(...)
Bei schönem
Wetter waren wir von zu Hause losgegangen. Ein laues Lüftchen wehte, der
Himmel war abendlich gerötet und so weiter, kein Mensch hätte da mit
Unvorhergesehenem gerechnet, Es blieb auch noch schön, während wir uns
in dem brechend vollen Bus inmitten all der aneinander klebenden, schweißdünstenden
Passagiere mühselig genug unserem Ziel näherten. Dann aber sahen wir,
wie der Himmel sich rasch verfinsterte und dicke schwarze Wolken über den
Dächern der Hochhäuser aufzuziehen begannen. Alle freuten sich: "Ein
Glück, es wird kühler. Gleich gibt es einen Guß. Wird auch höchste
Zeit, sonst vertrocknet der Weizen auf dem Halm."
Noch als wir ausstiegen,
waren wir optimistisch, obwohl bereits Sturmböen über die Straßen
fegten und die Passanten sich eilig in Sicherheit zu bringen suchten. Wir dachten
immer noch, es handele sich nur um ein Gewitter, und Fettmops Wu rief sogar zum
Himmel hinauf: "Na los, mach schon!"
In diesem Moment ging der erstre
Hagelschauer nieder. Schnell wollten wir wieder einsteigen, doch der Bus war natürlich
schon weitergefahren.
Wir liefen in Richtung der Geschäfte, die sich
in einiger Entfernung befanden, mußten aber feststellen, daß sie alle
schon rammelvoll waren, so daß auch ohne ein Verbotsschild wie seinerzeit
am Uferstraßen-Park in Shanghai keine Chinesen mehr Zutritt hatten, ganz
zu schweigen
von
Hunden. Es hagelte inzwischen immer heftiger, die Eisbröckchen
prasselten nur so auf uns und das Pflaster und spritzten nach allen Seiten auseinander.
Schließlich blieben wir einfach stehen, wo wir waren, und schrien dem Sturm
entgegen, er möge uns ruhig zermalmen.
Eine gutherzige alte Frau konnte
das nicht mit ansehen und kam trotz des Hagels zu uns gelaufen. "So stellt
euch doch unter!"
"Kommt nicht in Frage!" Wir waren jetzt so
in Rage, daß wir dem Sturm erst recht die Stirn boten: "Komm schon!
Wollen doch mal sehen, wer stärker ist!"
Als wir endlich in
der zum Salon umfunktionierten Küche anlangten, boten wir einen ziemlich
erbärmlichen Anblick, so daß selbst Ma Qing uns nicht erkannte: "Wer
sind Sie, bitte?" rief er mir entgegen.
"Nicht mal du erkennst uns?" Es war Liu Huiyuan, robuster als wir
anderen, der sich diese Worte abrang, während er sich erschöpft fallen
ließ. Dabei landete er halb auf dem Schoß eines daneben sitzenden
Unbekannten. Drei andere, ins Gespräch vertieft, wurden von uns aus ihren
Stühlen vertrieben.
Mir war das peinlich. "Bitte, bleiben Sie doch, wir können ja zusammenrücken.
Da ist Platz für alle", sagte ich zu dem von mir Verdrängten.
"Was denn? Ihr?" Jetzt erkannte uns Ma Qing, und auch Yang Zhong Kämpfte
sich mit Yu Guan durch die Menge zu uns durch, betastete mir Schultern und Kinn
und fragte:
"Wer hat dich vermöbelt?"
Ich deutete, immer noch wie benommen, mit dem Kopf auf die Straße.
Die drei stürzten sofort hinaus, erschienen jedoch sogleich wutschnaubend
wieder auf der Bildfläche. "Da ist ja niemand!"
"Alles Partisanen!
Diese Kerle schlagen zu, und weg sind sie", sagte ein Mädchen voller
Zorn.
"Müssen rauskriegen, was für Truppenteile in diesem Kiez zugange
sind", meinte Yu Guan zu Yang Zhong. "Wenn die schon unsere Kumpel
fertigmachen, wie werden sie dann erst mit den Normalos umspringen!"
"Weit kommen die nicht! Das waren bestimmt 'Doppel-Ei' und seine Bande!"
rief wieder jenes Mädchen. Sie beugte sich zu mir herunter und fragte:
"Wie geht´s dir jetzt? Kleiner
Cocktail gefällig?"
"Genau was ich jetzt brauche."
"Das ist Meiping", klärte Ma Qing mich auf.
"Was für `ne Meiping? Von `ner Meiling hab ich gehört, aber die
hieß Song mit Nachnamen und war die soundsovielte Frau von Tschiang Kai-schek."
Ich nahm das Glas mit einer giftgrünen Flüssigkeit entgegen und trank
einen Schluck, prustete ihn jedoch sogleich wieder aus. "Schmeckt ja wie
Plakatfarbe!"
Schnell hielt Ma Qing mir den Mund zu: "Pscht!" Dann, zu Meiping gewandt:
"Hol ihm ein Glas ohne
Farbe, ja? -
(...)
(
aus "Oberchaoten" von Wang Shuo;
Diogenes Verlag )