Wilhelm Hauff: "Die Karawane"
Märchen
"Die Karawane" ist eine Sammlung von drei "Märchen-Almanachen", nämlich "Die Karawane", "Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven" und "Das Wirtshaus im Spessart". Es mag auf den ersten Blick ein wenig verwirrend erscheinen, dass das ganze Buch nach dem ersten "Märchen-Almanach" benannt wurde, für die Lesbarkeit des Buches ist das allerdings gänzlich unerheblich.
Sieht man im Fremdwörterbuch
unter dem Begriff "Almanach" nach, so erhält man folgende
Bedeutungen:
1. (bebildertes) kalendarisch angelegtes Jahrbuch; 2.
(jährlicher) Verlagskatalog mit Textproben.
Am Ende des Buches wird erklärt, warum Hauff für
seine Textsammlungen die Gattung des Almanachs wählte: Er
knüpfte zum einen an das in Deutschland junge Genre des
Jahrbuchs an, zum anderen an die arabische Tradition der gleichnamigen
Neujahrsgeschenke.
Jeder der drei "Märchen-Almanache" besteht aus einer Rahmengeschichte und einzelnen Märchen, wobei die einzelnen Märchen jeweils in sich abgeschlossene Geschichten darstellen.
Nun zu den "Märchen-Almanachen" und den dazugehörigen einzelnen Märchen im Detail:
"Die Karawane"
Eine durch die Wüste ziehende Karawane, bestehend aus fünf Kaufleuten, Wachen und Sklaven, begegnet unterwegs einem stattlichen Reiter mit Namen Selim Baruch, der sich der Karawane anschließt. Um sich während der Ruhepausen die Zeit zu vertreiben vereinbaren die fünf Kaufleute sowie Selim Baruch, einander Geschichten zu erzählen.
"Die Geschichte von Kalif Storch"
Der Kalif Chasid zu Bagdad erwarb von einem Krämer eine Dose, in welcher sich ein schwärzliches Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift befand. Von einem Gelehrten ließ er die Schrift entziffern und erfuhr, dass jeder, der von dem Pulver schnupft und dazu "Mutabor" spricht, sich in jedes Tier verwandeln kann und auch die Sprache der Tiere versteht. Will er sich zurückverwandeln, so muss er sich nur dreimal gegen Osten neigen und abermals das Zauberwort "Mutabor" sprechen. Wenn man allerdings im verwandelten Zustand lacht, so vergisst man das Zauberwort und muss ein Tier bleiben.
Es kam, wie es kommen musste. Der Kalif und sein Großwesir Mansor verwandelten sich in Störche, lachten im verwandelten Zustand und vergaßen das Zauberwort. Traurig flogen sie auf die Dächer von Bagdad und mussten feststellen, dass Mizra, der Sohn von Chasids Todfeind, dem mächtigen Zauberer Kaschnur, mittlerweile Kalif von Bagdad geworden war. Nun ahnten sie, dass sie in eine Falle des Zauberers getappt waren.
In einer Ruine lernten die beiden Störche die Nachteule Lusa kennen und erfuhren von ihr, dass sie eine verzauberte Prinzessin ist - auch sie wurde vom Zauberer Kaschnur, allerdings durch einen Trank, in ihren jetzigen Zustand verwandelt.
Wird es den beiden Störchen und der Nachteule gelingen, sich wieder in ihre Menschengestalt zurück zu verwandeln?
(Die Antwort, nämlich das ganze Märchen finden Sie hier ...)
"Die Geschichte von dem Gespensterschiff"
In jungen Jahren zog Achmet, einer der fünf Kaufleute der Karawane, mit seinem Diener aus seiner Heimatstadt Balsora aus, um in der Fremde sein Glück zu machen. Sie schifften sich nach Indien ein. Eines Nachts schwebte ein Schiff am Schiff der beiden Gefährten vorbei, ein Sturm zog auf, und das Schiff der beiden sank. Achmet und sein Diener konnten sich auf ein umgeschlagenes Rettungsboot retten, trieben im Wasser umher und stießen plötzlich auf jenes Schiff, welches zuvor an ihrem Schiff vorbeigeschwebt war.
Als sie dieses Schiff betraten, bemerkten sie rasch, dass dieses nur aus Leichen, die am ganzen Schiff umherlagen, bestand. Am Mast, mit einem Nagel im Schädel aufgespießt, befand sich der ehemalige Kapitano des Schiffes. Achmet und sein Diener versuchten, die Leichen über Bord zu werfen - aber was sie auch versuchten, die Leichen ließen sich kein Stück bewegen.
Als es Nacht wurde, schliefen die beiden unter Deck. Plötzlich erwachte das Schiff zu Leben, man hörte Schritte und Stimmen an Deck, jedoch wagte keiner der beiden hinauf zu gehen. Bei Tagesanbruch war der Spuk plötzlich wieder vorbei, und alle Leichen lagen unverändert an ihrem Platz. Auch das Schiff hatte plötzlich wieder seine alte Position am Meer eingenommen, so, als hätte es sich keinen Meter fortbewegt.
