Leseprobe aus "Der
zweitbeste Koch"
von Kurt Bracharz
Ich
saß zwischen Knihomol und
Zupan, also zwischen einem Alkoholiker und einem Narkoleptiker, die
aber beide
ihre Probleme im Griff hatten, Knihomol als sozial
unauffälliger
Spiegeltrinker, Zupan, indem er nur noch mitfuhr, aber nicht mehr
selbst Autos
lenkte, seit er in Niederösterreich in einen Heuballen
gefahren war - das hätte
ja auch ganz anders ausgehen können. Franz Knihomol war unser
Altweinexperte,
Ante Zupan ein Kenner der Küchen Osteuropas, beide Profis auf
ihren Gebieten
und zusammen mit mir, Xaver Ypp, die
Drei
Musketiere, die altgedienten
oder auch
nur alten Redakteure des Magazins. Eine weitere Gemeinsamkeit: Keiner
von uns
hatte einst als Volontär begonnen, alle drei waren wir
ursprünglich
Quereinsteiger gewesen. Knihomol hatte Kunstgeschichte
studiert und
einige Jahre
lang erst eine Galerie und dann eine Kunsthalle geleitet, Zupan war
eigentlich
Germanist, aber schon bald im Kulturjournalismus gelandet, und ich
hätte an
einem Gymnasium Biologie
und Chemie unterrichten können, hatte
aber nach einem
Probejahr gerne auf eine Karriere im Schuldienst verzichtet. Jetzt
waren wir
drei schon mehr als fünfzehn Jahre beim "Lukull" und genossen
eine
gewisse Narrenfreiheit - die ganz einfältigen Artikel, die als
redaktionelle
Beiträge getarnte Public Relation waren,
mussten die Jüngeren übernehmen,
denen das allerdings nichts auszumachen schien. Sie hielten Kritik
für
altmodisch, auch wenn sie das nie aussprachen. In ihrer
unschönen neuen Welt
exponierte man sich nicht durch eine abweichende Meinung, sondern
verzierte
lieber die Metapher vom Feinkostladen Österreich mit
zusätzlichen Schnörkeln.
Die drei Musketiere hielten es anders: Knihomol schrieb
ausschließlich über
Wein und Zupans immer höchst seriöse
Berichte aus
Südost- und Osteuropa
schienen keine privaten Vorlieben auszudrücken, bloß
ich sah keinen Grund, die
Rolle des kritischen Feinschmeckers aufzugeben, nur weil immer mehr
Köche nicht
einmal wussten, dass sie nichts wussten, was ihnen bei ihrem meist noch
ignoranteren Publikum freilich nicht schadete. Ich löckte also
hin und wieder
gegen den Stachel, und Dr. Ska, den wir drei insgeheim
verdächtigten, in
privatem Kreise Fisch direkt aus der Dose zu essen, fragte mich auf der
letzten
Weihnachtsfeier, ob ich meine Kommentare nicht in einer Kolumne
konzentrieren
wolle, für die ich mich Tyrannosaurus Rex nennen
könnte. Tyranno für den
Kritiker, Saurus für die überholten Anschauungen und
Rex eher für Rexglas als
für König. Ich erwiderte, ebenfalls nur halb im
Scherz, ich fühlte mich eher
wie das Megatherium in der Zeit kurz vor seinem Aussterben.
Dr. Ska
erwiderte
allen Ernstes, das Publikum wüsste so wenig wie er selbst, was
ein Megatherium
sei, während der Tyrannosaurus Rex dank Spielberg weltweite
Popularität genieße.
Das Megatherium war ein elefantengroßes Riesenfaultier und
eines der ersten
Tiere, die vom Menschen ausgerottet worden sind, sagte ich und
fügte in
Gedanken hinzu: und zwar von Menschen wie dir, Skatolo.
