Christkindl & Santa Claus: zwischen Mythos und Wirklichkeit der Weihnacht


Dezember. Irgendwo im Himmel. Ein fester Mann mit langem weißen Bart, rot gekleidet und mit einer lustigen Zipfelmütze reist unermüdlich durch die Gegend; sein von Elchen gezogener Schlitten ist mit ganzen Säcken voll Geschenke beladen und er hält bei jedem Haus an, in welchem sich ein gutes Kind befindet.
Jedes Mal klettert er auf den Schornstein, öffnet einen Sack, holt einige Spielzeuge heraus und lässt sie durch den Kamin in das Haus hinein. Dann gibt er seinen acht Rentieren die Sporen und die nächtliche Reise wird fortgesetzt.
Jeder von uns hat diese faszinierende Geschichte gehört und an sie geglaubt, als wir ungeduldig auf den Moment warteten, endlich die Überraschungen unter dem Weihnachtsbaum bzw. im Nikolaussackerl entdecken, auspacken und genießen zu können.
Und jeder von uns hat sich ein bisschen schwer getan, wenn sich die ganze Prozedur als bloße Elternaktion entpuppte: Ein Stück Kindheit war dadurch endgültig vorbei und mit ihm auch eine Portion der uneingeschränkten Phantasie, des Märchens und des Traumes, welche den vielfältigen Kinderwelten eine eigene Kraft und Magie verleihen.
Aber der mysteriöse Geschenkbringer mit dem Namen Santa Claus ist keine erfundene Figur; sie beruht auf der alten Legende des Heiligen Nikolaus, der im 3. Jahrhundert Bischof von Myra, einer Stadt an der kleinasiatischen Mittelmeerküste war. Nikolaus wurde um 245 v.Ch. in Patara geboren und stammte aus einer wohlhabenden Familie. Der verfrühte Tod seines geliebten Vaters prägte seine Kindheit so sehr, dass er später stets bemüht war, durch sein großes Vermögen das Leiden von anderen zu mildern und zu lindern. Hauptsächlich hatte er ein Herz für Kinder und besaß die Fähigkeit, Wunder zu vollbringen: Er konnte nämlich Säuglinge, welche man ermordet hatte, ins Leben zurückrufen.
Eines Tages erfuhr der Heilige Nikolaus, dass es in einem Schloss einen Adeligen gab, der unter unglücklichen Umständen ganz arm wurde. Dieser Herr hatte zwei Töchter, die gerne heiraten wollten aber nicht konnten, denn damals war es leider sehr schwierig, einen Gemahl zu finden, wenn man über gar keine Mitgift verfügen konnte.
Daher entschied sich Nikolaus, den unglücklichen Damen behilflich zu sein. Eines Nachts näherte er sich dem Schloss des armen Herren und warf durch ein offenes Fenster das Geld hinein, welches notwendig war, der älteren Tochter des Adeligen eine Hochzeit zu ermöglichen.
In der nachfolgenden Nacht wollte er sich um die jüngere Tochter kümmern, aber das Fenster war diesmal geschlossen. Also ließ er sich etwas Anderes einfallen.
Am frühen Morgen, als das Mädchen in den kalten Wohnraum kam, fand es einen Sack voll von glitzernden Goldmünzen: Und sie lagen alle neben dem Kamin.
Als Erinnerung an dieses wunderschöne Geschehnis hängen die Kinder seit geraumer Zeit große Socken an den Hauskamin und warten jedes Mal mit großer Freude auf das Kommen des Geschenkbringers.
Eines Tages verboten aber die Prinzipien der protestantischen Reform den Kult des Heiligen und so wurde in diesen Ländern selbst Nikolaus gezwungen, um überleben zu können, sich zu verstecken und sich in ein geheimnisvolles Wesen des Waldes zu verwandeln.