Die Gefährten planten in der kommenden Nacht durch ein kleines Kämmerlein das Treiben zu beobachten. Sie entdeckten, dass die Leichen während der Nacht zum Leben erwachten, schrien, lachten und heulten. Außerdem segelte das Schiff während der Nacht immer wieder zur ursprünglichen Position zurück.
Um zu verhindern, dass das Schiff während der Nacht zurücksegelte, zogen die beiden ehe es Nacht wurde die Segel ein, schrieben den Namen des Propheten auf Pergament und ein Zaubersprüchlein, das der Diener von seinem Großvater gelernt hatte, und banden das Pergament um die eingezogenen Segel. Das Vorhaben gelang, und am sechsten Tag entdeckten die beiden Land.
Sie verankerten ihr Schiff an der Küste und fuhren mit einem kleinen Boot einen Fluss entlang bis zu einer Stadt. Dort fragten sie nach einem weisen Mann und wurden zu dem alten Muley geführt. Von Muley erfuhren sie, dass das Schiff offenbar wegen eines Frevels verzaubert worden war und sich der Zauber nur lösen würde, wenn man die Toten an Land bringe. Dazu war es aber notwendig, die Bretter, auf denen sie lagen, loszumachen.
Die beiden machten sich mit Muley und fünf Sklaven auf den Weg, um die Toten an Land zu bringen. Sobald die Leichen Land berührten, war der Zauber gebrochen, und sie zerfielen zu Staub. Nur der an den Mast aufgespießte Kapitano gab ihnen Rätsel auf - der Nagel ließ sich nicht bewegen, und den gesamten Mast konnte und wollte man nicht umsägen. Nun kam Muley auf die Idee, dem Kapitano einen Topf voll Erde auf das Haupt zu schütten. Sogleich schlug dieser die Augen auf.
Ob es den Gefährten gelingt, auch den Kapitano zu erlösen und die Geschichte der Verzauberung des Schiffes zu erfahren?
"Die Geschichte von der abgehauenen Hand"
In Istanbul geboren, kam Zaleukos, ebenfalls einer der fünf Kaufleute der Karawane, einst nach Florenz, bot dort seine Kunst als Arzt an und verkaufte in einem Gewölbe Salben, Öle und seidene Zeuge. Eines Abends fand er in einer kleinen Büchse einen Zettel, in welchem er aufgefordert wurde, um Mitternacht zur Ponte Vecchio zu kommen. Dort traf er auf einen Unbekannten in einem roten Mantel, der Zaleukos befahl, ihm zu folgen.
Zaleukos bekam jedoch Angst und bat den Unbekannten, ihm sein Gesicht zu zeigen. Der Unbekannte ließ dies jedoch nicht zu und ging weg. Wutentbrannt versuchte Zaleukos ihn zurückzuhalten, bekam aber nur mehr seinen Mantel zu fassen, während der Unbekannte verschwand. Den Mantel brachte Zaleukos in sein Gewölbe.
Am nächsten Abend fand er an dem roten Mantel einen Zettel befestigt, in dem er aufgefordert wurde, um Mitternacht mit dem Mantel wieder zur Ponte Vecchio zu kommen. Als Lohn sollten ihm 400 Zechinen winken.
Zur vereinbarten Zeit kam der Unbekannte, zahlte ihm 400 Zechinen für den Mantel und bat ihn, ihm in seiner Funktion als Arzt zu helfen. Zaleukos solle der toten Schwester des Unbekannten den Kopf abtrennen, damit dieser zu ihrem Vater gesandt werden könne.
Zaleukos sagte zu, ging mit dem Unbekannten mit und schnitt der Schwester mit einem Zug die Kehle durch, um ihr danach den Kopf abzutrennen. Doch zu seinem Schrecken musste er erkennen, dass diese noch gelebt hatte und nun durch seine Hand getötet worden war. Voll Angst floh Zaleukos in seine Wohnung, dort bemerkte er jedoch, dass er im Zimmer der Getöteten sein Messer, seine Mütze und seinen Gürtel vergessen hatte.
Am nächsten Tag ließ ihn das Gericht festnehmen und er erfuhr, dass er die Tochter des Gouverneurs getötet hatte. Daraufhin verurteilte ihn das Gericht zum Tode durch das Beil.
Auch dem Ende der Geschichte fehlt es nicht an Dramatik.
Diese Geschichte wurde vom Kaufmann Lezah erzählt und handelt vom Schicksal seines Bruders Mustapha und seiner Schwester Fatme.
