders wenn Kräuter
hinzugefügt werden; der "Tegame alle acciughe" (Sardellen,Kartoffeln und Tomaten
schichtenweise aufeinander, im Backrohr gebraten) und die "Focaccia", eine Art
Fladen, gelegentlich mit Oliven, Zwiebeln oder Käse, können gemütlich an einem
Tisch am Meer gekostet werden, vor den unglaublichen Farben und Bildern eines
Sonnenuntergangs am Horizont. Aber die Fische sind heute der Hit in den zahlreichen
Restaurants der fünf Dörfer: frische Fische als Vorspeise, als Hauptgericht,
als Cocktail. Man zahlt, das ist wahr, das Panorama, die Atmosphäre und den
Charme Italiens mit, aber in den meisten Fällen ist man doch sehr zufrieden
und möchte wieder eine wunderschöne "Orata al forno" (gegrillte Goldbrasse)
genießen; und der Gedanke, dass gerade jener Fisch, den man einladend auf dem
Teller vor sich hat, vor einer halben Stunde noch dort schwamm, wo jetzt in
dem traumhaften Dämmerlicht ein Boot langsam vorwärts zieht, läßt sich schnell
und einfach mit einem Glas guten "5 Terre DOC" Weißwein verdrängen. Dann läuten
die Glocken, und plötzlich hört man den berühmten Schrei, irgendwo in einer
Gasse: Wenn man wüßte ! Man hat gerade "Zahnbrasse" gerufen. Ein Fisch ? Nein,
ein Mann, der als Kind vorstehende Zähne hatte.
(Dr. Gianni Lorenzo Lercari ©)