Ernst Stadler (1883 – 1914)

 

                                         Betörung

Nun bist du, Seele, wieder deinem Traum
Und deiner Sehnsucht selig hingegeben.
In holdem Feuer glühend fühlst du kaum,
Daß Schatten alle Bilder sind, die um dich leben.

Denn nächtelang war deine Kammer leer.
Nun grüßen dich, wie über Nacht die Zeichen
Des jungen Frühlings durch die Fenster her,
Die neuen Schauer, die durch deine Seele streichen.

Und weißt doch: niemals wird Erfüllung sein
Den Schwachen, die ihr Blut dem Traum verpfänden,
Und höhnend schlägt das Schicksal Krug und Wein
Den ewig Dürstenden aus hochgehobnen Händen.

 

        * * *

Töricht

Nun hast du dich doch, liebes Innenleben,
schon wieder weggestohlen aus der Zeit.
Hast dir mal wieder freigegeben,
dich abgesetzt in Schattenwirklichkeit.

Da draußen ist was los, doch öffnest du kein Fenster.
Der Frühling ruft nach dir, doch scheint er nichts zu taugen.
Du fühlst wohl was, doch hältst du’s für Gespenster
und – bleibst bei dir zuhaus und schließt die Augen.

Dabei ist klar: Die Rechnung geht nicht auf,
mein Bruder Innerlich: Der Traum hat kein Gewicht.
Du sehnst und hungerst, dürstest nur und kommst nicht drauf,
Daß Projektion erlischt, wenn man  knipst aus das Licht.



(Peter Gronau)