An Fatmes 16. Geburtstag wurde ein Fest veranstaltet. Am Abend fuhren Mustapha, Fatme und Fatmes Gespielinnen mit einer Barke aufs Meer hinaus. Dort wurden sie von einem fremden Schiff verfolgt. Voll Angst stürzten sich alle Bootsinsassen auf die hintere Seite, wodurch das Schiff kippte. Mittlerweile war Hilfe von der Küste eingetroffen, und die Untergehenden wurden aufgefischt. Doch Fatme und eine ihrer Gespielinnen, Zoraide, fehlten, dafür entdeckte man einen Fremden, der offenbar vom Piratenschiff stammte.
Wutentbrannt verbrannte Mustaphas Vater seinen Sohn, dem er zur Last legte, nicht genug auf seine Schwester Acht gegeben zu haben. Mustapha entschloss sich daraufhin, seine Schwester zu suchen und erfuhr von dem gefangenen Seeräuber, dass die Piraten gewöhnlich in Balsora Sklavenhandel mit ihren Gefangenen trieben.
Also machte er sich nach Balsora auf, wurde aber auf dem Weg dorthin von Räubern überfallen und gefangen genommen. Im Lager der Räuber angekommen, stellte er fest, dass man ihn irrtümlich für den Bassa von Sulieika hielt, mit dem die Räuber eine Rechnung offen hatten. Man führte ihn vor den Räuberhauptmann Orbasan.
Mittlerweile kamen drei weitere Räuber ins Lager und brachten den richtigen Bassa von Sulieika. Orbasan entschuldigte sich bei Mustapha für seinen Irrtum und führte ihn bis zur Stadt Balsora.
In Balsora angelangt erfuhr Mustapha, dass seine Schwester und ihre Gespielin bereits am Sklavenmarkt an einen reichen Mann mit Namen Thiuli-Kos verkauft worden waren. Musthapha versuchte nun, sich seine Ähnlichkeit mit dem Bassa von Sulieika zunutze zu machen und reiste mit gemieteten Dienern als Bassa von Sulieika zum Schloss des Thiuli-Kos.
Vorerst gelang sein Plan, er wurde als Bassa von Sulieika empfangen. Doch im Schloss erkannte ihn ein ehemaliger Gefolgsmann des Räubers Orbasan und drohte, ihn zu verraten, wenn er ihm nicht seine Schwester zur Frau gäbe.
Also floh Mustapha aus dem Schloss, schaffte sich einen schwarzen Bart, einen schwarzen Talar und allerhand Büchsen und Kolben an und reiste derart verkleidet ins Schloss zurück. Dort gab er sich als der Arzt Chakamankabudibaba aus, wurde von Thiuli-Kos freundlich empfangen und gebeten, nach dem Gesundheitszustand seiner Sklavinnen zu sehen.
Doch der verkleidete Mustapha durfte nur durch ein Loch in der Mauer den Arm der Sklavinnen befühlen. Als die Sklavin "Fatme" aufgerufen wurde, dachte Mustapha, es handle sich um seine Schwester, befühlte ihren Arm und erklärte sie für krank. Dann machte er sich auf, um eine Medizin für die Kranke zu besorgen.
Bald kehrte er zurück und schob durch das Loch einen kleinen Zettel zu Fatme, in welchem er ihr mitteilte, sie retten zu wollen und sie bat, die Medizin, die er ihr geben werde, einzunehmen. Diese Medizin würde sie für zwei Tage "tot" machen, doch er habe ein Gegenmittel, um sie sofort wieder zu erwecken.
Fatme nahm die Medizin ein, und man hielt sie bald für tot. Währenddessen ging der verkleidete Mustapha zum See, warf seine falschen Kleider hinein und versteckte sich. Als man ihn suchte und nur seine Kleider fand, dachte man, er sei ertrunken.
Die für tot gehaltene Fatme wurde mittlerweile in das Begräbnishaus, in welchem sich Mustapha bereits versteckt hatte, gebracht. Als niemand mehr im Begräbnishaus war, öffnete Mustapha den Sarg und bemerkte entsetzt, dass eine fremde Frau in dem Sarg lag. Er flößte ihr das Gegenmittel ein und erfuhr von der fremden Frau, dass Thiuli-Kos seinen Sklavinnen immer neue Namen gab und es so zu der Verwechslung gekommen war.
Nun gab es für Mustapha nur noch eine Möglichkeit, seine Schwester und Zoraide zu retten, nämlich die Hilfe des Räubers Orbasan in Anspruch zu nehmen, der ihm seinerzeit versprochen hatte, ihm helfen zu wollen, wenn er jemals seine Hilfe benötige.
"Die Geschichte von dem kleinen Muck"
Diese Geschichte wurde von Muley, einem jungen, lustigen Kaufmann, erzählt.
