Parfüm
(in "Neues Altes", Berlin 1911)

Als Kind fand ich in dem Schreibtisch meiner geliebten wunderbar schönen Mama, der aus Mahagoni war und geschliffenem Glase, in einer Lade einen leeren Flacon, der aber noch immer intensiv nach einem bestimmten, mir unbekannten Parfüm duftete.

Oft schlich ich mich hin und roch daran.

Ich verband dieses Parfüm mit aller Liebe, Zärtlichkeit, Freundschaft, Sehnsucht, Traurigkeit, die es überhaupt gibt.

Aber alles bezog sich auf meine Mama. Später überfiel uns das Schicksal wie eine unvorhergesehene Hunnenhorde und bereitete uns allenthalben schwere Niederlagen.

Und eines Tages zog ich denn von Parfümeriehandlung zu Parfümeriehandlung, um in kleinen Probefläschchen vielleicht das Parfüm zu entdecken aus der Mahagonischreibtischlade meiner geliebten verstorbenen Mama. Und endlich, endlich entdeckte ich es: Peau d'Espagne, Pinaud, Paris.

Da gedachte ich der Zeiten, da Mama das einzige weibliche Wesen war, das mir Freude und Schmerz, Sehnsucht und Verzweiflung bereiten konnte, das mir immer, immer wieder aber alles verzieh und das um mich sich sorgte und vielleicht sogar insgeheim abends vor dem Einschlafen für mein künftiges Glück gebetet hatte ...

Viele junge Damen sandten mir in kindlich-süßen Begeisterungen später ihre Lieblingsparfüme, dankten mir herzlichst für ein von mir erfundenes Rezept, jedes Parfüm nämlich unmittelbar nach dem Bade direkt auf die nackte Haut des ganzen Leibes einzureiben, so daß es wie echte eigene Hautausdünstung wirke! Aber alle diese Parfüme waren wie die Gerüche von wunderschönen, aber eher giftigen exotischen Blumen. Nur Essence Peau d'Espagne, Pinaud, Paris, brachte mir melancholischen Frieden, obzwar meine Mama nicht mehr vorhanden war und mir nichts mehr verzeihen konnte von meinen Sünden!


(von Peter Altenberg.)