John Coltrane: "Coltrane plays the blues"

In der Stille liegt die Kraft


Der zweite Jazzer, wenn man so sagen will, der sich unter vielen anderen mit dem Blues beschäftigt hat, John Coltrane oder „Trane“ („Train“), wie er schon von seinen ersten Fans wegen seines druckvollen Spiels genannt wurde, ist ohne Zweifel einer der größten am Jazz-Himmel. Wer Coltrane jemals bewusst und aufmerksam zugehört hat, wird seinen – vor allem – Tenorsaxofonton nie mehr vergessen und stets wiedererkennen können.

Im Gegensatz zu dem „halbwahnsinnigen“ Charles Mingus war Trane ein komplett anderer, sehr introvertierter Typ, der voll von Fragen, voller Zweifel war – Fragen, Zweifel, die weit über die Musik hinausgingen und die wirklichen und letztlich essentiellen Fragen des Lebens betrafen. Nach seinen ersten musikalischen Engagements als Berufsmusiker wurden – kein Wunder – sehr rasch Jazzgrößen von damals auf ihn aufmerksam. Erster Höhepunkt war zweifellos seine Zusammenarbeit mit dem weltberühmten Trompeter Miles Davis. Diese Zusammenarbeit war, wie man sich vorstellen kann, ungeheuer fruchtbar, wenngleich auch nicht unkompliziert, zumal ein stiller, bescheidener Mensch wie John Coltrane von solchen „Egomanen“, wie es (auch) Miles Davis war, menschlich ziemlich plattgewalzt wurde. Obgleich die erste große Anerkennung, auch der erste kommerzielle Erfolg sich einstellte, war John in seinem Inneren nicht wirklich zufrieden – ein ewig Suchender also. Die Fragen, die ihn vor der erfolgreichen Zeit beschäftigt hatten, bohrten auch weiterhin ihn ihm – wenn nicht, aufgrund eines von ihm als bloß äußerlichen und in letzter Konsequenz relativ unbedeutend angesehen Erfolges und Ruhmes, noch mehr denn je zuvor. The Trane wusste darauf keine Antwort zu geben (einer seiner bekanntesten Aussagen in die Richtung lautete: „Ich höre soviel, weiß aber nicht, wie ich es ausdrücken soll!“) und stürzte ins Bodenlose: Es folgte eine Heroinabhängigkeit und der Rauswurf durch Miles Davis, der sich sehr spektakulär gestaltete. Miles schlug John mit einer kräftigen Ohrfeige ins Gesicht. John, der sich zur damaligen Zeit bereits begonnen hatte, auch mit östlicher Spiritualität zu beschäftigen, ließ es ohne Gegenwehr geschehen und ging dann von dannen.

Nachdem sich John vom Drogenmissbrauch und sonstigen Verwundungen erholt hatte, ging er daran, seine eigene Band ins Leben zu rufen. Mit dieser (in stets wechselnder Besetzung) spielte er einige großartige, bahnbrechende Alben ein, darunter „A love supreme“, in dem er erstmalig ganz bewusst versucht, seine spirituelle Beschäftigung auch in seine Musik einfließen zu lassen. Ebenfalls ungeheuer bedeutsam war die Platte mit dem bezeichnenden Namen „Giant Steps“.

John Coltrane ist in mehrfacher Hinsicht ein nahezu unbeschreibliches Fänomen: Zum einen aufgrund seiner Persönlichkeit. Dieser äußerlich ruhige, innerlich aber brodelnde Mensch und Künstler verwandelte sich, sobald er sein Saxofon in die Hand genommen hatte, vollkommen. All seine metafysische Unruhe, seine Schmerzen, aber auch seinen inneren Fortschritt konnte er in sein Spiel einbringen.
Der andere Punkt: John Coltrane war einer der Ersten, die durch sämtliche Richtungen (des Jazz) gegangen waren und jeder ihren persönlichen Stempel aufgedrückt hatten. Spielte John Coltrane erst einmal Blues, dann war der Blues nach Coltrane nicht mehr derselbe, sondern – fast – etwas neues. Spielte er Bebop, veränderte sich der Bebop mit ihm mit. Und selbst im Freejazz konnte er sich noch einbringen. Alles was er spielte, war nicht mehr Blues, nicht Bebop, nicht Freejazz sondern schlicht und einfach COLTRANE. Die Grenzüberschreitung war seine Sache – vor allem deshalb, weil er sie nicht nur auf die Musik beschränkte. Train´s Spiel prägte – selbstredend – ganze Generationen von Saxofonisten, aber nicht nur, sondern auch Jazz-Rock und sogar Rockmusiker. Coltrane beschäftigte sich nicht nur mit der östlichen Mystik, sondern er ließ sie auch – als logische Konsequenz – in sein Spiel mit einfließen. Seine afrikanischen Wurzeln in der Musik pflegte er irgendwann ebenso wie sein Interesse an indischer Musik – und das alles in einer Zeit, wo so stumpfsinnige Ausdrücke (die ja zumeist von noch stumpfsinnigeren und unfähigen Musikern für sich vereinnahmt werden) wie Weltmusik sich – zum Glück – noch nicht mal „in Abrahams Wurstkessel“ befanden.

