Semier Insayif, Martin Hornstein: "libellen tänze"
Gedichte treffen auf sechs Cello Suiten: Klangsinnlichkeit zum Abheben
Semier Insayifs fingerfertige
Poesiepartituren |
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Insofern fügt das Projekt "libellen
tänze" zusammen, was eines Ursprungs ist: Worte und Klänge. Eine für beide
Formen des künstlerischen Ausdrucks vorbildliche Kooperation, wobei - nur damit
kein falscher Eindruck entsteht - Semier Insayif seine Texte keineswegs zu den
Cello Suiten singt, sondern jedem der beiden Künstler Raum zur individuellen
gepflegten Entfaltung zur Verfügung steht.
Die Audio-CD, welche dem
Lyrikband beigeschlossen ist, präsentiert einen nachdenklich und verhalten bis
zerbrechlich deklamierenden Semier Insayif, der in konzentrierter Spannung seine
Gedichte zu Gehör bringt, und Martin Hornstein lässt den Bogen auf den Saiten
tanzen, zaubert Polyphonien auf seinem Instrument, die noch lange im Gemüt des
Lauschenden nachhallen.
Die CD bietet glanzvolle Aufnahmen von Johann
Sebastian Bachs in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts komponierten Cello
Suiten 1-3 im Wechsel- bzw. Zusammenspiel mit von Semier Insayif in einem
bisweilen an Paul Celan erinnernden Tonfall vorgetragenen Gedichten - im
übertragenen Sinn werden quasi "alle Register gezogen": Musik und Sprache
vereinen sich zu einem melodischen Wohlklang, verschmelzen zu einem rasanten,
wendigen nichtsdestoweniger präzisen Geflecht.
Sind auch Semier Insayifs
Texte nicht unbedingt liedhaft im herkömmlichen Sinn, vollbringt der Autor das
Kunststück, seinen einmal beschleunigenden, dann wieder zerhackten oder auch
bedächtig schwingenden Schöpfungen Leben einzuhauchen, wobei es bei seinen
Lesungen oft nicht beim "Einhauchen" bleibt: Semier Insayifs
Interpretationsrepertoire umfasst neben Zischlauten auch Raunen, Schreien und
Keuchen, was die vor Vitalität strotzenden Darbietungen des "Textdarstellers"
wohltuend von jenen vieler anderer zeitgenössischer Literaten
unterscheidet.
Aus der intensiven Zusammenarbeit des Schriftstellers mit
dem Musiker auf Grundlage der Bach'schen Suiten und der gegenseitigen
Inspiration entstand die "elaborierte Struktur" des Gedichtreigens, welche
Roland Leeb in seinem Nachwort ausführlich erläutert.
Als Suite wird
übrigens eine bestimmte Kompositionsform, bestehend aus einer Abfolge
verbundener (echter oder auch stilisierter) Tanzsätze, zu denen z.B. Allemande,
Courante, Sarabande und Gigue gehören, bezeichnet.
Der besondere Reiz
der Gedichte dieses Bandes ergibt sich ausgehend vom Wesen der Suiten:
Gelegentlich wird spielerisch auf Konsonanten verweilt, als weitere Stilelemente
wären u.a. Alliteration, Betonung, Pausen, Tonbindungen und Trennungen
anzuführen; manche Gedichte wirken unterbrochen, als wären sie gerade noch der
Schere eines Tontechnikers entschlüpft.
Diesen Kriterien tragen auch die
verschriftlichten Texte Rechnung, indem von jedem Gedicht jeweils sowohl die
lautliche Interpretation als auch die sozusagen "ausgeschriebene" Fassung
dargestellt ist, wobei auch - wie bei einer Partitur - Anweisungen für die
Darbietung in kursiver Schrift gegeben werden, wie folgendes Beispiel (suite nr.
1 in g-dur; "blau - hebend sich so an"; prélude) illustriert:
r heb nd sich als körp r steig nd
auf aus sein n häut n häut nd sch lüpft b schwingt r wach nd frei aus blind heit teich vergess n nt deck nd sel bst aus flüg l at m sicht adonis gleich azur als jungf r hebt r sch raub nd sich zum bog n saum des himm ls so hebt ein körper sich hinauf ins blau
ellen lang den atem schroff ins schorf geflügelt
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Im
Duden-Herkunftswörterbuch
findet sich unter
Libelle folgende
Eintragung: "Das vom Volksmund mit zahlreichen Namen wie 'Wasserjungfer', 'Schleifer',
"Augenstecher" bedachte Raubinsekt (mit vier glashellen Flügeln) wurde von den
Zoologen im 18. Jahrhundert mit dem lateinischen Wort libella "(Wasser)waage;
waagrechte Fläche" (...) benannt, in Anspielung auf seinen gleichmäßigen, ausgewogenen
Flug mit waagrecht ausgespannten Flügeln."
Welch wundervolles Bild für diese beispielgebende
künstlerische Zusammenarbeit: Der gleichmäßige, ausgewogene Flug!
(kre; 11/2004)
Semier Insayif, Martin Hornstein: "libellen tänze"
Haymon, 2004. 72 Seiten, 1 Audio-CD.
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Semier Insayif wurde 1965
in Wien geboren.
Er ist als Kommunikations- und Verhaltenstrainer, Fitnessberater und Instructor
tätig, wirkt im Team für Konzept mit, befasst sich mit der Organisation und
Koordination der literarischen Veranstaltungsreihe "Literatniktechtur" und des
"Siemens-Literaturpreises". Der in Wien lebende Schriftsteller, Preisträger
des "Wiener Werkstattpreises" 2000, veröffentlichte bislang in Literaturzeitschriften
und Anthologien; bei Haymon erschien sein
Gedichtband: "über gänge verkörpert".
Netzseite des Autors:
https://www.semierinsayif.com/
Martin Hornstein, geboren
1954 in Wien, studierte Cello und Wien und New York. Er ist Gründer und Mitglied
des "Altenberg Trio Wien", das anno 1999 mit dem renommierten Schumann-Preis der
Stadt Zwickau ausgezeichnet wurde und zwei Jahre später den
"Edison"-Schallplattenpreis erhielt.
Netzseite des "Altenberg Trio Wien":
https://www.altenberg.co.at/
Ein weiteres Buch von Semier
Insayif:
"Faruq"
Wien, um 1950: Ein junger Mann macht sich aus seiner Heimat Bagdad auf nach
Wien; er will Medizin studieren, eine neue Zukunft aufbauen, fern von der
Heimat. Jahrzehnte später: Ein anderer junger Mann begibt sich, einen Schritt
vor den anderen setzend, auf den Weg zu seinen Wurzeln, in die Geschichte seiner
Familie. Seine Erinnerung führt ihn zurück nach
Bagdad, in die Heimat des
Vaters. Entlang arabischer Worte, Zeichen und Satzfetzen, die wie aus einem
Nebelschleier auftauchen, tritt er ein in eine fremdvertraute Sprache und
Kultur; und er begegnet einer Frau, die unendlich weit entfernt ist, und
vielleicht zugleich unendlich nahe.
Semier Insayif erzählt in rhythmisierter Prosa, in einem Strom von Handlungssträngen,
die an und abschwellen, sich überlagern und kommentieren. Erinnerung wird zu
Sprache, Sprache wird zu Erinnerung, sie fließen ineinander zu einem
eindringlichen Bild von Heimat und Fremde und von einem Leben zwischen den
Kulturen.. (haymonverlag)
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