Wir reden hier nicht von Liebe!
"Eine
Kurzmitteilung erhalten" Das Handydisplay leuchtet, ihre Augen funkeln. "Hast
du heute abend Zeit, hast du Lust? Sonst wird das ja nie etwas mit uns beiden..."
Er ist ihr so fremd und dennoch fühlt sie sich ihm hingezogen, so ausgeliefert.
Ein Wort ergibt das andere - sie fühlt sich unsicher in seiner Gegenwart,
kann ihm aber nicht widerstehen.
"Kommst du mit zu mir? Ich spiele dir meine
CD vor!" Sie willigt ein und ist gerade dabei ihren Verstand zu verlieren, abzuschalten.
Ein Schlagzeug, ein Klavier und ein Bett, mehr nicht - sie kann sich kaum
umdrehen in der 25 m² Wohnung - ist dies ihr zukünftiges Liebesloch, der Platz
ihrer erotischen Begierde? All diese Fragen zerplatzen wie Seifenblasen in der
Umgebung - nun zählt nur mehr er und sein unwiderstehlicher Charme. Seine Hand
durchstreift ihr Haar, ihre Lippen sind zwei Magneten, die einander anziehen -
die Lust der Verführung ist am Höhepunkt angelangt. Schmutzige Gedanken, schmutzige
Worte, schmutzige Gesten - ach, möge dieser Moment ewig verweilen!
Jedoch
die Zeit bleibt nicht stehen, es ist Zeit für sie zu gehen. Mit einem flüchtigen
Kuss und den Worten "Du bist ja gar nicht so brav, wie ich dachte...." verabschiedet
sich ihre neue Bekanntschaft - das Liebesabenteuer - ihr "Begierdeobjekt".
In
den folgenden Tagen ist sie plötzlich wie ausgewechselt - ihre Gedanken schwirren
um ihn, ihre Gefühle tanzen Salsa, Samba und Merengue zugleich und auch ihre Korrektheit
verschwindet. Sie möchte ihren Spaß und ihre Fantasien ausleben - es vergeht keine
Nacht, die sie nicht gemeinsam verbringen. Sie macht die Nacht zum Tag und genießt
diese Momente, diese neuen Erfahrungen. Von Liebe ist allerdings keine Rede. Auch
intellektuelle, sinnvolle Worte werden kaum gewechselt - diese Treffen beschränken
sich einzig und allein auf Lust, Begierde und Spaß.
Nie hätte sie sich gedacht,
dass sie zu so etwas fähig ist - anscheinend doch und es scheint ihr zu
gefallen, sogar sehr.
Er ist 10 Jahre älter als sie, er hat eine Freundin,
die er mit ihr betrügt - all' das, was für sie bis jetzt einen Mann uninteressant
machte, scheint plötzlich so interessant, so herausfordernd, so aufregend für
sie.
Schließlich holt sie ihr Aufenthalt in Frankreich wieder in die Realität
zurück. Ihre Freundin kann sie nicht verstehen, dass gerade sie sich in so etwas
einlässt. Ihr Verstand kehrt allmählich wieder und sie bereut beinahe die letzten
Tage so verbracht zu haben.
Sie beschließt dieses Intermezzo zu beenden. "Treffen
wir uns im Caféhaus, und lass uns reden!" Das Caféhaus ist ein neutraler Platz,
keine verführerische Umgebung, die sie zurückholt in ihre "verstandlose Spaßzone".
Küsschen links, Küsschen rechts, ein paar flüchtige Worte, eine oberflächliche
Diskussion über den Steinstrand von Nizza - als ob nie etwas passiert wäre - doch
plötzlich spürt sie seine Hand auf ihrem Bein unter dem Tisch. Eine einzige Berührung
reicht und sie ist ihm wieder verfallen. Dabei hat sie sich ja so fest vorgenommen,
mit ihm einmal vernünftig zu reden... wieder einmal hat die Versuchung gesiegt,
Erinnerungen zu wecken und dieses starke Bedürfnis nach seiner Zärtlichkeit so
präsent wie noch nie zuvor zu machen.
"Herr Ober, die Rechnung bitte - wir
sind in Eile!"
Dass sie dieser Mensch so aus der Fassung bringen kann, will sie nicht begreifen. Sie, die immer so stark und selbstbewusst ihre Vorhaben durchsetzt; Sie, die immer Prioritäten setzt und ihre Ziele verfolgt - genau sie findet sich plötzlich im Arm eines "Unbekannten" und kann nicht genug von ihm kriegen. Er ist wie eine Droge für sie - eine Droge, die sie in einen Glückszustand versetzt. Ihr Traummann? Nein, der ist er auf keinen Fall, jedoch eine Erfahrung, die sie nicht missen möchte...
(von Silvia Leenden)