Zupan hatte die Augen geschlossen und Knihomol war damit
beschäftigt, die
Konturen einer Kritzelzeichnung mit Kugelschreiber
auszufüllen, als Dr. Ska um
einen Moment Geduld bat (als bliebe uns etwas anderes übrig),
zur Tür ging,
sie öffnete und jemanden hereinwinkte - die nächste
Überraschung nach den
Allerweltsweinen, und eine größere: Der schlaksige
Junge mit neongrüner Flash
Cap, der ungelenk hereinlatschte, vor dem Tisch mit den
Flaschen stehenblieb
und uns grußlos anstarrte, war sicher kein Gastrojournalist
und gehörte auch
nicht zu unserer Klientel. Er war mit einem T-Shirt
mit Ed-Hardy-Motiv,
neu aussehenden Röhrenjeans und Converse-Sneakers
bekleidet. Wenigstens
trug er kein Schlüsselband.
"Das ist Quentin", sagte Dr. Ska in einem Tonfall, als stelle er uns
einen Nobelpreisträger vor. "Er wird uns etwas Erstaunliches
zeigen."
"Der Wichser wird der neue Chefredakteur", knurrte Knihomol.
Der Junge führte kommentarlos ein Weinglas nach dem anderen
zum Mund, nahm
einen Schluck, behielt ihn kurze Zeit im Mund, ohne das
übliche Zungenspül-
und Schmatzritual abzuspulen und ohne eine Miene zu verziehen. Dann
spuckte er
den Wein in den Kübel. Als er die zehn Flaschen durch hatte,
ging er
kommentarlos hinaus und schloss die Türe hinter sich. (...)
Kurt
Bracharz: "Der zweitbeste Koch"
haymonverlag, 2010.
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Hunger
ist bekanntlich der beste
Koch. Der zweitbeste ist ein junger Chinese namens Li Wang. Das glaubt
zumindest
der Wiener Gourmetkritiker Xaver Ypp vom Hochglanzmagazin "Lukull",
weshalb er auch sehr verärgert ist, als es plötzlich
heißt, Li Wang sei nach
China zurückgekehrt. Und Ypp hat noch mehr Probleme:
Sein Chef
hält ihn schon
lange für zu konservativ und drückt ihm zu allem
Überfluss noch die
Ausbildung eines pubertierenden Geschmacksgenies aufs Auge. Schlechte
Karten für
Ypp, der bald auch noch Opfer eines Überfalls wird: Als er die
Probe eines
ungewöhnlichen Stückchens Fleisch aus Li Wangs
ehemaligem Restaurant
untersuchen lassen will, beginnt die Angelegenheit vom Kuriosen ins
Kriminelle
abzugleiten und nimmt dabei immer rasanter Schussfahrt auf ...
Noch ein Buchtipp:
Kurt Bracharz: "Mein Appetit-Lexikon. Eine
Warenkunde für Genießer"
Haben Sie schon einmal Köstlichkeiten wie Yakgulasch,
Maschinrostbraten
oder Ostertaube probiert und sich dazu ein Schlückchen "alten
Landroten"
gegönnt? Der begnadete Gastrosoph und Gastrokritiker Kurt
Bracharz hat in
seinem ganz persönlichen Appetit-Lexikon ein ABC von
Wissenswertem, Nützlichem
und Skurrilem rund um alle möglichen und unmöglichen
Themen des Kochens,
Essens und Genießens zusammengetragen.
Aufklärerisch im besten Sinne ist diese kleine, alphabetisch
geordnete
Warenkunde und von unschätzbarem Nähr- und Mehrwert
für jeden kulinarisch
Interessierten. Nach seinem Lektüretagebuch "Für
reife Leser"
sprengt der Essayist, Kinderbuch- und Krimi-Autor erneut alle
Gattungsgrenzen,
plaudert munter, aber gehaltvoll drauf los und klärt im
Vorbeigehen solch
folgenschwere Missverständnisse auf wie jene, dass Sushi
"roher Fisch" oder Carpaccio "dünn geschnitten" bedeute.
Und worum es sich beim ominösen Bregenzerwälder Sig
handelt, muss nun ebenso
nicht länger ein Geheimnis bleiben. (haymonverlag)
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