„Ach, Nepomuk.
Du sagst da einfach gar nichts, wie? Du bist einfach da. Ob ich’s nun tue oder
nicht.“
Warum ist es
nur so angenehm, dass dieser Kater, dieser fette, nichtstuende Kater hier ist!
Dass ich ihn streicheln kann, das ist schön. Dass er um meine Beine streicht,
meine Haut liebkost, auf meinem Bauch liegt und seinen Kopf an meine Schulter
legt, als wäre er ein Geliebter, der erschöpft nach dem Akt die Wärme sucht.
„Nepomuk. Du
brauchst mir nur zuzuhören!“
Mehr muss gar
nicht sein. Mehr will ich auch gar nicht. Oder?
Diese Bettdecke
ist weich, so weich wie Nepomuk, und wie mein Kopfkissen, wie auch die vielen
anderen Kissen. Ich lasse mich einfach nach hinten fallen, strecke meine Beine
nach oben in die Luft, lasse sie über mir baumeln und wackeln, denn mich beobachtet
ja keiner. Ich kann tun was ich will. Ich möchte immer auf diesem Bett liegen,
mich nach links drehen, mich nach rechts drehen, das Gesicht in die Federn drücken
und spüren, dass es mir wirklich etwas ausmacht, keine Luft mehr zu kriegen. Ich
ziehe mich aus, bis ich ganz nackt bin. Ja. Meine gesamte Haut wird alles, was
außerhalb von ihr ist, spüren und darauf reagieren. Meine pure Nacktheit.
Die Heizung
steht auf fünf, das Fenster ist seit zwei Tagen geschlossen. Und Nepomuk ist müde.
Sehr müde. Deswegen bleibt er bei mir liegen. Ich könnte meinen Körper mit einem
Peeling bearbeiten, so dass die Haut so weich wie die Bettbezüge wird, so sanft,
so einfach und unschuldig. Ob Tim das mag? Ja, sicher. Er wird es mögen. Er wird
mich noch mehr streicheln wollen.
Ich kann nicht
Ewigkeiten hier so herumliegen. Das wird nicht funktionieren. Irgendwann ruft
bestimmt Tim an. Dann muss ich es ihm sagen. Geradeheraus, einfach so, ohne Umschweife.
Was ist das Problem? Es gibt nur eines zu verlieren. Und das verliere ich doch
sowieso. Oder?
„Komm her,
Nepomuk. Komm. Sträub Dich nicht. Komm, Nepomuk.“ Mute ich ihm zu viel zu? Nein.
Er versteht mich sowieso nicht. Aber er tut wenigstens nicht so, als würde er
es können.
„Nepi. Tim.
Es ist nicht leicht für mich, das kannst Du mir glauben, wirklich. Aber.... Tim.
Ich bin schwanger...
Ach, scheiße,
das geht so nicht. Nepi, was soll ich denn sagen!? Denkst Du, dass ich feige bin!?
Aber das ist eben nicht einfach! Das kannst Du nicht nachfühlen. Also noch mal.
Tim, ich bin schwanger.“
Nein, das funktioniert
auch nicht. Viel zu schnell. Er muss sich erst mal hinsetzen können. Auf einen
Stuhl. Oder vielleicht auf das Bett? Vielleicht sollte ich mich gar nicht anziehen,
wenn er kommt. Er kennt mich doch sowieso nackt. Er kennt meinen Körper, und er
wird ihm nicht widerstehen können. Kann er dann überhaupt ausrasten, wenn er mich
nackt vor ihm liegend sieht? Die noch dazu durch grobe Peeling – Behandlung so
samtig und flauschig wie das glänzende Fell meines Katers ist?
Genau. Ich
werde überall Kerzen anzünden. Auf der Fensterbank, auf meinem Nachttisch aus
dunklem Holz, auf meinem kleinen alten Couchtisch, den er so schön findet, auf
dem Boden rund um das Bett, auf meinem Schreibtisch. Und Teelichter auf den Bilderrahmen.
Meine Bilderrahmen sind dick genug. Und wenn sich das flüssige Wachs vermehrt
und sich durch die Wärme ausweitet, dann tropft es auf unsere hitzigen, feuchten
Körper und umschließt uns liebevoll wie ein schützender, wohlwollender Mantel.
Er wird mein
Gesicht in schmeichelndem Licht erblicken, wenn ich ihm die Botschaft überbringe.
