R.M.Rilke:

 Wilder Rosenbusch

Wie steht er da vor den Verdunkelungen
des Regenabends, jung und rein;
in seinen Ranken schenkend ausgeschwungen
und doch versunken in sein Rosen-sein;

die flachen Blüten, da und dort schon offen,
jegliche ungewollt und ungepflegt:
so, von sich selbst unendlich übertroffen
und unbeschreiblich aus sich selbst erregt,

ruft er dem Wandrer, der in abendlicher
Nachdenklichkeit den Weg vorüberkommt:
Oh sieh mich stehn, sieh her, was bin ich sicher

und unbeschützt und habe was mir frommt.

* * *

Stachelbeerglück                           

Wie steht er da auf hochgestelzten Stäben,
der Stachelstrauch, in tagtraum-nächtliches Gebet
versunken. Als wollte er ihm seine Seele geben,
dem Gartengott, der ihn um eine Beere fleht.

Der sanfte Pelz auf kugligen Ovalen,
die Säuernis in Süße mählich keltern,

er mildert meine stillen Qualen,
wenn Stachel sticht wie Tadelblick der Eltern.

Der Stachelstrauch, von Beerenlasten schwer geplagt,
beugt sich vor eigner Fülle Pracht. Ich schau ihn an

und sinne nach und hab mich immer schon gefragt,

was bloß den Stachelstrauch so glücklich machen kann. 

                  


(Peter Gronau)