Kurz gesagt, haben wir es bei Coltrane mit – grob eingeteilten – zwei Kategorien zu tun: Da ist einerseits dieser unglaubliche Saxofonton, dieser einzigartige und unverkennbare, der die melodiöse Richtung im Schaffen von Coltrane kennzeichnet. Auf der anderen gibt es den ekstatischen, wilden, stets auf der Suche befindlichen Ton, der vor allem in den freejazzigen Arbeiten des schwarzen Künstlers zu Tage tritt. So nebenbei – das ist meine ganz persönliche Meinung – kann ich mit dem kompletten „hardcore“ – Freejazz (noch) nicht wirklich viel anfangen. Dafür aber umso mehr mit Coltranes sonstigem Schaffen. Als pars pro toto – für den Einsteiger sozusagen – möchte ich Coltranes „Bluesarbeiten“ (oder genauer gesagt – eine von Coltranes ganz wichtigen Bluesarbeiten) auf der Platte „Coltrane plays the blues“ vorstellen. Das sind Aufnahmen, die sich wirklich sehr leicht einem halbwegs bereiten Zuhörer erschließen. Einerseits werden hier – wenn auch etwas anders als bei Mingus – die auch den Rockbegeisterten bekannten Bluestonleiter und Wendungen zusammen mit Johns wunderbarem Saxofonton appetitlich serviert.
Schon die Einstiegsnummer ließ mich sprachlos werden. Du schließt die Augen und hast das Gefühl, Coltranes Saxofonlinie ähnle einer sich geschmeidig bewegenden Schlange. Der Ton am besten mit dem englischen , nicht wirklich gut übersetzbaren Wort, „smooth“ zu beschreiben. Hier dieser Saxofonsound und auf der anderen das typisch bluesige Klavier als Partner, aber auch Kontrast.
Außerdem: alle Kompositionen auf diesem Album stammen von John Coltrane – was im Jazz nicht immer üblich ist, zumal sich viele große Musiker als Interpreten mehr oder weniger bekannter Nummern –sogenannte Standards – verdient gemacht haben. Aber auf diesem Album gibt es Coltrane pur.
Vergleicht man jetzt die beiden Alben – jenes von Mingus mit dem von „Trane“, dann ist „Blues & Roots“ zweifellos das eingängigere – insofern als es – wahrscheinlich – dem nicht „jazz-geübten“ Ohr rhythmischer, wilder vorkommt als die Musik von Coltrane. Bei Coltrane muss man sich sicherlich noch mehr bemühen, wird aber, so man nicht oberflächlich zuhört, ungemein belohnt: Mit diesem coltrane´schen Saxofonton, diesem samtig-weichen einschmeichelnden Ton, mit dieser unglaublichen, aber aus dem Bauch kommenden, Genauigkeit, bei der man das Gefühl hat, dass jeder Ton nur exakt so gespielt werden kann, wie er uns eben von John vorgesetzt wird.
"Coltrane plays the blues" ist möglicherweise eine Platte, die sich erst nach einigen Malen wirklich erschließt – dann aber umso mehr und bleibend.
Coltrane gehörte eben zu den ganz Großen im Jazz, und schon alleine deshalb sollte man – wenn man Jazz sagt – the „Trane“ gehört haben, wobei sich dieses Album ganz besonders anbietet, da es zu seinen eingängigsten zählt.

(Rihnrhi; mai 2002)


John Coltrane: "Coltrane plays the blues"
Rhino (Warner Vertrieb), 1993.
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