In der Vaterstadt Muleys, Nizäa, wohnte ein Mann, der "der kleine Muck" genannt wurde. Dies deswegen, weil er sehr klein war und einen überproportional großen Kopf hatte. Außerdem trug er weite Beinkleider, ein abgeschabtes Mäntlein und einen Gürtel, an welchem ein langer Dolch herabhing. Der kleine Muck wurde von den Knaben des Ortes wegen seines Aussehens stets verspottet.
Einmal jedoch erzählte Muleys Vater seinem Sohn eine Geschichte über den kleinen Muck:
Als Mucks Vater starb, jagten ihn seine Verwandten davon, da sein Vater mehr Schulden als Vermögen hinterlassen hatte. Nur den Anzug seines Vaters durfte er mitnehmen. Da ihm dessen Kleider zu lang waren, schnitt er sie einfach ab. Daher auch der sonderbare Aufzug des kleinen Muck - es handelte sich nämlich um die Kleidungsstücke seines Vaters, die er immer noch trug.
So reiste Muck herum und kam eines Tages schon voll des Hungers in eine Stadt. Dort trat er in ein Haus, in dem sich viele Hunde und Katzen befanden, ein und bat die alte Hausherrin um Speis und Trank. Diese nährte ihn und bot ihm an, in ihren Diensten zu bleiben. Muck willigte ein und wurde der Bediente der Frau Ahavzi.
Eine Zeitlang ging es dem kleinen Muck ganz gut, er musste sich lediglich um die Tiere kümmern. Doch nach einiger Zeit begannen die Katzen, wenn Frau Ahavzi das Haus verlassen hatte, im Zimmer herumzulaufen und zerbrachen dabei allerlei Geschirr. Frau Ahavzi verdächtige Muck der Zerstörungen und glaubte ihm seine Unschuldsbeteuerungen nicht.
Also beschloss Muck, weiter zu ziehen und suchte im Haus - da er von Frau Ahavzi nie den versprochenen Lohn erhalten hatte - etwas, was er mitnehmen konnte. Da er nichts anderes fand, nahm er zwei große Pantoffeln, die er anzog und ein Spazierstöcklein und floh aus dem Haus. Er lief aus Angst vor der Alten so schnell er konnte und bemerkte bald, dass die Pantoffeln ihm zu einem Riesentempo verhalfen.
Im Traum erschien ihm dann ein Hundlein, welches ihm mitteilte, dass er mit den Pantoffeln fliegen könne, wenn er sich mit ihnen dreimal am Absatz herumdrehe und mit dem Stöcklein Schätze zu finden seien. Dort wo Gold vergraben ist, schlüge das Stöcklein dreimal auf die Erde, bei Silber zweimal.
Nun überlegte Muck, wie er die Fähigkeiten seiner Pantoffeln und seines Stöckleins zu Geld machen könne und ging zum Palast des Königs, um sich als Schnellläufer zu verdingen. Nachdem er in einem Wettstreit den bisher schnellsten Läufer geschlagen hatte, wurde Muck in die Dienste des Königs aufgenommen.
Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des Schlossgartens, wo das Stöcklein dreimal ausschlug. Muck markierte die Stelle, wanderte des Nachts mit einem Spaten zu der Stelle und grub dort einen Topf voll Goldstücke aus. Unbemerkt brachte er einen Teil des Goldes, und zwar soviel wie er tragen konnte, in sein Zimmer.
Muck dachte, durch das Gold wahre Freunde finden zu können und teilte es mit vollen Händen aus. Dies erweckte den Neid der übrigen Hofbediensteten. Archaz, der Schatzmeister, behauptete nun vor dem König, Muck hätte das Gold aus der Schatzkassa des Königs gestohlen. Der König befahl daraufhin, Muck zu bewachen. Und als Muck eines Nachts in den Schlossgarten schlich um neuen Goldvorrat zu holen, fielen die Wächter über ihn her und brachten ihn vor den König.
Der König ließ ihn daraufhin in den Kerker werfen. Als ihm am nächsten Tag der Tod angekündigt wurde, gab Muck vor dem König das Geheimnis der Pantoffeln und des Stöckleins preis. Der König ließ ihn nun frei, behielt aber Pantoffeln und Stöcklein bei sich.
Nun war Muck wieder arm wie eh und je und wanderte zum Land hinaus.
Wird es Muck gelingen, seine Pantoffeln und sein Stöcklein wieder zu erlangen?
"Das Märchen vom falschen Prinzen"
Der Schneidergeselle Labakan musste eines Tages ein Festkleid des Bruders des Sultans ändern. Da Labakan stets von sich dachte, dass an ihm ein Prinz verloren gegangen sei, beschloss er, das Festkleid anzuziehen und durch die Welt zu reisen.
