(...) Genug, Prinzessin Hedwiga lächelte; indem sie aber die Rosenlippen öffnete, um der sanften, unkünstlerischen Julia etwas zu entgegnen, ließen sich ganz in der Nähe Akkorde hören, die so stark und wild angeschlagen wurden, daß das Instrument kaum eine gewöhnliche Gitarre zu sein schien.
Die Prinzessin verstummte, und beide eilten vor das Fischerhaus.
Nun vernahmen sie eine Weise nach der andern, verbunden durch die seltsamsten Übergänge, duch die fremdartigste Akkordenfolge. Dazwischen ließ sich eine sonore männliche Stimme hören, die bald alle Süßigkeit des italienischen Gesanges erschöpfte, bald, plötzlich abbrechend, in ernste düstere Melodien fiel, bald rezitativisch, bald mit starken, kräftig akzentuierten Worten dreinsprach. -
Die Gitarre wurde gestimmt - dann wieder Akkorde - dann wieder abgebrochen und gestimmt - dann heftige, wie im Zorn ausgesprochene Worte - dann Melodien - dann aufs neue gestimmt. -
Neugierig auf den seltsamen Virtuosen, schlichen Hedwiga und Julia näher und näher heran, bis sie einen Mann in schwarzer Kleidung gewahrten, der, dem Rücken ihnen zugewendet, auf einem Felsstück dicht an dem See saß und das wunderliche Spiel trieb mit Singen und Sprechen.
Eben hatte er die Gitarre ganz und gar umgestimmt auf ungewöhnliche Weise und versuchte nun einige Akkorde, dazwischen rufend: "Wieder verfehlt - keine Reinheit - bald ein Komma zu tief, bald ein Komma zu hoch!" -
Dann faßte er das Instrument, das er von dem blauen Band, an dem es ihm um die Schultern hing, losgenestelt, mit beiden Händen, hielt es vor sich hin und begann:
"Sage mir, du kleines eigensinniges Ding, wo ruht eigentlich dein Wohllaut, in welchem Winkel deines Innersten hat sich die reine Skala verkrochen? Oder willst du dich vielleicht auflehnen gegen deinen Meister und behaupten, sein Ohr sei totgehämmert worden in der Schmiede der gleichschwebenden Temperatur und seine Enharmonik nur ein kindliches Vexierspiel? Du verhöhnst mich, glaub ich, uneracht ich den Bart viel besser geschoren trage als Meister Stefano Pacini, detto il Venetiano, der die Gabe des Wohllauts in dein Innerstes legte, die mir ein unerschließbares Geheimnis bleibt. Und, liebes Ding, daß du es nur weißt, willst du den unisonierenden Dualismus von Gis und As oder Cis und Des - oder vielmehr sämtliche Töne durchaus nicht verstatten, so schicke ich dir neun tüchtige deutsche Meister auf den Hals, die sollen dich ausschelten, dich kirre machen mit enharmonischen Worten. - Und du magst dich nicht deinem Stefano Pacini in die Arme werfen, du magst nicht wie ein keifendes Weib das letzte Wort behalten wollen. - Oder bist du vielleicht gar dreist und stolz genug, zu meinen, daß alle schmucken Geister, die in dir wohnen, nur dem gewaltigen Zauber folgen der Magier, die längst von der Erde gegangen und daß in den Händen eines Hasenfußes -"
Bei dem letzten Wort hielt der Mann plötzlich inne, sprang auf und schaute, wie in tiefen Gedanken versunken, in den See hinein. - Die Mädchen, gespannt durch des Mannes seltsames Beginnen, standen wie angewurzelt hinter dem Gebüsch: sie wagten kaum zu atmen.
"Die Gitarre", brach der Mann endlich los, "ist doch das miserabelste, unvollkommenste Instrument von allen Instrumenten, nur wert, von girrenden, liebeskranken Schäfern in die Hand genommen zu werden, die das Embouchoir zur Schalmei verloren haben, da sie sonst es vorziehen würden, erklecklich zu blasen, das Echo zu wecken mit den Kuhreigen der süßesten Sehnsucht und klägliche Melodien entgegenzusenden den Emmelinen in den weiten Bergen, die das liebe Vieh zusammentreiben mit dem lustigen Geknalle empfindsamer Hetzpeitschen! - O Gott! - Schäfer, die 'wie ein Ofen seufzen mit Jammerlied auf ihrer Liebsten Brau`n´ - lehrt ihnen, daß der Dreiklang aus nichts anderm bestehe als aus drei Klängen und niedergestoßen werde durch den Dolchstoß der Septime, und gebt ihnen die Gitarre in die Hände! - Aber ernsten Männern von leidlicher Bildung, von vorzüglicher Erudition, die sich abgegeben mit griechischer Weltweisheit und wohl wissen, wie es am Hofe zu Peking oder Nanking zugeht, aber den Teufel was verstehen von Schäferei und Schafzucht, was soll denen das Ächzen und Klimpern? - Hasenfuß, was beginnst? Denke an den seligen Hippel, welcher versichert, daß, säh` er einen Mann Unterricht erteilen im Klavierschlagen, es ihm zumute werde, als sötte besagter Lehrherr weiche Eier - und nun Gitarre klimpern - Hasenfuß! - Pfui Teufel!" - Damit schleuderte der Mann das Instrument weit von sich ins Gebüsch und entfernte sich raschen Schrittes, ohne die Mädchen zu bemerken. (...)


(aus "Lebensansichten des Kater Murr" von E.T.A. Hoffmann)