Eines meiner Augen wird im Schatten liegen, er wird seine Hand an meine Wange
halten und meinen Kopf seicht zur Seite schieben, um das verdeckte Auge erkennen
zu können, aus dessen Iris ein einzige kleine Träne rollt, die er sogleich wegküssen
wird. So wie er alles wegküssen wird. Er wird gar nichts sagen, mich einfach nur
küssen, mich streicheln, meine Haare hinter meine Schultern legen, um seine Lippen
fordernd an meinen Hals zu schmiegen. Seine Lippen werden zittern, aber er wird
nichts sagen, weil er weiß, dass es nichts zu sagen gibt außer die stumme, törichte
Liebe, die er mir schenken wird. Die Kerzen werden von allein ausbrennen, wenn
wir von Wachs besprenkelt, ineinander verkeilt und miteinander atmend, dem Schlaf
das Gesicht zeigen, so wie es vor drei Wochen war, vor genau drei Wochen. Da hatten
wir keine Kerzen. Aber ich habe ihm gesagt: „Tim, das nächste Mal... vielleicht
überrasche ich Dich mit einer Prise Romantik.“ Er lächelte bevor er einschlief,
und ich sah ihn noch lange an, bis meine Augen anfingen zu schielen und meine
Lider so schwer wie gefüllte Säcke herunterklappten. Dann begegnete ich ihm im
Traum. Und habe ihn noch mal geliebt.
Oh Gott, so
würde mich keiner sehen wollen. Ich sehe furchtbar aus. Meine Augen sind so dick
und verquollen wie aufgebackene, schrumpelige Brötchen, drum herum schwarze, verschwommene
Paste, die zur Wange hin immer dünner wird. Meine Wimpern kleben aneinander, meine
Haare fangen an, vor Fett zu glänzen. Nur Nepomuk darf mich so sehen. Ihn stört
so etwas nicht.
Vielleicht
sollte ich mich waschen, meine Schminke wegwischen und Neue auftragen. Wer weiß,
vielleicht kommt Tim spontan vorbei. Man kann nie wissen. Vielleicht sollte ich
ein wenig Gesichtsgymnastik machen,
das würde bestimmt Einiges lockern. Und Töne dabei herauslassen, die ich selber
von mir bislang nicht kannte. Das befreit den Geist.
„Tim. Es tut
mir leid. Es ist etwas passiert. Aber raste nicht aus, so schlimm ist es auch
nicht. Zumindest nicht für Dich.“
Reiß Dich zusammen,
Ariane, du hast einen Mund zum sprechen. Wenn es einmal raus ist, dann geht es
dir gut!
„Tim. Ich bin
allein. Ich fühl mich einsam.“
Scheiße, komm
zum Punkt!
„Bitte werd
jetzt nicht verrückt! Ich bin es ja
schon... Wir haben nicht aufgepasst. Wir haben...“
Nein, jetzt
nicht weinen, das muss doch nicht sein. Verdammt, das ist zu viel. So viel Pathos
wird er nicht ertragen. Hör auf, Ariane, hör auf! Vielleicht sollte ich mich wieder
auf das Bett legen. Aber wenn ich vor ihm stehe, mit meiner dünnen Figur, meinen
hervorstechenden Knochen unter dem Hals, dann wird er zärtlich sein. Das muss
er. Er wird nicht anders können.
Wenn ich mit
meinem Finger über das Fensterglas streiche, dann ist er ganz grau an der Stelle.
Dort draußen ist es so laut. Die lachen da hinten. Sie stehen einfach da und lachen.
Worüber wohl? Ob ich da auch drüber lachen könnte? Ich weiß nicht. Wahrscheinlich
eher nicht. Vielleicht sollte ich das Fenster öffnen, um Nepomuk zu wecken. Aber
nein, dann will er raus, dann bin ich wieder ganz allein. Ob sie mich hier nackt
stehen sehen können? Nein, die würden gar nicht daran denken, hierher zu sehen.
Ich habe noch
nicht einmal Lust zu tanzen, auch nicht zu der Musik aus dem Café da drüben. Wenn
ich das Fenster jetzt öffnen würde, dann käme sie ungehindert bis hin zu meinem
Bett, und ich würde schweigend dort sitzen, regungslos, ohne an das Tanzen zu
denken. An das Tanzen mit Tim. Wie er mich umschloss, mit seinen großen langen
Händen, die mich endlos umschlingen und nach mehr verlangen. Nach viel mehr. Nach
dem, was ich ihm gegeben hab.