Auf seiner Wanderung traf er einen jungen Mann mit Namen Omar. Dieser teilte ihm mit, dass er auf dem Weg zur Säule El-Serujah sei. Dort sollte er seinen Vater, den er bis dato weder kannte, noch wusste, um wen es sich handle, treffen. Das einzige, das er wusste, war, dass es sich um einen mächtigen Herrscher handeln müsse. Er sollte sich dadurch zu erkennen geben, dass er den Männern, die an der Säule standen, einen Dolch überreiche mit den Worten "Hier bin ich, den ihr suchet".
Des Nachts stahl Labakan seinem Gefährten den Dolch und sein schnelles Pferd und machte sich auf den Weg zur Säule, um sich für Omar auszugeben. Nachdem Labakan das vereinbarte Ritual absolvierte, gab sich ein alter Mann als sein Vater zu erkennen und umarmte ihn. Bei dem Greis handelte es sich um den Sultan Saaud.
Währenddessen kam der richtige Omar angeritten und teilte dem Sultan wutentbrannt mit, dass er sein Sohn sei. Doch der Sultan glaubte nicht ihm, sondern Labakan, der ihm mitteilte, es handle sich bei dem Mann um einen geistig verwirrten Schneidergesellen.
Der Sultan ließ den richtigen Omar fesseln, und sie ritten in die Hauptstadt des Sultans. Als die Sultanin die beiden Männer sah, erkannte sie sofort ihren richtigen Sohn, doch der Sultan glaubte auch ihr nicht.
Nun musste die Sultanin zu einer List greifen, um ihren Mann davon zu überzeugen, wer der richtige Sohn sei.
"Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven"
Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war seit sein damals zehnjähriger Sohn vor fünfzehn Jahren von den Franken verschleppt worden war, ein gebrochener Mann, dem nichts im Leben mehr Freude machte. Jedes Jahr an dem Tag, an dem sein Sohn verschleppt worden war, schenkte er zwölf Sklaven die Freiheit. Doch bevor diese Sklaven die Freiheit erlangten, mussten sie dem Scheik noch jeweils eine Geschichte erzählen, um ihm die Zeit zu vertreiben.
In einer bedeutenden Stadt in Deutschland lebte einst ein Schuster mit seiner Frau und seinem zwölfjährigen Sohn Jakob. Eines Tages half Jakob einer alten hässlichen Frau, die bei seiner Mutter am Gemüsemarkt eingekauft hatte, das Gemüse nach Hause zu tragen.
Als Dank für seine Arbeit kochte ihm die Alte ein Süppchen, woraufhin Jakob in einen tiefen Schlaft verfiel und sonderbare Träume träumte. Er träumte, er sei sieben Jahre lang im Dienst der alten Frau und habe dabei die Kunst des Kochens erlernt.
Nachdem er aufgewacht war, ging er in die Stadt zurück und begegnete seiner Mutter und seinem Vater. Doch die beiden erkannten ihn nicht und jagten ihn weg. Da sah er in einen Spiegel und erkannte, dass er in einen Zwerg mit einer riesigen Nase verwandelt worden war. Außerdem stellte er fest, dass sein vermeintlicher Traum Wirklichkeit gewesen war, und er jetzt etwa 20 Jahre alt war.
Nun bewarb sich Jakob beim Herzog des Landes als Küchenmeister und wurde vom Herzog ob seiner Kochkunst sofort eingestellt. Der Herzog schätzte seinen neuen Koch sehr, und so vergingen zwei Jahre. Eines Tages kaufte Jakob am Markt drei Gänse, die er seinem Herrn zubereiten wollte. Plötzlich bemerkte er, dass eine der drei Gänse sprechen konnte und nahm diese zu sich in sein Zimmer.
Die Gans erzählte ihm, dass sie die verzauberte Tochter des Zauberers Wetterbock sei und Jakob durch einen Zauber auf Kräuter verwandelt worden war und dadurch erlöst werden könne, indem er das Kraut fände, das sich die Alte bei seiner Verzauberung gedacht hatte.
Wird es Jakob und der Gans gelingen, ihre wahre Gestalt wieder zu erhalten?
"Abner, der Jude, der nichts gesehen hat"
Der Jude Abner, ein pfiffiger Geschäftsmann, wurde während eines Spazierganges von den kaiserlichen Stallknechten befragt, ob er ein kaiserliches Pferd vorbeilaufen gesehen habe. Abner machte genaue Angaben über das Pferd, verneinte aber dann die Frage.
Zufällig kamen zur selben Zeit einige schwarze Sklaven zu Abner und fragten ihn, ob etwas über den Verbleib des Leibschoßhundes der Kaiserin, der entflohen war, wisse. Abner machte auch in diesem Fall genaue Angaben über den Hund, verneinte aber dann auch die Frage.
