Thomas Gunzig: "Der kleinste Zoo der Welt"

Erzählungen


Ein Zoobesuch ganz eigener Art

Sind die Erzählungen, die uns Thomas Gunzig in seinem neuen Buch präsentiert, nun in erster Linie komisch, grausam oder stimmen sie eher nachdenklich? Sicher erfüllen sie alle drei Kriterien, und unterhaltsam sind sie allemal. Sieben kurze Geschichten, die allesamt davon handeln, wie Menschen miteinander zu kommunizieren versuchen, wie dann letzten Endes diese Kommunikation aber scheitert aufgrund menschlicher Schwächen oder einfach aufgrund von Missverständnissen. Geschichten also, die durchaus das Leben hätte schreiben können, nur satirisch überspitzt und mit zahlreichen absurden Elementen versehen.

Es beginnt mit "Die Giraffe". In dieser ersten Geschichte wird zunächst einmal die Bürokratie aufs Korn genommen, die Unfähigkeit bürokratisch eingefahrener Systeme, auf ungewohnte oder ungewöhnliche Situationen angemessen zu reagieren. Polnische Schwarzarbeiter lösen schließlich das Problem auf einfache und unbürokratische Art und Weise. Des Weiteren handelt "Die Giraffe", wie mehr oder weniger alle diese Geschichten, von den zwischenmenschlichen Kommunikationsproblemen, die dann zu komischen, grotesken Verwicklungen führen.

Die nächste Erzählung, "Der Goldfisch", ist eine Art Kriminalgroteske, die uns in menschliche Abgründe führt, in gähnend schwarze Abgründe der menschlichen Fantasie, die bis zum psychotischen Realitätsverlust führen können (und den Protagonisten dieser Geschichte auch dorthin führen) wenn man sich da zu weit hineinwagt.

Allen sieben Erzählungen ist auch mehr oder weniger gemeinsam, dass sie das allgemein menschliche Problem der Kontaktsuche, der Suche nach Intimität zum Thema haben. So auch die dritte Erzählung, "Die Kuh", die nebenbei auch das Thema genetische Manipulation und Klonen auf amüsant groteske Weise anpackt.

Als vierte Erzählung kommt nun "Der Bär, der Kuckuck, die Hornisse, der Laubfrosch". Eine grandiose Persiflage auf fernöstliche Action-Filme, China-Mafia, Entführungen und Erpressungen mit teilweise schon abscheulich anmutenden Gewaltdarstellungen. Der Action-Darsteller Bruce Lee spielt die Hauptrolle in dieser brillant geschriebenen Geschichte, die reich gespickt ist mit fantasievollen, farbenfrohen, skurrilen, teils amüsanten, teils abstoßenden Details. Speziell beim Lesen dieser Erzählung fühlte ich mich stark an den amerikanischen Zyniker Ambrose Bierce erinnert. Thomas Gunzig steht ihm in nichts nach. Zynismus von absolut hohem Format. Ein Nagel, der voll ins humorig und doch hintergründig Schwarze trifft, ist übrigens auch der Schlusssatz dieser wunderbaren Geschichte.

Geschichte Numero fünf: "Der Koala". Ein hustender Sohn und ein furzender Koala machen dort einem reisenden Geschäftsmann das Leben schwer. Hier hatte ich allerdings den Eindruck, dass diese Geschichte etwas schuldig geblieben ist. Eine Pointe, einen tieferen Sinn vielleicht ... oder habe ich da etwas nicht verstanden?

Eine Studie über die Schüchternheit begegnet uns im "Schlittenhund", der sechsten und vorletzten Erzählung dieses Bandes. Es ist eine Studie, die einen beklommen macht in ihrer realitätsnahen Darstellung des "Schüchternen". Es handelt sich um eine Dokumentation des Scheiterns, der "Schüchterne" scheitert an seiner Libido, an seinen verzweifelten Versuchen, Beziehungen zu knüpfen, und er scheitert schließlich an seinem gesamten Leben. Und nachdem seine auf seltsame Abwege geratene Fantasie ihn in einer strohfeuerhaften Apotheose noch einmal zum "King" emporgehoben hat, wird dieser selbsternannte "King" doch schon bald von den Realitäten des Lebens mattgesetzt.

In der "Küchenschabe", der letzten der sieben Erzählungen, geht es um die erotischen Fantasien einer Frau, äußerst stimmungsvoll vom Autor beschrieben, allerdings mit weniger Zynismus gewürzt als die übrigen Geschichten.

Das Zitat auf der Rückseite des Buches "Geschichten, in denen man sich krümmt, vor Lachen oder vor Schmerz, je nachdem" wird Thomas Gunzigs Geschichten in keiner Weise gerecht, wie ich meine. Gewiss sind sie zuweilen brutal und grausam, ebenso wie sie humorvoll sind, aber dem Autor ist es gelungen, beide Elemente in einer stimmigen Synthese zusammenzufügen. Ein verstehendes Lächeln, dem sich aber die Bitterkeit des Schmerzes auf die Lippen legt, so etwa würde ich den Eindruck umschreiben, den das Buch auf mich gemacht hat, in welchem Thomas Gunzig - nebenbei bemerkt - noch zahlreiche versteckte Seitenhiebe und Spitzen in alle möglichen Richtungen austeilt. Er schreibt mit einer ausgefeilten Eloquenz, seine Metaphern sind oft von erlesener Klasse. Beispiel: "Henry spürte, wie der Frust in seinem Kopf Wasserhähne voll schlechter Laune aufdrehte." Ein Lob gebührt sicherlich auch der Übersetzerin Ina Kronenberger. "Der kleinste Zoo der Welt" stellt zweifellos eine bereichernde Lektüre für alle diejenigen dar, die eine satirische Ader haben.

(Werner Fletcher; 07/2006)


Thomas Gunzig: "Der kleinste Zoo der Welt"
(Originaltitel "Le plus petit zoo du monde")
Übersetzt von Ina Kronenberger.
dtv, 2006. 140 Seiten.
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Thomas Gunzig, geboren am 7. September 1970 in Brüssel, studierte Politikwissenschaften und arbeitet heute in einer Brüsseler Buchhandlung. Er hat bereits zahlreiche Erzählungen veröffentlicht. "Tod eines Zweisprachigen" war sein erster Roman, der in Belgien mit dem bedeutendsten Literaturpreis, dem "Prix Rossel", ausgezeichnet wurde:

"Tod eines Zweisprachigen"
Irgendwo in Europa herrscht Krieg, seit langem schon, und er findet vor allem im Fernsehen statt. Es ist das Jahr 1978, als ein arbeitsloser Söldner, der für seinen leeren Magen und seinen alten Kumpel Moktar schon einmal gemordet hat, etwas erlebt, bei dem er fast draufgeht. Gelähmt und stumm liegt er im Krankenhaus. Wie er dahin gekommen ist, weiß er nicht mehr ...
Bei seiner Entlassung muss er eine große Enttäuschung verkraften. Ausgerechnet Caroline, die er hätte umbringen sollen, es aber aus Liebe zu ihr nicht getan hat, lastet ihm ein grässliches Verbrechen an. (dtv)
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