Über das Schreiben von Gedichten

1
Flügge

Hin und wieder -
und dann muss man sie
meist auch noch schubsen -
werden Wörter flügge,
gründen eine Familie
und bauen sich ein Nest
in einem Gedicht.

2
Rascheln

Ein leises Klopfen
an verschlossene Türen.
Ein schüchternes Scharren
mit den Füßen.
Ein Hüsteln
im dunklen Raum.
Ein Rascheln
trockener Wörter.

Warten
auf das ausbleibende Echo.

3
Hobelspäne

Am Rande
des Halbschlafs
Hobelspäne
von der Werkbank
eines Traums.

Die meisten bereits
beim Erwachen
zertreten.

4
Nicht für die Ewigkeit

Nicht für die Ewigkeit.
Nicht lange, und es ist
zerfressen und vergilbt.
Doch immerhin
von etwas größerer Dauer
als eine Pflastermalerei,
die jeder unerwartete Regenschauer
auslöscht und vertilgt.

5
Regentropfen

Regentropfen
auf heißem Asphalt.

Kaum gefallen,
schon verdampft.

Zurück bleiben
ein paar hellere Flecken
auf schmutzigem Grund.

6
Klägliche Ausbeute

Nach einem Tag
mühseligen Schürfens
kaum eine Handvoll Goldnuggets
aus dem Kieselbett
des träge treibenden Flusses.

Wie gewöhnlich
lohnt es kaum,
die klägliche Ausbeute
auf die Bank zu tragen.

Aber die Sonne
deiner Anerkennung
bringt sie
wenigstens einmal
zum Leuchten.

7
Krümel

Ein paar Krümel
von der großen Kuchenplatte,
aufgepickt
von einem
aufgeplusterten Spatzen,
frech zwar,
doch von
begrenztem Fassungsvermögen.

8
Zufall und Regel

Verwehte Dünen.
Abdrücke im lockeren Sand.
Schnittmuster auf nassen Händen.
Ein Knirschen zwischen den Zähnen.
Ein Kräuseln des Wassers im Wind.

Zufall und Regel und Wechsel.

9
Warmer Regen

Beim schlaftrunkenen Erwachen
in der ersten Morgendämmerung
schüttet es Einfälle wie aus Eimern.

Ich habe Mühe,
den warmen Regen
aufzufangen.

Das meiste
versickert
im saugfähigen Boden
des Halbschlafs.

10
Morast und Gomorrah

Einsatz schweren Räumgeräts:
Planierraupen, Caterpillars, Bagger
brechen eine schnurgerade Schneise
durch dichtes Unterholz.

Ein Regenguss
verwandelt
das Wunder an Präzision
in Morast und Gomorrah.

11
Am Wortschalter

Ich sitze am Wortschalter,
gebe Wörter aus
und nehme Wörter an
zu wechselnden Kursen.
Ich tausche harte gegen weiche,
weiche gegen harte,
kleine gegen große,
große gegen kleine,
fremde gegen vertraute,
heimische gegen fremde,
prüfe alle
mit meiner bescheidenen Ausstattung
auf ihre Echtheit,
doch rutschen
auch immer wieder
Fälschungen mit durch.
Gebühren erhebe ich nicht.
Bei Schalterschluss
bündele ich alle
und verschließe sie
im Safe meines Computers.

12
Ernte

Aus allen Schubladen
der Poesiekommode
keine sieben Wörter
zusammengekratzt.
Von den Bäumen
der Schreibschulen
keine halbwegs reifen Sätze
geschüttelt.
In die aufgehaltene Schürze
regneten keine
fertigen Strophen.
Ohne dass ich
einen Finger rühre,
serviert mir
die Morgendämmerung
ein vollreifes Gedicht
auf silbernem Tablett.
Ich brauche nur noch
herzhaft hineinzubeißen.

 

(Diethelm Kaminski)