Erzürnt über Abner, dem sie aufgrund seiner genauen Angaben über die Tiere nicht glauben konnten, dass er sie nicht gesehen hatte, nahmen die kaiserlichen Bediensteten Abner mit und brachten ihn vor den Kaiser Muley Ismael. Der Kaiser bestrafte den Juden mit 100 Streichen auf die Fußsohlen, und gerade, als die Strafe ausgeführt wurde und 50 Streiche ausgeführt waren, brachte man dem Kaiser die Botschaft, dass Hund und Pferd wiedergefunden seien.
Nun verlangte der Kaiser von Abner eine Erklärung seines Verhaltens und dieser erklärte ihm, dass er anhand der Spuren, die die Tiere in der Natur hinterließen, so genaue Angaben über sie machten konnte, ohne sie gesehen zu haben. Der Kaiser erließ Abner die restlichen 50 Streiche, verlangte aber dafür von ihm eine Strafe von 50 Zechinen.
Nicht lange nach diesem Ereignis ging Abner abermals spazieren und wurde wiederum von Bediensteten des Kaisers befragt. Diesmal war der schwarze Leibschütze des Kaisers entflohen und man befragte Abner, ob er ihn gesehen habe. Man erkannte sofort den pfiffigen Juden und forderte ihn auf, anhand der Spuren in der Natur herauszufinden, wohin der Leibschütze geflohen sei.
In einer ärmlichen Schwertfeger- und Schuhflickergasse, die sich unterhalb der Stadt befand, lebte Stephan mit seinen Eltern. Sein Vater war Schuhflicker und, wie die restlichen Bewohner der Gasse, verarmt.
Eines Tages ging Stephan mit einigen Schulkameraden zur Stadtmauer, von dort gelangten sie in einen großen dunklen Turm, den sie erforschen wollten. An einer Tür blickten sie durch ein Schlüsselloch und sahen dort einen alten Mann mit weißem Haar in einem Stuhl sitzen. Stephan erkannte in dem alten Mann sofort den "Waldbruder" wieder, dem er einst mit seinem Vater im Wald begegnet war. Voll Angst flohen die Kinder aus dem Turm.
Da Stephans Vater seine Schulden nicht zahlen konnte, sollte demnächst der Viertelsrichter kommen und die Familie aus dem Haus werfen. In seiner höchsten Not ging Stephan wieder in den Turm und hoffte, der alte Mann, von dem er Gutes fühlte, würde ihm helfen.
Doch in dem Zimmer im Turm war niemand als ein altes Zwerglein. Das Zwerglein Pipi gab Stephan einen schwarzen Stock, der folgende Eigenschaften hatte: Wer mit dem Stock in das Haus eines schlechten Schuldners, d. h. eines Schuldners, der zwar zahlungsfähig aber nicht zahlungswillig ist, geht, erhält nicht nur das Aussehen des Gläubigers, sondern den Schuldner befällt auch eine derartige Angst, die ihn zwingt, seine Schulden an den Gläubiger zu bezahlen. Hernach kann sich der Schuldner an nichts mehr erinnern.
Mit diesem Stock bewaffnet ging Stephan nun von Haus zu Haus, um für seine Familie und die restlichen Bewohner der Gasse Geld aufzutreiben.
Der Sultan pflegte gerne die Gesinnung seiner Untergebenen auszuforschen und trat deshalb des öfteren verkleidet in der Menge auf. Um sich nun eine derartige Verkleidung schneidern zu lassen, schickte er seinen Leibsklaven Mansuri zum Schneider Babadul. Damit Babadul nicht Kenntnis erlangen konnte, für wen er die Kleider mache, holte Mansuri ihn um Mitternacht ab und führte ihn mit verbundenen Augen in das Haus seines Herrn.
Im Haus des Sultans angekommen zeigte Mansuri dem Schneider einen Derwischhabit (ein Kleidungsstück) und bat ihn, festzulegen, wie lange er für die Erstellung eines solchen Kleidungsstückes brauche. Nach seiner Prüfung solle er den Derwischhabit in ein Tuch einschlagen und warten, bis er, Mansuri, ihn abhole.
Babadul tat wie im befohlen, und nach einiger Zeit kam ein majestätischer Mann und holte das Bündel ab, ohne ein Wort zu sagen. Weniger später trat eine weitere geheimnisvolle Gestalt ein, brachte ein Bündel und legte es Babadul zu Füßen. Babadul dachte, es handle sich um den Stoff für die Erstellung des Kleidungsstückes. Wieder wenig später kam Mansuri zurück, bat Babadul das Bündel aufzuheben, verband ihm die Augen und brachte ihn wieder in sein Haus zurück.
Als Babadul zu Hause gemeinsam mit seiner Frau das Bündel öffnete, fand er darin einen Menschenkopf. Er beschloss nun, den Kopf dem Bäcker unterzujubeln, indem er den Kopf in einen der Töpfe gab, die die Bewohner dem Bäcker brachten, damit er ihnen das Brot herausbacke. Doch ein Hund aus der Nachbarschaft roch an dem Topf, wimmerte und bellte. Daraufhin öffneten der Bäcker und sein Sohn den Topf und sahen den Kopf.