Warum ist die
Vase runtergefallen? Ich habe doch gar nichts gemacht! Ob das ein Zeichen ist?
Nein, Ariane, daran glaubst doch gar du nicht. Das ist albern und dumm. Aber wenn
es nun jetzt vielleicht...
Scherben bringen
doch Glück. Und das liegt jetzt hier zerstreut auf dem Boden, hat sich mir ergeben.
Ich werde es einfach nicht aufsammeln, ich muss es nicht aufsammeln, das ist mein
Zimmer, und ich kann selber entscheiden, was darin passieren darf und was nicht.
Die Vase ist
von Lennard. Er hat sie mir geschenkt, weil er wusste, wie ich sie anschauen würde.
Weil sie eine obszöne Zerbrechlichkeit ausstrahlt, obwohl sie nur eine Vase ist.
Weil er wusste, dass er darüber würde lachen können, bis er selbst das Gefühl
hatte, etwas Lebendiges vor sich stehen zu haben. Von Hand gemacht, von Menschenhand,
einem Menschen, der währenddessen Gedanken hatte, die er in die Arbeit steckte,
nur in dieses eine kleine Werk, das er verkaufen musste, obwohl er es sich selbst
gerne an einen passenden Platz gestellt hätte.
Es macht mir
nichts aus, dass sie kaputt ist. Es ist schon lange vorbei mit Lennard, und seitdem
ist sie mehr eine Hülle mittleren Alters, die einen vorwurfsvoll anglotzt, weil
man ihr ihre Daseinsberechtigung entzogen hat. Aber ich bin nicht Schuld daran.
Lennard hat es getan. Und jetzt ist sie zerbrochen, vielleicht aus eigener Initiative.
Vielleicht ist es ihr letztes Wort. Ein einziges letztes, lautes Wort, das ich
nicht zu verstehen vermag. Vielleicht versteht Lennard es? Und wenn er nun hier
wäre? Würde er mich verstehen? Bestimmt. Er hat mich immer verstanden. Und seine
Gedanken müssen bei mir sein.
Einmal tief
ein – und ausatmen. Ganz ruhig, und die Hand an den Bauch, oder besser doch an
die Hüfte halten. Das ist unauffälliger. Tief ein. Und aus.
„Mir geht es
nicht gut, Tim. Was soll ich sagen, ich meine, was soll’s. Ich sag’s einfach gerade
heraus. Ich breche ab. Em... ich mache einen.... Abbruch.
Oder? Willst
Du eine Familie? Ich meine, alt genug bist Du ja. Und wir haben viel Zeit, um
uns immer näher zu kommen. Stimmt. Wo ich’s mir so überlege...
Mein Körper
bin nicht ich, das solltest Du wissen. Es ist sehr früh, ich weiß.“
Verdammt früh.
Vielleicht hasst er Kinder.
„Und Du bist
auch gar nicht vorbereitet. Aber wann ist man schon wirklich vorbereitet? Das
passiert doch in den seltensten Fällen, oder? Du faszinierst mich. Und wir hatten
doch so... Warum nicht einfach jetzt? Vielleicht würde es eh kommen. Vielleicht
ist das das Schicksal! Ist doch egal, wann. Oder?
Im Grunde genommen
können wir jetzt schon eine Familie...“
Er guckt mich
jetzt fragend an, ja bestimmt tut er das. Er will nur das Eine hören, das Zusichernde.
„Ich habe so
eine Lust auf Kinder!“
Und er will
noch mehr hören.
„Mit Dir!“
Vielleicht
sollte ich doch die Scherben entfernen. Ich schneide mich noch. Oder sogar Nepomuk
wird sich daran verletzen, wenn ich das Fenster öffne, er wach wird, und hinausspringen
möchte. Dorthin woher die Musik kommt, wo die Leute ihm etwas zu essen geben,
und einen Topf mit Wasser hinstellen.
Es sieht hier
aus wie im Schweinestall. Warum kann Natalja nicht einfach mal abwaschen? Es ist
typisch. Wenn ich mich mal ein paar Tage gehen lasse, dann bleibt alles stehen
und liegen, und verfault schneller als man dann noch abwaschen kann. Und wenn
sich so viel stinkendes Geschirr aufgestapelt hat, dann lässt man es erst recht
liegen und hofft auf eine höhere Macht, die sich um den Abschaum von Schmutz kümmert.
