Tannkönig
1
Am Felsenbruch im wilden Tann
Liegt tot und öd ein niedrig Haus;
Der Efeu
steigt das Dach hinan,
Waldvöglein fliegen ein und aus.
Und drin am blanken Eichentisch
Verzaubert schläft ein Mägdelein;
Die
Wangen blühen ihr rosenfrisch,
Auf den Locken wallt ihr der Sonnenschein.
Die Bäume
rauschen im Waldesdicht,
Eintönig fällt der Quelle Schaum;
Es lullt sie ein, es läßt
sie nicht,
Sie sinket tief von Traum zu Traum.
Nur
wenn im Arm die Zither klingt,
Da hell der Wind vorüberzieht,
Wenn gar
zu laut die Drossel singt,
Zuckt manches Mal ihr Augenlid.
Dann
wirft sie das blonde Köpfchen herum,
Daß am Hals das güldene Kettlein klingt;
Auf fliegen
die Vögel, der Wald ist stumm,
Und zurück in den Schlummer das
Mägdlein sinkt.
Hell reißt der Mond die Wolken
auf,
Daß durch die Tannen bricht der Strahl;
Im Grunde wachen die Elfen auf,
Die Silberhörnlein rufen durchs Tal.
»Zu Tanz, zu Tanz am Felsenhang,
Am hellen Bach, im schwarzen Tann!
Schön Jungfräulein, was wird dir bang?
Wach auf und schlag die Saiten an!«
Schön
Jungfräulein, die sitzt im Traum;
Tannkönig tritt zu ihr herein,
Und küßt
ihr leis des Mundes Saum
Und nimmt vom Hals das Güldkettlein.
Da schlägt sie hell die Augen auf -
Was hilft ihr Weinen all und Flehn!
»Tannkönig,
laß mich ziehn nach Haus,
Laß mich zu meinen Schwestern gehn.«
»In
meinem Walde fing ich dich«,
Tannkönig spricht, »so bist du mein!
Was
hattest du die Mess' versäumt?
Komm mit, komm mit zum Elfenreihn!« -
»Elf!
Elf! das kling so wunderlich,
Elf! Elf! mir graut vor dem Elfenreihn;
Die haben gewiß kein Christentum,
Oh, laß mich zu Vater und Mutter mein!«
»Und denkst du an Vater und Mutter
noch,
Sitz aber hundert Jahr allein!«
Die Elfen ziehn zu Tanz, zu
Tanz;
Er hängt ihr um das Güldkettlein.
(Theodor Storm)