Eduard
von Keyserling: "Schwüle
Tage"
Gelesen von Burghart Klaußner
(Hörbuchrezension)
Ausgezeichnete
Stimmungsbilder und Menschenporträts
Schwüle Tage stehen dem jungen Grafen Bill bevor, der seine
Abiturprüfung nicht bestanden und nun für den
Zeitraum eines ganzen
Sommers allein
mit
seinem Vater auf einem kurländischen Gut zu
verweilen hat.
Die ungewohnte Nähe des Vaters, unterschiedliche Frauenbilder
auf
benachbarten Gütern bzw. vom Hauspersonal und die zahllosen
Fragen
eines jungen Menschen stehen im Mittelpunkt dieser Anfang des 20.
Jahrhunderts veröffentlichten Erzählung von Eduard
von Keyserling.
Zunächst behutsam beginnend breitet von Keyserling mehr und
mehr die Innen- und Außensichten einer adligen Gesellschaft
aus.
In sehr bildhafter, pointelistischer Sprache vermittelt der Autor einen
Eindruck des Sommers im Kurland mit all seinen Farben, Formen und
unterschiedlichen Gewächsen und Tieren.
Man wird geradezu verzaubert und fühlt sich schnell
hineingezogen in
das Licht- und Schattenmeer des Sommers mit lauen Winden,
kühlendem
Regen sowie den Klangfarben der menschlichen Stimmen und tierischen
Laute.
Der junge Graf Bill beschreibt als Ich-Erzähler seine
vielfältigen
Eindrücke und vermittelt aus dieser Perspektive die Distanz
zum alten
Grafen.
Das Verhältnis zu den auf dem Gut agierenden Frauen wird sehr
facettenreich beschrieben, so dass Bills Gefühls- und
Gedankenwelt mehr
als anschaulich wird.
Die Erzählung lebt von den wunderbaren Wortkompositionen,
welche der Sprecher
Burghart Klaußner beeindruckend umsetzt.
Wie Klaußner die Pausen setzt, Klangfarben abstimmt und von
einem
Moment auf den nächsten den kurländischen Dialekt
spricht, überzeugt
ungemein. Auch wenn es stellenweise etwas gleichförmig wirkt,
gelingt
es dem Erzählenden immer wieder, die Spannung neu aufzubauen.
So wird
diese "traurig-schöne Sommergeschichte über Vater und
Sohn" zu einem
wahren Erlebnis von Nähe und Distanz sowie Geheimnis und
Wahrheit.
Wie das Licht des Mondes immer wieder für kurze Zeit durch die
fliehenden Wolkenfelder auf Personen oder die Natur fällt,
werden auch
die Mosaike dieser Erzählung nur ansatzweise aufgehellt und
zusammengefügt.
Die Lesenden bzw. Zuhörenden können sich nach und
nach ihr Bild
zusammenfügen und werden am Ende der beiden CDs entdecken:
Burghart
Klaußner hat ihnen ein Klangbild gemalt, das die Stimmung der
Menschen
auf außergewöhnliche Art aufgreift und das
wunderschöne Kurland
darstellt.
Wer ein exzellent besprochenes Hörbuch eines brillanten
Erzählers
genießen möchte und auch die Reise in eine weit
zurückliegende Zeit
nicht scheut, der liegt mit diesem "Schwülen Sommer" richtig.
(Detlef Rüsch; 08/2005)
Eduard
von Keyserling: "Schwüle Tage"
Gelesen von Burghart Klaußner.
Hoffmann und Campe, 2005. 2 CDs, Laufzeit 150 Minuten; mit Begleitheft.
ISBN 3-455-30413-3.
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Eduard Graf von Keyserling
wurde
am 18. Mai 1855 auf Schloss Paddern/Kurland geboren und wuchs in der
patriarchalischen Adelsgesellschaft der kurländischen
elterlichen Güter auf.
Ein 1874 begonnenes Studium (Jura, Philosophie und Kunstgeschichte) in
Dorpat
musste er 1877 "wegen einer Inkorrektheit" abbrechen und war damit in
seiner Gesellschaft geächtet. Schon vor dem Abbruch seines
Studiums begann er, Essays, Rezensionen, Erzählungen, Dramen
und Novellen zu
verfassen. Bis 1895 verwaltete er die mütterlichen
Güter, ging nach
deren Verkauf nach München, wo er zeitweise dem Kreis der
Schwabinger Boheme angehörte. 1908 durch ein
Rückenmarksleiden (Syphilis-Infektion) erblindet, starb er
1918 vereinsamt in
München.
Drei weitere Bücher von Eduard von Keyserling:
"Wellen"
Die Generalin von Palikow versammelt ihre Großfamilie zur
Sommerfrische an der
Ostsee. Irritierend und faszinierend zugleich gerät ein
seltsames Paar in den
Mittelpunkt: die wunderschöne Gräfin Doralice, die
ihren alten Gemahl
verlassen hat, und ihr neuer Lebenspartner, der Maler Hans Grill. In
der Enge
der Idylle zwischen Meer und Dünen entsteht bald ein
schicksalhaftes
Beziehungsgeflecht, voller Erotik und Dramatik.
