Konstantin Wecker: "Vaterland"

Hochangereichertes Material


1996 war Konstantin Wecker nach Zeiten größter innerer Wirren "Gamsig"; "Gamsig" war Weckers letzte wirklich "eigene" CD, doch zeigte sie auf, dass K.W. nach seiner "kathartischen Katastrofe" noch nicht wirklich wiederum im Besitz seiner vollen Schaffenskraft war. Danach hat er sich zunächst einmal ziemlich schnell vollkommen regeneriert, neue Kräfte gesammelt, und indem er sich vorrangig weniger um eigene Projekte, denn um andere (seine Frau und seine beiden Kinder), verschiedene Musicals - und natürlich auch um eine völlig neue Brechtinterpretation (höchst interessant und wirklich gelungen!) - bemühte, an seinen eigenen neuen Flügeln gebaut. Mittels ausgedehnter Konzerttouren konnte er seine wiedergewonnen Fähigkeiten zu schweben neu erproben, und gestärkt schwang er sich im Herbst 2001 mit seiner - lang erwarteten, eigenen, neuen CD - "Vaterland" in neue, luftige Höhen auf - eben dorthin, wo sich ein Wecker am wohlsten fühlt.

K.W. präsentiert sich auf dieser CD auch als einer, der unter anderem tief in die Seele von Brecht (und zwar diesen Brecht, den Wecker uns auf seiner preisgekrönten CD "Brecht" näher zu bringen sucht!) einzutauchen vermag, der Texte schreibt, die einerseits ihre Verwandtschaft zu Brecht nicht leugnen können, - und wohl auch nicht wollen, dabei aber in ihrer ur-wecker´schen Eigenständigkeit in keinster Weise plagiatorisch erscheinen, sondern ihrerseits eine ungeheure sprachliche Leuchtkraft haben. Textliche "Höhendifferenzen" stellen für Wecker überhaupt kein Problem dar, sondern - ganz im Gegenteil - bewegt er sich genussvoll und sicher zwischen verschiedenen Ebenen hin und her: So z.B. in der Nummer "Vaterland", wo es natürlich primär um eine Standortbestimmung in Sachen "Heimat" geht, er aber die Thematik gekonnt mit der Vater-Beziehungsproblematik (Loslösung, Erziehung zu eigenständigem, verantwortungsvollem Handeln) verbindet. Und zu welchem Thema hätte ein Wecker auf dieser CD nichts zu sagen?! - Egal ob es sich um Politik, das Älterwerden, wahnwitzige wirtschaftliche Profitmaximierung ,- oder ganz aktuell um Amerika, den Lebenssinn, die Tiefen und Untiefen der Seele oder Liebe dreht - nahezu zu allem findet er die richtigen Worte, - nein, viel mehr noch, - stets die passendste Metafer. Wo früher einmal nicht selten und vor allem bei politischen Themen eher so etwas wie eine gewisse Verbissenheit, ein "heiliger Zorn" erkennbar war, sagt es der gereifte, nunmehr auch ältere Wecker lieber mit feiner Ironie bzw. eher mit "fröhlichem" Zorn , - dergestalt auch des Künstlers komödiantische Begabung hervorkehrend ("... Es geht uns gut, wir haben doch ein Handy und hundertfünf Programme im TV..."- man höre auf Weckers Tonfall in der Stimme!)
Dieser Wecker, der nicht in wenige Abgründe der menschlichen Existenz geblickt hat, kann sich nahezu alles erlauben. Wo er es braucht, schafft er auch schon mal eine neue deutsche Grammatik ("..es geht uns guter .. ..") und wer sich Derartiges zutraut, der macht auch nicht Halt vor veralbernder Umdeutung deutscher
romantischer Topoi (der dicke Hund, der davongeflogen ist und vielleicht der Liebsten einen Gruß bringt!).

Was Weckers Musik betrifft, so korreliert sie selbstverständlich mit seiner textlichen Originalität. Die Zusammenarbeit mit durchwegs jüngeren Musikern macht sich deutlich bemerkbar. So reicht das Spektrum von Melodien, die an das klassische Chanson gemahnen, bis hin zu Reggaerhythmen. Aber keine Sorge: Auch der dem romantischen Kunstlied stets verpflichtete Wecker ist in diesem Werk in seiner wohlbekannten und schönsten Weise vertreten. Dort wo es mitunter textlich "brechtelt", treten auch wieder auf eine sehr reizvolle Art diese düster-sinister klingenden Töne, die man ja schon von seiner Brecht-CD her kennt, zu Tage. Abschließend sei mir noch ein eigener Denkanstoß gestattet: Was wäre wenn eine Nummer wie "alleine", die durchaus im besten Sinn des Wortes mit "Ohrwurmqualität" aufwartet, auch im kommerziellen Radio Beachtung finden würde?! Wäre es wirklich so schlecht, wenn in den Hörer, nachdem er sich vorerst einmal in die "poppige" Melodie flüchten kann, irgendwann einmal beim "Auf- und Abspielen" dieser Nummer - nolens volens - vielleicht auch etwas von diesem tiefsinnigen Text eindringen würde?

Mit "Vaterland" feiert Wecker ein mehr als geglücktes "Comeback". Dem Rezipienten, der sich dieser Aufnahme mit entsprechender Achtsamkeit widmet, erschließt sich hierbei hochangereichertes Wecker´sches Material mit einer schier unbegrenzten Halbwertszeit.

(Rihno Rhinozeros)

 


"Vaterland"
2001. ca. EUR 16,99.
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"Vaterland Live"
2002. ca. EUR 16,99. CD bestellen 

Zu dem Buch "Politisch nicht correct – Konstantin Wecker im Gespräch"

 

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