Als die ersten Holländer nach Amerika auswanderten, nahmen sie diese Tradition in die Wahlheimat mit; aber im Neuen Kontinent musste sich der Heilige Nikolaus einer weiteren Transformation unterziehen: Er wurde nämlich zu einem Elfen, welcher in der Nacht zwischen dem 24. und dem 25. Dezember den braven Kindern viele Geschenke bringt.
Und die Kinder, als Dankeschön für alle wunderbaren Dinge, die sie bekamen, schmückten einen Tannenbaum mit Süßigkeiten, Obst und Kandisfrüchten, welche der Heilige Nikolaus essen durfte. Somit entstand der berühmte Weihnachtsbaum. In der heutigen Zeit ist Santa Claus weder ein Heiliger noch ein magisches Wesen des Waldes: Seine Gestalt ist jene eines runden alten Mannes mit einem langen weißen Bart und einem roten Anzug. Diese moderne mythische Figur entstand Anfang der 30er Jahre in der Marketing-Abteilung der Coca-Cola Company und diente als Werbemittel für dieses Getränk. Und diese Erfindung wurde von einem unglaublichen Erfolg gekrönt.
Seit damals denkt nämlich jedes Kind an den sympathischen Greis, der mit all seinen eifrigen Kobolden das ganze Jahr durch in Korvatunturi, einem geheimnisvollen Dorf in Lappland arbeitet um viele, viele Spielzeuge in seiner Werkstatt zu erzeugen. Auch in diesem Fall, wie es oft bei den Traditionen festzustellen ist, mischen sich das Heilige und das Profane, und jedes Land feiert diesen Aspekt der Weihnachtszeit mit Elementen, Bräuchen und Sitten, welche dem einen oder dem anderen zuzuschreiben sind.
Bei den vorwiegend von Katholiken vertretenen Nationen wird dem Santa Claus das Christkind entgegen gesetzt: Das Letztere hat eine ganz andere Geschichte, ist eng mit dem Mythos und den religiösen Dogmen verbunden und bedient sich einer bildhaften, poetischen und metaphorischen Sprache. Unter anderem ist das Weihnachtsbild der westlichen Welt von der Krippe bestimmt, und die Krippe als Darstellung der Geburt Jesu hat nicht nur mit der Frage der Menschwerdung Gottes zu tun, sondern auch mit den ikonographischen Kunstgegenständen unserer Kulturgeschichte und mit den neuen Konsummythen unserer westlichen Gesellschaft.
Das Allegorische nimmt je nach Ort immer neue Gestalten an: Manche Krippen versuchen der Landschaft um Bethlehem treu zu bleiben, andere passen sich an die regionale Umgebung an, weitere lassen der Fantasie freies Spiel und versuchen eine Modernisierung der Antike. Aber die Bedeutung der Hoffnung - in die Finsternis der Welt bricht das Licht der großen Hoffnung ein - ist allmählich verloren gegangen, und das kleine Kind in der Mitte der choreographischen Darstellung der eigenen Geburt nimmt auch die Konnotation eines Geschenkbringers an, zwar ohne rotes Kostüm und ohne Kamin, aber nicht weniger faszinierend.
Die Kinder glauben nämlich daran, dass das Christkind zu Weihnachten veranlasst, dass ihnen Spielzeuge geschenkt werden. Sie schreiben ihm Briefe (heute vielleicht sogar SMS und E-Mails) mit Geschenkswunschliste und der Versprechung, immer gut und brav zu sein. Dann kommt endlich die magische Nacht und...oh Wunder, oh Wunder, unter den Tannenbäumen der halben Welt glitzern Pakete mit Schleifen, farbigem Papier und goldenen Sternchen.
Und auch die Freude ist immer noch groß und die Frage, wie eigentlich die Geschenke dort gelandet sind, ist in dem Moment vielleicht nicht mehr so aktuell. Wichtig ist, dass das Magische der Kinderwelt wieder da ist: Ob der Auslöser dieses Glücks Santa Claus oder Christkind heißt, ist eigentlich nicht zentral, denn beide schaffen, dass die Kinder leuchtende glückliche Augen bekommen.


(Dr. Gianni Lorenzo Lercari ©)