(...) Kaum saß ich auf dem Klo, da hat meine Blase schon nachgegeben. Dieses
Gefühl kannte ich schon, als ich noch ganz klein war: Wenn ich Angst habe, muss
ich pinkeln. Andere Menschen schwitzen, zittern oder fallen in Ohnmacht, ich
muss heftig urinieren. Vielleicht, um mich von bösen Träumen zu reinigen, um
meinem Körper Erleichterung zu verschaffen, der in solchen Situationen unweigerlich
von Krämpfen geschüttelt wird. Schon spürte ich in meinen Hacken und die Beine
hinauf ein erstes Ziehen, Anzeichen einer beginnenden Muskelversteifung. Ich
streckte vorsichtig die Glieder, atmete tief durch und versuchte mich zu beruhigen.
Mein Herz hämmerte wie verrückt.
Ein Albtraum, ein Albtraum, ich war mitten im schlimmsten aller
Albträume. Was hatte der Oberst hier zu suchen? War er zufällig gekommen, oder
hatte er meine Spur gefunden? Ich hatte keinen blassen Schimmer, aber das
Szenario gab mir ohnehin schon eine harte Nuss zu knacken: Dort draußen wartete
der Oberst Narcisse auf mich - wenn ich floh und Heloise allein lassen würde,
weckte das seinen Verdacht. Wenn ich zurückging und mich seinem Blick aussetzte,
nahm ich das Risiko auf mich, erkannt zu werden, und forderte das Unglück
geradezu heraus. Gleichzeitig könnte ich aber herausfinden, ob der Mann an seine
Aggressorin von vor drei Tagen dachte, wenn sein Blick auf mich fiel. Drei Tage,
mein Gott, drei Tage ist es her, dass ich den meistgefürchteten, den
meistgehassten Mann von ganz TiBrava beinahe getötet hätte, und nun ist er zur
gleichen Fete eingeladen wie ich, und wer weiß, zu allem Überfluss sitzt er
vielleicht noch am selben Tisch! Herrgott, ich bin tot! Was tun? Eine Ausrede
finden und die Abendgesellschaft verlassen. Auf der Stelle nach Kamalodo
zurückkehren. Wenn unser Vater da gewesen wäre, hätte ich ihm alles erzählt. Er
war der Einzige, der mich vor Oberst Narcisses unvermeidlicher Rache beschützen
konnte.
Wie lange habe ich auf der Toilette gesessen? Jemand schlug an
die Tür. Rasche, nicht nachlassende Klopfer rissen mich aus meinen panischen
Überlegungen. Eine Frauenstimme fragte, ob die Toilettenbenutzerin in der
Kloschüssel ertrunken sei. Mein Gott, bloß von hier verschwinden, aber wohin?
Die Stimme vor der Tür wurde ungeduldig. Ich trat heraus und stand vor Madame
Harry O. höchstpersönlich, die sich auf ihrer Toilette erleichtern wollte und
verlegen schien, dass sie mich ausgeschimpft hatte.
"O, Sie sind es,
Mademoiselle, entschuldigen Sie. Was ist los? Sie sehen angegriffen
aus."
"Ich fühle mich
krank,
Madame O., ich glaube, ich gehe nach Hause."
"Aber nein, das kommt überhaupt nicht in Frage. Ihr Vater ist ein Freund, er
wäre sicherlich nicht einverstanden. Haben Sie
Kopfschmerzen?
Gustav, Gustav", rief sie.
Der junge Mann mit der sehr hellen Haut erschien so
schnell, als hätte er die ganze Zeit über auf der Lauer gelegen.
"Bringen Sie
Mademoiselle an ihren Tisch zurück, und besorgen Sie ihr Aspirin!"
"Danke,
Madame O., aber ich muss wirklich nach Hause."
"Ach, was sind Sie doch für
eine Geheimniskrämerin, liebe Freundin! Dabei hatte ich gedacht, ich hätte Sie
gerade gründlich kennen gelernt. Lass sein, Gustav, ich begleite sie
selbst!"
"… ich …" (...) (...)
(Aus "Cola Cola Jazz" von Kangni
Alem.
Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke.)
Heloise ist die Tochter einer exzentrischen
Französin und eines Afrikaners. Heloises Mutter weigert sich, die Fragen des
Mädchens nach dem Vater zu beantworten, bis eines Tages eine Einladung aus Afrika
kommt und Heloise sich auf den Weg macht, um den Vater zu treffen. Doch der
Vater glänzt durch Abwesenheit; statt seiner begegnet Heloise ihren zahlreichen
Verwandten und lernt vor allem ihre Stiefschwester Parisette kennen und lieben.
Parisette, die sich illegal eine Rente für Kriegerwitwen verschaffen will, wird
bei der Auszahlung von einem hohen Militär
vergewaltigt und schlägt ihn zusammen.
Aus Rache setzt
dieser das väterliche Anwesen in Brand, unmittelbar, bevor die beiden Halbschwestern
dort endlich ihren Vater treffen sollen. Die Villa fliegt mit dem Brandstifter
in die Luft - der Vater, ein Oppositioneller, hatte dort ein großes Waffenarsenal
gelagert. Er erscheint gerade noch rechtzeitig um die Schwestern zu retten und
nun endlich erzählt er Heloise seine Geschichte. Ein Buch über Gewalt, Sexualität
und die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Liebe.
Buch
bestellen