(...) Als
Paganini nach einer letzten endlosen akrobatischen Arabeske rasender
Töne die Sonate beendet hatte, brach im Salon des prächtigen Palastes zu Lucca ein Beifall los, der die
wachstropfenden Kristallüster an der Decke erzittern ließ.
Der Wundergeiger hatte wie immer sein Publikum in
Begeisterung versetzt.
Als der Sturm sich gelegt hatte, Erfrischungen gereicht wurden und
ringsum ein bewunderndes Schwatzen anhob, sagte mit ihrer Grabesstimme
die Marchesa Zanoni, die in der ersten Reihe saß, triefend von
venezianischen Spitzen rund um ihre goldgelbe Perücke, während sie den
Virtuosen mit einem Lächeln fixierte, das verführerisch sein wollte
zwischen den tausend Falten ihrer Greisinnenhaut:
"Da capo!"
In den engen Frack gezwängt, die Haarsträhnen über den Augen, verbeugte
sich Paganini galant, lächelte der alten Dame zu und murmelte kaum
hörbar:
"Es tut mir leid, Marchesa, Sie nicht zufriedenstellen zu können. Sie
wissen vielleicht nicht, daß ich, um mich der Da capo-Wünsche zu
erwehren, die niemals enden würden, einen Grundsatz habe, von dem ich
nie abgewichen bin und nie abweichen werde: Paganini wiederholt nicht."
Die alte Dame hörte kein Wort. Mit einem bei ihr fast unbegreiflichen
Enthusiasmus, denn sie war stocktaub, fuhr sie fort zu applaudieren und
lauthals zu rufen, so daß sich ihre Halsmuskeln straff wie bei einer Schildkröte
spannten:
"Da capo! Da capo!"
Paganini lächelt gerührt über soviel Enthusiasmus, ließ sich jedoch
nicht bewegen. Er bedeutete der alten Dame durch ein bedauerndes Heben
der Schultern und Hände, daß sie nicht weiter insistieren solle, und
wiederholte mit höflicher Entschiedenheit:
"Paganini wiederholt nicht."
"Wie?" fragte die alte Dame, die natürlich nicht verstanden hatte.
"Paganini", wiederholte der große Geiger lauter, "wiederholt nicht."
Die taube Alte hatte noch immer nichts verstanden. Sie glaubte, der
Musiker habe eingewilligt und richtete sich darauf ein, die Sonate von
neuem zu hören. Als sie jedoch sah.. daß der berühmte Virtuose sich
anschickte, sein Instrument einzupacken, rief sie betrübt:
"Wie? Und das Da capo?"
"Ich habe Ihnen schon gesagt, Signora", erwiderte Paganini,
"Paganini wiederholt nicht."
"Ich habe nicht verstanden", sagte die Alte.
"Paganini wiederholt nicht", schrie Paganini.
"Entschuldigen Sie", sagte die Alte, "bei diesem Lärm kann man nichts
verstehen. Sprechen Sie lauter."
"Paganini wiederholt nicht!"
Die Alte schüttelte den Kopf.
"Ich habe die letzten Worte nicht verstanden", schrie sie, als ob er der
Schwerhörige wäre.
"Wiederholt nicht! Wiederholt nicht! Paganini wiederholt nicht!" brüllte
der Virtuose aus Leibeskräften.
(....)
(aus "Der Spargel
und die Unsterblichkeit der Seele" von Achille Campanile,
aus : "Lüge und Ironie. Vier Lesarten
zwischen Klassik und Comic" von Umberto Eco; dtv 2002)