Ich will diesen widerlichen Müll hier nicht mehr haben. Meine Füße kleben auf
dem Boden, und es ist mir vollkommen egal, wenn sie mich jetzt hier nackt herumlaufen
sieht, ich habe sie oft genug schon auf der Toilette gesehen, so etwas kommt vor,
wenn man zusammen wohnt. Ist doch normal.
„Natalja! Natalja,
komm mal her! Natalja!“
Sie ignoriert
mich einfach, sie weiß, was ich will. Und sie hat keinen Bock, darauf einzugehen.
Dann marschier ich eben in ihr Zimmer. Ist mir egal, was hab ich zu verlieren.
„Natalja! Natalja?“
Ich weiß nicht,
wann ich sie das letzte Mal gesehen habe. Aber ich weiß, dass sie nicht an meine
Zimmertür geklopft hat, um sich von mir zu verabschieden. Das werde ich ihr das
nächste Mal sagen, und ich werde es ihr nicht so einfach nachsehen. Schließlich
könnte auch etwas passiert sein, und man macht sich doch auch ein bisschen Sorgen
um seine Mitbewohner, oder? Dafür wohnt man doch zusammen. Man will sich doch
kümmern.
Ich nehme besser
eine Tüte mit ins Zimmer, dann sammle ich den ganzen Mist ein, und verstau ihn
in der großen Mülltonne. Die ganzen Chipstüten, die Blätter mit meinen Aufzeichnungen,
die alten Zigarettenschachteln, die abgerauchten Stummel. Dann kann ich mich dort
wieder ungehindert bewegen. Und meine Klamotten, die hänge ich zurück in den Schrank.
Fein säuberlich nebeneinander aufreihen, danach in allen Ecken und Winkeln saugen,
mit meinem neuen Wasserstaubsauger, der auch die Milben aus den tiefsten Fasern
herausholt. Eine wunderbare Anschaffung, denn dadurch kann ich gut schlafen und
bekomme keine Niesanfälle.
Die Luft wirkt
bleiern und drückt genauso schwer. Aber die Musik draußen spielt noch, da möchte
ich nicht das Fenster öffnen. Außerdem wird es langsam kalt und ungemütlich, da
kuschle ich mich gleich lieber in meine künstlichen Federn, und genieße die tropische
heimische Luft.
Jetzt hab ich
mich schon wieder geschnitten. Vielleicht sollte ich aufhören, die Scherben aufzusammeln,
das kann nur Unglück bringen. Und ich muss weiter üben, sonst bin ich nicht für
den Fall der Fälle eingerichtet. Ich muss.... üben, denn ich werde nicht umhin
kommen, es ihm zu sagen. Er muss es erfahren. Warum sollte er es nicht? Er ist
genauso schuld wie ich, er muss genauso die Konsequenzen tragen. Es kann nicht
sein, dass nur ich diese Wellen in meinem Körper spüre. Diese Anflüge von Angst,
die sich wie unnachgiebige Fruchtfliegen auf mich draufsetzen, und mir die Körperöffnungen
zukleben.
„Du kannst
Dich nicht einfach so davonstehlen. Du glaubst wohl, dass Dich das alles gar nicht
berührt! Aber wenn Du nicht da gewesen wärst, wenn Du nicht neben mir gesessen
hättest, an der Bar, und mich schräg angelächelt hättest, dann wäre das alles
nicht passiert. Dann könnte ich in diesem Augenblick da draußen sein, oder sonst
wo, vielleicht bei Elsa, vielleicht bei Sarah. Und lachen. Hörst Du? Lachen! Es
ist nicht Dein Schmerz. Ich bin diejenige,
die...“
Er muss es
erfahren. Er hat es nicht anders verdient.
„Nepi! Es wächst
in meinem Bauch! Mir tut das weh! Verdammt noch mal, hör endlich auf zu schlafen! Hör
mir gefälligst zu! Du kannst Dich nicht entziehen! Los! Sperr Deine Lauscher auf!“
Ich glaube,
ich werde verrückt.
„Es tut mir
leid, Nepi. Ich wollte Dich nicht wecken. Und Dir nicht wehtun. Bitte, bleib hier.
O.k.?“
Die Tür ist
sowieso zu. Da kann man nichts machen!
