Thierry Jonquet: "Die Haut, in der ich wohne"


Aus zwei Strängen besteht dieser außerordentlich spannende und gegen Ende immer mehr den Atem nehmende Roman des französischen Schriftstellers Thierry Jonquet, der mehrere preisgekrönte Kriminalromane veröffentlichte und einer der beliebtesten Krimiautoren Frankreichs war.

Zunächst begegnet uns die Hauptperson des Romans, der berühmte plastische Chirurg Richard Lafargue. Sein Leben befremdet hauptsächlich dadurch, dass er seine Partnerin Ève in einem Appartement seiner Villa gefangenhält. Nur einmal im Monat kann Ève zusammen mit Richard das Haus verlassen, nämlich wenn die beiden eine junge Frau in einer psychiatrischen Klinik besuchen. Ansonsten liebt es Richard, Ève zum Sex mit Fremden zu zwingen und sie dabei durch einen Einwegspiegel zu beobachten. Höchst sonderbar, denkt der Leser zunächst und fragt sich, ob er sich das antun soll.

Auch der kursiv gedruckte zweite Handlungsstrang ist nicht weniger eigenartig. Da sitzt ein junger Mann, der Abiturient Vincent, in einem dunkeln Verlies, leidet Hunger und Durst, von einem Unbekannten nach einer wilden Verfolgungsjagd im Wald entführt. Zunächst glaubt Vincent noch an eine Verwechslung, doch nachdem nach einiger Zeit die dunkle Stimme seines Peinigers gesagt hat: "Du bist es. Du warst der Richtige", beginnt Vincent langsam der Zusammenhang zu dämmern, und er fängt an zu ahnen, was ihn mit seinem "Herrn" verbindet, zu dem er die von vielen Entführungsopfern nach ihrer Befreiung geschilderte Beziehung unterhält, die man als Identifikation des Opfers mit dem Täter bezeichnet hat.

Erst im Lauf der Jahre (!) seiner Gefangenschaft, die sich langsam lockert, wird deutlich, dass dieses höllische Arrangement der Anfang der Verwandlung von Vincents Leben sein soll. Mehr kann und darf man als Rezensent nicht verraten, sonst ist der gesamte Reiz der Lektüre verdorben. Denn der zunächst befremdende Roman entwickelt sich zu einer ebenso spannenden wie genial erzählten Geschichte von Schuld, Rache und angeblicher Sühne.

Man legt "Die Haut, in der ich wohne" nicht aus der Hand, ehe man herausgefunden hat, in welcher Beziehung die Figuren dieses außergewöhnlichen Buches, das übrigens von "Oscar"-Preisträger Pedro Almodóvar mit Penelope Cruz und Antonio Banderas in den Hauptrollen verfilmt wird, tatsächlich zueinander stehen.

(Winfried Stanzick)


Thierry Jonquet: "Die Haut, in der ich wohne"
(Originaltitel "Mygale")
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller.
Hoffmann und Campe, 2008. 141 Seiten.
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Thierry Jonquet wurde am 19. Jänner 1954 in Paris geboren und studierte Philosophie und Ergotherapie. Seit seinem literarischen Debüt 1982 veröffentlichte er neben Jugendbüchern fünfzehn Romane, von denen mehrere ausgezeichnet wurden.
Thierry Jonquet starb am 9. August 2009 im Alter von 55 Jahren in einem Krankenhaus in Paris.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Die Unsterblichen"

Viele wollen das ewige Leben. Monsieur Jacob will lieber sterben können. Und Anabel will unbedingt einen Mord verhindern. Ein mythischer Thriller, der vom Tod nichts wissen mag.
Eigentlich kann sich Anabel glücklich schätzen, dass sie trotz ihrer Vorstrafe die Assistentinnenstelle bei dem exzentrischen Tätowierungskünstler Brad bekommen hat. Leider verstoßen Brads Arbeiten nicht selten gegen den guten Geschmack. Und als sie bei einer Soiree erfährt, dass sich ihr Aufgabenfeld ab sofort um Dinge wie Gruppensex erweitert, hat sie die Nase endgültig voll und kündigt.
Überraschenderweise läuft ihr am nächsten Tag der elegante alte Herr über den Weg, mit dem sie manchmal ihre Mittagspausen verbracht hat: Monsieur Jacob ist Bestattungsunternehmer und bietet Anabel nicht nur einen Job in seinem Institut, sondern auch Logis in seiner Villa vor den Toren von Paris an. Anabel schlägt ein - und stellt bald fest, dass Monsieur Jacob eine ähnliche Obsession für Körper hat wie Brad, wenn auch für tote: Er widmet sich der Kunst der Mumifizierung.
Zur gleichen Zeit bekommt ein russischer Berufsmörder den Auftrag, den nach langer Haft entlassenen Mörder Ruderi zu töten. Seltsam, dass es zwischen Ruderi und Monsieur Jacob irgendeine Verbindung gibt. Noch seltsamer ist allerdings, dass sich Ruderi vor den Augen des Mörders von Tag zu Tag verjüngt ... (Hoffmann und Campe)
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