Eugen Drewermann: "Vom Leben des Menschen"


Die Vorträge von Eugen Drewermann sind legendär. Mit der vorliegenden Doppel-CD kann sich jeder Interessierte davon überzeugen, wie imposant die Worte des Theologen sich im Inneren auszubreiten verstehen. Keines der Worte, die er spricht, ist nutzlos. Es sind in diesem Falle die zwei großen Themen, denen wir lauschen können: Die Liebe und der Tod. Ein Interview mit dem Theologen, das ich einst protokolliert habe, mag dieses Thema umfassend beleuchten.

Während allerorts entweder Spießbürgerlichkeit, Spaßgesellschaft oder esoterische Zirkel kursieren, bewegt sich der Diskurs des Kirchenkritikers unter den wohlbekannten Strukturen. Er ist sich der Ungereimtheiten bewusst, und vermag es, mit einfühlsamen Worten jene Dinge anzusprechen, die normalerweise nicht einmal ignoriert werden. Wenn er von Angst, Hoffnung oder den Träumen spricht, geht es ihm nie darum, den allwissenden Therapeuten zu markieren und Gott und der Welt zu beweisen, was wir Menschen alles besser machen müssten, sodass unser Leben gelingen möge. Drewermann urteilt nicht; er ist kein Richter, und noch weniger ein Ankläger. Sein Pathos dient dazu, dem Menschen Möglichkeiten in die Hand zu geben, wichtige Lebensthemen aus neuen Perspektiven zu sehen, und eventuell daraus innerlich Wachstum anzuregen.

Entscheidend für Drewermann ist die Ungleichzeitigkeit der Lebensentwürfe, in die sich der Mensch einnistet. Da ist die Computertechnologie, die totale Industrialisierung, eine überwältigende Außensteuerung zur Beschränkung menschlicher Daseinsbezüge. Und dort ist der Mensch in seiner Einsamkeit, seiner Angst, seiner Depression, seiner innerlichen Nöte, die nicht lösbar scheinen. Der Mensch in der sogenannten "entwickelten" Welt ist ein Opfer seiner scheinbaren Sicherheit. Er wähnt sich zufrieden, und ist doch kaum mehr in der Lage, die Bedeutung des eigenen Lebens auch nur ansatzweise andenken zu wollen. Immer schneller, immer besser muss es gehen, und im Lauf mit der Zeit merkt der Mensch nicht, dass seine Zeit begrenzt ist. Was wäre endgültige Freiheit? Doch nicht mehr als das Ende der endlosen Angst, die im Inneren wütet. Der Mensch genügt sich nicht, und produziert sich in Dingen, die ihn selbst nichts angehen. Er schreitet auf dem Planeten dahin, als gäbe es kein Morgen. Und doch ist es die Endlichkeit, in die er eingeschweißt ist.

Ein Mensch, der sich nicht anpasst und mit der Zeit mitläuft, könnte in arge Nöte geraten. Dies wird täglich suggeriert. Der Wahnsinn der Umweltzerstörung, der Kriege, des Hungers, der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich ist zu einer Selbstverständlichkeit verkommen. Die Bedingungen des Wachstums hängen unmittelbar mit der Vernichtung ganzer Kulturen und Menschenmassen zusammen. Drewermann nimmt den Menschen in seiner Begrenztheit wahr; er wagt den Sprung hinaus aus dem Sumpf der abgestumpften Kirchenformeln oder esoterischen Heilrezepte. Er spricht zum Menschen. Und es ist nicht zu überhören, dass der Therapeut den Theologen hinter sich lässt.

Das Leben kann wunderbar sein. Jeder Mensch kann sein Schicksal zu einem kleinen Teil mitbestimmen. Selbst in der schrecklichsten Stunde ist er in der Lage, sich für das Leben zu entscheiden, und einen Sinn zu erkennen, durch den er den Wert seines Lebens in die Welt pflanzt. Was für Drewermann der Glaube und die Geborgenheit in Gott ist, aus dem der Glaube an die eigenen Gaben erwachsen kann, wird schon an einer Maus ersichtlich, die dem Menschen vertraut, obzwar sie nicht wissen kann, ob er ihr Gutes will. Der Mensch darf sich nicht selbst genug sein. Er muss vertrauen können.

(Jürgen Heimlich)


Eugen Drewermann: "Vom Leben des Menschen"
ORF-CD 593
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