Da auch sie den Kopf loswerden wollten, beschlossen sie, ihn in Kior Alis Barbierstube zu hängen und taten dies auch ungesehen. Auch Kior Ali wollte den Kopf loswerden und brachte ihn in die Trinkstube des Griechen Giaur Yanaki. Dort ließ er ihn in einem unbeobachteten Moment an dem Ort, an dem der Grieche sein Fleisch aufbewahrte, fallen.
Der Grieche verfiel, als er den Kopf entdeckte, zuerst in Panik, hatte aber dann voll der Schadenfreude einen Einfall: Auf der Straße war der Köper eines enthaupteten Juden, eines Verbrechers, ausgestellt, wobei dessen Kopf sich unmittelbar unter seinen Beinen befand. Yanaki legte nun ohne gesehen zu werden den Kopf neben jenen des toten Juden.
Nach und nach wurde der "zweiköpfige Jude" zum Stadtgespräch, und es bildete sich eine Menschenmenge um den toten Juden. Auch ein Janitschar kam des Weges und erkannte in dem einen Kopf seinen Anführer, den Aga der Janitscharen, wieder. Diese Neuigkeit verbreitete sich rasch unter den Janitscharen, denn sie hatten noch nicht gewusst, dass ihr Aga auf Befehl des Sultans getötet worden war.
Der Kopf des toten Agas sollte eigentlich dem Sultan überbracht werden, der diesen nun natürlich vermisste und Aufklärung suchte.
In das kleine deutsche Städtchen Grünwiesel, wo jeder jeden kannte, zog einst ein Mann. Da sich dieser Mann nie in Gesellschaft begab, wurden allerlei Gerüchte über ihn verbreitet, und er wurde auch noch nach Jahren als "der fremde Herr" bezeichnet.
Einmal fuhr der fremde Herr fort und kehrte des Nachts mit einer Person zurück, deren Hut tief ins Gesicht gedrückt war und der um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden war.
Plötzlich trat der sonst so scheue Fremde in der städtischen Gesellschaft auf und stellte die Person als seinen Neffen vor. Nach und nach wurde der Neffe von der ganzen Stadt geschätzt. Es gab keinen Ball, zu dem er nicht eingeladen wurde. Das seltsame Benehmen des Neffen tolerierte man aufgrund seiner sonstigen Vorzüge, die er als Tänzer, Schachspieler und Kegelspieler aufweisen konnte. Auch wunderte man sich nicht, dass man seine Sprache nicht verstand, denn es hieß, er sei Engländer.
Einmal sollte ein Konzert in dem Städtchen stattfinden und der fremde Herr bot an, dass sein Neffe mit der Tochter des Bürgermeisters ein Duett singen werde. Als der Neffe mit dem Duett an der Reihe war, sprang er plötzlich auf der Bühne wie wild herum und riss sich die Kleider vom Leib. Zum Schrecken aller erwies sich der Neffel als ein menschengroßer Orang-Utang.
"Das Fest der Unterirdischen"
Aslaug, die Tochter eines mächtigen Mannes, lebte in einer Stadt in Norwegen. Sie liebte den armen Orm, wohl wissend, dass ihr Vater diese Verbindung niemals akzeptieren würde. Da ihr Vater danach trachtete, sie zwangsweise zu vermählen, floh sie mit Orm in die Berge, und sie bewohnten dort eine Höhle.
Eines Tages bemerkten sie, dass die Diener ihres Vaters die Gegend durchstreiften, um sie zu suchen und die Diener sie wohl auch aus der Ferne gesehen hatten. Daher stiegen sie auf der anderen Seite des Berges ab und begaben sich auf ein Boot.
Drei Tage trieben sie, Wind und Wellen
ausgesetzt, auf dem Meer, als sie plötzlich eine Insel, welche
von einer Anzahl kleinerer Inseln umringt war, sahen und diese
ansteuerten.
Auf der Insel entdeckten sie ein eingerichtetes Haus, aber keine
Menschen waren zu sehen. So lebten sie dort und Aslaug gebar einen
Sohn. Kurz nach der Geburt öffnete sich die Tür und
eine alte Frau trat ein. Sie teilte den Eltern mit, dass sie aus dem
Geschlecht der alten Riesen stamme und dass das ihr Haus sei.
Sie überließ den Eltern gerne das Haus, bedung sich
aber aus, das Haus jedes Jahr am Juliabend, wenn die Sonne am tiefsten
steht, zu benutzen, um dort mit den anderen Riesen ein Fest zu feiern.
Während dieses Festes dürfe aber kein Sterblicher die
Stube betreten und müssten sich Aslaug, Orm und ihr Sohn
währenddessen auf dem Boden aufhalten und dürften
keinen Blick in die Stube werfen. Außerdem dürfe in
Gegenwart der Riesen keiner den Namen Christus nennen.