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"Fürstinnen"
Drei Töchter hat die verwitwete Fürstin von
Neustatt-Birkenstein auf ihrem
baltischen Landsitz standesgemäß zu erziehen und an
den Mann zu bringen. Die
beiden älteren Schwestern tragen ihr Schicksal mit der
angemessenen
Resignation. Die jüngste dagegen versucht aus ihrem
Käfig auszubrechen.
Noch einmal nimmt Keyserling hier die Hauptthemen seiner
früheren Romane auf:
den Niedergang des baltischen Adels und den Ausbruch aus erstarrten
Konventionen. Gleich einem impressionistischen Maler schildert er eine
versunkene Zeit, in der die jüngste Tochter versucht, den
Schritt in eine
schwierige Zukunft zu wagen.
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"Dumala" zur Rezension ...
Leseprobe:
(...) Ich betrachtete meinen Vater. Schön
war er, das wurde mir jetzt erst deutlich bewußt. Die
Züge waren regelmäßig,
scharf und klar. Der Mund unter dem Schnurrbart hatte schmale, sehr
rote Lippen.
Auf der Stirn, zwischen den Augenbrauen, standen drei kleine, aufrechte
Falten,
wie mit dem Federmesser hineingeritzt. Das blanke Haar lockte sich, nur
an den
Schläfen war es ein wenig grau. Und dann die Hand, schmal und
weiß, wie eine
Frauenhand. Am Handgelenk klirrte leise ein goldenes Armband.
Schön war das
alles, aber Gott! wie ungemütlich! Ich mochte gar nicht
hinsehn. Ich schloß
die Augen. War denn für diesen Sommer nirgends Aussicht auf
eine kleine Freude?
Doch! Die Warnower waren da, nur eine halbe Stunde von Fernow. Dort
wird ein
wenig Ferienluft wehn; dort war alles so hübsch und weich. Die
Tante auf ihrer
Couchette mit ihrem Samtmorgenrock und ihrer Migräne. Dann die
Mädchen. Ellita
war älter als ich und zu hochmütig, als daß
unsereiner sich in sie verlieben
konnte. Aber zuweilen, wenn sie mich ansah mit den
mandelförmigen Samtaugen, da
konnte mir heiß werden. Ich hatte dann das Gefühl,
als müßte sich etwas Großes
ereignen. Gerda war in meinem Alter und in sie war ich verliebt, - von
jeher.
Wenn ich an ihre blanken Zöpfe dachte, an das schmale Gesicht,
das so zart war,
daß die blauen Augen fast gewaltsam dunkel darin
saßen, wenn ich diese Vision
von blau, rosa und gold vor mir sah, dann regte es sich in der
Herzgrube fast
wie ein Schmerz und doch wohlig. Ich mußte tief aufseufzen.
"Hat man etwas schlecht gemacht, so nimmt
man sich zusammen und trägt die Konsequenzen", hörte
ich meinen Vater
sagen. Erschrocken öffnete ich die Augen. Mein Vater sah mich
gelangweilt an, gähnte
diskret und meinte: "Es ist wirklich nicht angenehm, ein
Gegenüber zu
haben, das immer seufzt und das Lamm, das zur Schlachtbank
geführt wird,
spielt. Also - etwas tenue - wenn ich bitten darf."
Ich war entrüstet. In Gedanken hielt ich lange,
unehrerbietige Reden: "Es ist gewiß auch nicht angenehm, ein
Gegenüber zu
haben, das einen immer von oben herunter anschaut, das, wenn es etwas
sagt, nur
von widrigen Dingen spricht. Ich habe übrigens jetzt gar nicht
an das dumme
Examen gedacht. An Gerda habe ich gedacht und ich wünsche
darin nicht gestört
zu werden."
Jetzt hielt der Zug. Station Fernow! - "Endlich",
sagte mein Vater, als sei ich an der langweiligen Fahrt schuld.
Es hatte aufgehört zu regnen. Die
Linden um das kleine Stationsgebäude herum waren
blank und tropften. Über den nassen Bahnsteig zog langsam eine
Schar Enten. Mägde standen am Zaun und starrten den Zug an. Es
roch nach Lindenblüten, nach feuchtem Laub. Das alles erschien
mir traurig genug. Da stand auch schon die Jagddroschke mit den
Füchsen. Klaus nickte mir unter der großen
Tressenmütze mit seinem verwitterten Christusgesichte zu. Der
alte Konrad band die Koffer auf. "Lustig, Grafchen", sagte er, "schad
nichts." Merkwürdig, wir tun uns selber dann am meisten leid,
wenn die andern uns trösten. Ich hätte über
mich weinen können, als Konrad das sagte. "Fertig", rief mein
Vater. Wir fuhren ab. Die Sonne war untergegangen, der Himmel klar,
bleich und glashell. Über die gemähten Wiesen spannen
die Nebel
hin. In den Kornfeldern schnarrten die Wachteln. Ein großer,
rötlicher Mond stieg über dem Walde auf. Das tat gut.
Beruhigt und weit lag das Land in der Sommerdämmerung da, und
doch schien es mir, als versteckten sich in diese Schatten
und diese Stille Träume und Möglichkeiten, die das
Blut heiß machten. (...)