Gut. Es ist
klar, es liegt auf der Hand. Er hat kein Interesse. Dieses Arschloch hat sich
in den letzten drei Wochen wohl zwischen Dutzende Beine geschoben, und er freut
sich, dass er zu Hause eine Tür hat, die er verriegeln kann. Aber da täuscht er
sich. Ich hab den Schlüssel, und den werde ich drehen. Und wenn er nicht passt,
hänge ich die Tür aus. Dabei fällt der Embryo aus mir heraus, weil er solch schwere
Arbeiten nicht ertragen kann, und landet auf seinem Fußboden. Soll er dort sterben.
Dort, wo der Übeltäter wohnt. Der, der alles kaputt gemacht hat. Er wird entsetzt
sein. Ja! Und wie!
Dann hau ich
ab, und renne so schnell ich kann. Dann bin ich es los, und vergesse so schnell
ich kann!
Warum sollte
ich es dort liegen sehen müssen?! Ich hab es jetzt ja schon in mir. Den Rest muss
ich mir nicht geben, das hab ich verdammt noch mal nicht nötig.
„Du widerlicher,
kleiner, armer Schleimer mit Deiner beschissenen kleinen Locke rechts in der Stirn!
Die ist überhaupt nicht sexy, die ist ganz abgewichst und lächerlich! Bei Deinem
Anblick kann man nur lachen, Du jämmerliche, kleine Wurst! Mich kriegst Du nicht
klein. Durch Dich werde ich mich nicht schlecht fühlen!“
Bitte, liebe
Sarah, ruf mich doch jetzt an. Bitte frag mich, wie es mir geht, dann sag ich
dir alles. Alles was du willst, alle Wahrheiten und Unwahrheiten. Bitte sag mir,
dass ich dir nicht lästig bin, und dass du gleich vorbeikommst um mir einen Tee
zuzubereiten, mir eine Wärmflasche zu machen, mir eine kleine Geschichte vorzulesen
aus einem deiner tollen Bücher, die du von deiner Großmutter geerbt hast. Dann
wiegst du mich in den Schlaf, und wachst bis morgen früh über mich, damit ich
aufstehen kann wie eine neu Geborene, und alles hinter mir lassen kann. Ich werde
weitermachen wie vorher, und es wird nur ein böser Traum gewesen sein. Meine gestellten
Fragen werden alle beantwortet sein, und meine Antwortversuche bestätigt.
„Lennard. Ich
habe Mist gebaut. Du bist der Einzige, mit dem ich reden kann. Ich brauche Dich.
Vielleicht stehst Du zu mir? Das hast
Du doch früher immer getan. Ich bin alt genug, um ein Baby zu bekommen. Wenn ich
jetzt zwanzig wäre, gut, dann wäre es klarer. Aber es ist doch möglich. Oder?
Ich kann auf Dich zählen, oder?“
„Nein, die
Sache mit Tim, das war nur..... Passion. Eine Nacht, mehr nicht. Das ist etwas
ganz anderes als mit Dir. Tim ist überhaupt ganz anders. Mit ihm war es... weißt
Du, wir hatten Kerzenschein. Alles war voller Kerzen. Alles übervoll beladen mit
dieser schmeichelnden Atmosphäre. Und Du kennst mich ja. Da kann man nichts machen.
Das kann man mir doch nicht zum Vorwurf machen, oder? Lennard. Hast Du mich denn
eigentlich wirklich so geliebt, wie ich bin? Liebst Du mich? Auch wenn ich so
einen verdammten Mist baue? Du weißt, dass das nichts zu sagen hat, nicht wahr?
Ich meine, über meine Gefühle zu Dir. Kannst Du mich in den Arm nehmen?“
Ich sollte
mich hinsetzen und versuchen, Kontakt aufzunehmen, vielleicht fliegt die Seele
des Kleinen noch irgendwo herum, sodass ich sie bitten kann, diesen zukünftigen
Körper zu verschonen, ihn einfach auszulassen, zu vergessen. Ich will keine Seele
töten. Das wird mir nicht verziehen. Das wird sich mir immer aufdrängen, ganz
egal wann ich mich wo aufhalte, die Seele ist raumlos, und lauert mir auf wie
der listige Wolf, der genau weiß, wann ich mich auf eine Bank im Wald setze. Bitte,
lass es einfach los. Ich möchte nicht zum Arzt. Ich will nicht das Ultraschallbild
sehen, will nicht das Herz pulsieren sehen, dieses Etwas zucken sehen, das schleimige
Gerät auf meinem Bauch spüren, oder sogar in mir drin, da, wo dieses Ding zuckt
und pocht, und dazu da ist, zehn Monate zu reifen, bis es der Welt sein lautes
Organ präsentieren kann. Ich will nicht sagen müssen: Nein, ich habe nicht den
geringsten Zweifel, Doktor. Ich bin erwachsen, und ich entscheide vernünftig.
