Sünde

Sünde ist die in der christlichen Theologie geprägte und von dort auch auf die allgemeine Religionsgeschichte übertragene Bezeichnung für ein das Gott-Mensch-Verhältnis störendes Handeln des Menschen ohne bzw. gegen Gott. Sie wird auch synonym zu Schuld gebraucht.

In der Religionswissenschaft steht der Begriff Sünde im Allgemeinen für die Schuld, die in einem bestimmten religiösen Kontext die Verbindung zum Numinosen, zu Göttern oder Gott stört. Ursprünglich handelt es sich dabei v. a. um die Verletzung von Tabus, die durch die Erfahrung von numinosen Kräften aufgerichtet worden sind. In diesen Vorstellungskreis gehören Frevel, d. h. Hochmut gegenüber Göttern (in den monotheistischen Weltreligionen besonders die Lästerung des Gottesnamens), Verletzung bzw. Profanierung heiliger Orte, Zeiten, Gegenstände oder Personen; außerdem kultische Vergehen oder Versagen (Unterlassung oder fehlerhafte Verrichtung gebotener Kultformen), Unreinheit oder Verunreinigung durch Unterlassung von kultischen oder anderen religiösen Pflichten (Waschungen, asketische Vorschriften, Meidungsgebote u. a.), aber auch soziale Vergehen und antisoziales Verhalten wie Rechtsbruch und Verstöße gegen die vorgegebenen und als von Gott gesetzt angesehenen natürlichen und sozialen Ordnungen.

Für die jüdische und die christliche Theologie liegt die Sünde in der "Ursünde" des Menschen, seinem so genannten Sündenfall (Einbruch der Sünde in die Schöpfung Gottes und Verlust der unmittelbaren Gottesgemeinschaft des Menschen) begründet. Im jüdischen wie im christlichen Verständnis ist daher kein Mensch ohne Sünde. Im Anschluss an das A. T. betont die jüdische Tradition allerdings ausdrücklich die dem Menschen von Gott gegebene Freiheit, die Gottesgebote (Thora) einzuhalten oder kraft eigener (Willens-)Entscheidungen zu übertreten, womit jeder Einzelne vor Gott für seine Taten verantwortlich ist, für die Gott von ihm Rechenschaft verlangen wird.

Die Predigt Jesu im N. T. geht ebenfalls davon aus, dass alle Menschen Sünder sind, der Vergebung Gottes bedürfen und allein durch seine Liebe gerettet werden können. Dieser Gedanke wird zugespitzt bei Paulus in seiner auf der Antithese von Gesetz und Evangelium beruhenden Lehre von der Rechtfertigung des Sünders. Voraussetzung für die Vergebung der Sünde ist der Glaube, der im N. T. besonders als "Umkehr", das bedingungslose und vollständige Sicheinlassen auf die Botschaft Jesu, beschrieben wird (Metanoia).

Die katholische Theologie schließt an die scholastische Unterscheidung zwischen lässlicher Sünde und schwerer Sünde (Todsünde) an und konzentriert sich auf das individuelle Verhältnis des Einzelnen zu Gott und auf den Grad seiner Schuld. Auf dem 2. Vatikanischen Konzil wurde darüber hinaus jedoch auch die soziale Dimension von Sünde und Schuld betont. Grundlegend für die evangelische Theologie ist die Vorstellung, dass die Rechtfertigung des sündigen Menschen allein in der Gnade Gottes gründet und allein durch den Glauben (sola fide) erfolgen kann. Die bleibende Sündhaftigkeit des Menschen wird damit nicht aufgehoben (simul iustus et peccator). Für die orthodoxe Theologie ist Sünde v. a. die Verdunkelung, jedoch nicht völlige Zerstörung der Gottebenbildlichkeit (Imago Die) des Menschen.

Islam: Im Koran existieren zahlreiche Begriffe, die mit Sünde übersetzt werden. Dabei handelt es sich v. a. um einzelne moralische Verfehlungen, während eine generelle Sündhaftigkeit des Menschen nicht vorausgesetzt wird. Doch kann von den im Koran enthaltenen Ermahnungen der Propheten und Gesandten auf eine generelle Schwachheit und Neigung zur Sünde rückgeschlossen werden. Sünden werden mit Hölle bestraft, können jedoch von Gott vergeben werden. Als besonders schwere Sünden gelten Glaubensabfall und Polytheismus. Diese können nicht vergeben werden.


(Aus "Der Brockhaus Religionen")