Simone van der Vlugt: "Schattenschwester"


Dass dieser Roman vor zwei Jahren in den Niederlanden ein sensationeller Erfolg wurde, überrascht, wenn man die ersten hundert Seiten gelesen hat, nicht mehr. Simone van der Vlugt steigt ein mit einem Thema, das die Niederlande in den letzten Jahren beschäftigt hat wie kein zweites.

Marjolein ist Lehrerin an einer Gesamtschule mit einem hohen Anteil an schwierigen Schülern "mit Migrationshintergrund", wie man das in der letzten Zeit undifferenziert, aber politisch korrekt, mancherorts nennt. Trotz allem macht ihr die Arbeit Spaß, und sie weiß die Schüler ganz gut zu nehmen.
Die Stimmung im Kollegium ist dennoch angespannt: durch verschiedene Vorfälle in der letzten Zeit hat der Ruf der Schule im Stadtviertel von Rotterdam ziemlich gelitten, dringend nötige Neuanmeldungen bleiben mehr und mehr aus, und etliche Lehrer müssen um die Verlängerung ihrer Arbeitsverträge bangen.

In diese hochkomplexe Situation platzt eines Vormittags folgender Vorfall:
"Plötzlich hat er ein Messer. Er hat es so blitzschnell gezückt, so unerwartet, dass ich vor Schreck wie gelähmt bin. Ich will etwas sagen, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ich kann nur die scharfe Klinge anstarren. Sie glänzt im Sonnenlicht, das durch die Klassenzimmerfenster fällt.
Ganz vorsichtig mache ich einen Schritt rückwärts, auf die offene Tür zu. Gleichzeitig kommt Bilal einen Schritt auf mich zu, sodass das Messer nach wie vor drohend auf mich gerichtet ist."


Marjolein flieht vor dem Schüler Bilal ins Zimmer des Direktors. Der wiegelt ab, rät Marjolein dringend von einer Anzeige bei der Polizei ab, um dem Ruf der Schule nicht zu schaden. In diesen Phasen des Romans gibt die Autorin einen Einblick in eine "political correctness", wie sie auch in Deutschland skandalöse und erschreckende Zustände an Schulen beschönigt, kleinredet und mit diversen Migrationshinter"gründen" verschleiert.

Es scheint ziemlich klar, dass es Bilal war, der Marjolein kurze Zeit nach diesem Vorfall, der seine Suspendierung von der Schule zur Folge hatte, getötet hat.
Dieser Mord wird sehr bald eingeführt, und Marjoleins Zwillingsschwester Marlieke reflektiert rückblickend das Geschehen und tastet sich schrittweise der völlig überraschenden Auflösung der Tat näher.
Die Autorin wechselt in diesem spannenden und immer wieder überraschenden Roman mehrfach die Perspektiven zwischen den beiden Zwillingsschwestern. Marjolein lässt sie erzählen, von der Messerattacke bis zu dem finalen Schuss. In der Perspektive Marliekes geht es neben der Erhellung der Tat auch um Beziehungsaufklärung, besonders die völlig unklaren Gefühle, die sie Raoul, ihrem Schwager, entgegenbringt.

Ist Marlieke wirklich betroffen vom Tod ihrer Schwester, mit der sie nach deren Tod mehr Gespräche führt als all die Jahre vorher? Und was sind das für Schatten, die sie immer wieder sieht? Oder ist ihre Trauer nur gespielt, weil sie nun endlich ans Ziel ihrer lange Zeit auch vor sich selbst geheim gehaltenen Wünsche gekommen ist?

Und wie so oft bei spannenden Psychothrillern stellt sich am Ende heraus, dass man den Nebenfiguren während der Lektüre sehr viel Beachtung hätte schenken sollen ...

(Winfried Stanzick; 04/2007)


Simone van der Vlugt: "Schattenschwester"
(Originaltitel "Schaduwzuster")
Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart.
Diana Verlag, 2007. 368 Seiten.
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Simone van der Vlugt, geboren 1966, ist als Autorin von historischen Jugendromanen international erfolgreich. "Schattenschwester" ist nach "Klassentreffen" ihr zweiter Spannungsroman.

"Klassentreffen"

Seit neun Jahren hat Sabine nicht mehr an Isabel gedacht. Erst die Einladung zum Klassentreffen beschwört unheilvolle Erinnerungen an die einst beste Freundin wieder herauf, die damals spurlos verschwand. Ausgerechnet das, was an jenem Tag geschah, scheint Sabine vergessen zu haben ...
Als Sabine die Einladung zum Klassentreffen erhält, wird ihr Leben zum Albtraum. Plötzlich stürmen Erinnerungen auf sie ein an eine Zeit vor neun Jahren, die sie längst überwunden zu haben glaubte. Sabine ist vierzehn Jahre alt, als sie zum ersten Mal tief verletzt wird. Ihre beste Freundin Isabel beachtet sie nicht mehr, schlimmer noch, zusammen mit ihren Klassenkameraden quält sie Sabine, die sich immer mehr in die Einsamkeit zurückzieht. Eines Tages verschwindet Isabel - spurlos. Jede Suche endet vergeblich, auch ihre Leiche wird nie gefunden. Aber ist Isabel tatsächlich ermordet worden, wie alle in Den Helder glauben? Was ist damals geschehen? Und warum scheint Sabine die Erinnerung an genau jenen Tag verdrängt zu haben? (Diana Verlag)
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