Ich habe NICHT DEN GERINGSTEN ZWEIFEL, HERR DOKTOR!
Es wird mir
gut tun. ES IST DAS BESTE!
„Weißt Du,
Tim, ich hatte mal einen Freund. Lennard hieß er. Aber mit dem ist es vorbei.
Und wenn Du meinst, Dich einlassen zu können.... ich weiß, Du bist auch beziehungsgestört.
Das kann ich hinnehmen. Das sind die Meisten. Ich kann mich damit arrangieren.
Vielleicht liebst Du mich doch schon irgendwo? Oder hast eine Ahnung, dass da
etwas wachsen könnte? Ich bin doch etwas Besonderes für Dich, oder? Das meintest
Du. Und Du meintest es auch ehrlich, nicht wahr?“
Ich hatte gedacht,
dass ich bei dieser Musik wieder anfangen würde, von einem Bein auf das andere
zu hibbeln, zu hüpfen, mich in den Rhythmus einzufühlen, meine Blicke umherzuschweifen.
Ich dachte, dass meine Augen jemanden erspähen, dem ich ebenfalls in genau diesem
Augenblick auffalle. Aber es geht alles an mir vorbei. Dort drüben, da ist meine
Haustür. Sie wird mich verschlingen, mich hineinlassen in die Welt der Überlebenden.
Lennard bringt mich dorthin. Er ist wohltuend.
Er glaubt,
ich hab eine Zyste gehabt. Und nun tut es weh, und er wird sich um mich kümmern.
Eine Zyste ist nichts Schlimmes, hat er gesagt. Aber es tut weh, hab ich geantwortet,
und er lächelte mich an. Du bist sehr schmerzempfindlich, hat er gesagt. Ich mache
dir ein bisschen Obst. Wie lange musst du im Bett bleiben? Dann werde ich dich
morgen noch mal besuchen, hat er gesagt.
Er kommt morgen
wieder. Und Tim...
Ich werde wahrscheinlich
nie wieder eine Affäre haben. Und damit nie wieder einen Feind. Tim weiß nicht,
warum ich weine, und es ist besser so. Es ist alles gut so. Vielleicht wird eines
Tages in seinem Zimmer eine Vase oder ein Glas oder eine Schale oder eine Skulptur
herunterknallen und in tausend Stücke zerbrechen. Dann ist seine Zeit. Und er
wird in dem Maße abgewiesen sein wie er dieses Kind abgewiesen hat. Er wird sich
so krümmen, wie ich es jetzt tue, und er wird sich wünschen, niemals in seinem
Leben diese Frau kennen gelernt zu haben. Er wird sich bei mir melden. Und ich
werde ihn verstehen.
Lieber Gott,
liebes Etwas.
Ich habe die
Scherben aufgesammelt. Ich habe gesaugt. Auch die Küche ist sauber, Natalja wird
sich freuen. Ich habe alle meine Papiere sortiert. Und mein Leben fängt an, Form
anzunehmen. Ich möchte Dich bitten, liebes Etwas, später wiederzukommen. Später,
wenn jemand da ist, der Dich auch will. Wenn vielleicht Lennard da ist. Oder Tim.
Oder...
Du verzeihst
es mir doch, oder? Gott, Du verzeihst. Dann werde ich es auch tun können.
Ich werde einen
Baum pflanzen, der so hoch wächst, wie er nur irgend kann. Der sprießen wird wie
die Fruchtbarkeit persönlich, der Schatten spendet und seine Blätter herunterrieseln
lässt. Unter diesem Baum, an einem großen, weiten Haus, werden Kinder spielen
und zu Dir sagen, lieber Gott: Beschreibe den Himmel, der uns blüht.
Dann kann ich darüber lachen, und mich umarmen. Mich, mein kleines Kind.
Unter dem Himmel, der uns blüht.