Als der Zeitpunkt des Festes erreicht war, gingen sie auf den Boden. Doch die Neugier Aslaugs war so stark, dass sie einen Blick in die Stube warf und instinktiv ihr Kind mit den Worten "Christ segne dich, mein Kind!" bekreuzigte ...
"Schneeweißchen und Rosenrot"
Eine arme Witwe hatte zwei Töchter: Schneeweißchen und Rosenrot. Sie liebten sich alle sehr und waren unzertrennlich. Eines Abends im Winter klopfte es an der Tür, und ein Bär trat ein. Der Bär war sehr gutmütig und wurde bald zum Spielkameraden der Kinder. Fortan kam er jeden Abend.
Als es Frühling wurde, verließ der Bär die Hütte und teilte den Kindern mit, er müsse nun, da der Boden bald auftauen werde, seine Schätze vor den Zwergen hüten und würde nun nicht mehr kommen.
Eines Tages trafen Schneeweißchen und Rosenrot im Wald einen Zwerg, der mit seinem Bart in der Spalte eines Baustammes eingeklemmt war. Sie befreiten ihn, indem sie den Bart abschnitten, doch anstatt ihnen zu danken, beschimpfte sie der Zwerg nur.
Noch zweimal halfen die Kinder dem Zwerg aus einer misslichen Lage, doch jedes Mal ernteten sie nur Beschimpfungen. Einmal sahen sie den Zwerg mit einem Sack voll Edelsteinen und gingen zu ihm hin. Plötzlich trabte ein Bär aus dem Wald und gab dem Zwerg einen Schlag mit der Tatze, so dass er sich nicht mehr rührte.
Voll Angst sprangen die Mädchen fort. Werden sie dem Bären zum Opfer fallen?
"Die Geschichte Almansors"
Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer ägyptischen Stadt. Eines Tages kamen Franken und verschleppten Almansor. Die Franken fuhren mit Almansor übers Meer, und plötzlich fand sich Almansor in einer Stadt in Frankistan wieder.
Dort wurde er von den Soldaten einem
Arzt übergeben, der ihn in sein Haus nahm und ihn in die
Bräuche und Sitten Frankistans unterwies. So lebte Almansor
einige Jahre in der Hauptstadt des Frankenlandes. Als er etwa 15 Jahre
alt war, hatte ein Vorfall großen Einfluss auf sein weiteres
Schicksal:
Die Franken wählten ihren ersten Feldherrn, denselben, mit dem
Almansor während seiner Gefangenschaft in Ägypten
öfter gesprochen hatte, und der Gefallen an Almansor gefunden
hatte.
Eines Tages ging Almansor über eine Brücke und traf dort jenen Feldherrn wieder, ohne zu wissen, dass dieser nun der erste Feldherr der Franken war. Der Mann war sehr erstaunt, Almansor zu sehen, denn er wusste nicht, dass dieser aus Ägypten nach Frankistan verschleppt worden war. Almansor bat ihn um Hilfe, um in seine Heimat zurückkehren zu können, was ihm auch nicht abgeschlagen wurde.
Vor vielen Jahren zogen ein junger Zirkelschmied und ein junger Goldarbeiter durch den Wald im Spessart. Es wurde bereits Nacht, und der Goldschmied Felix hatte große Angst vor Räubern; er hatte nämlich einen Schmuck für seine Patin, eine Gräfin, die er bisher noch nie gesehen hatte und zu der er jetzt auf dem Weg war, bei sich. Als es bereits Nacht war, kamen die beiden in ein mitten im Wald gelegenes Wirtshaus.
In der Stube saßen ein Fuhrmann, ein Student sowie ein Weib und ein Mädchen, die spannen. Felix und der Zirkelschmied kamen mit dem Fuhrmann und dem Studenten ins Gespräch und sie verabredeten, aus Angst, womöglich überfallen zu werden, Nachtwache zu halten. Damit sie nicht einzuschlafen drohten, wollten sie einander Geschichten erzählen.
Der Graf von Zollern war ein mürrischer Mann, während seine Frau war freundlich und mild war. Sie hatten miteinander einen Sohn, Kuno, den der Graf kaum sehen wollte. Als das Kind drei Jahre alt war, ritt sein Vater mit ihm aus. Plötzlich bäumte sich das Pferd, auf dem der kleine Graf saß, auf und dieser fiel herab.
Doch das Kind wurde von einem alten
Weib gerettet. Als Belohnung bat das Weib um einen Hirschgulden, doch
der mürrische Graf lehnte ab. Daraufhin drohte ihm das Weib,
sein Erbe werde einst keinen Hirschgulden mehr wert sein.
Nach kurzer Zeit starb die Frau des Grafen, und er heiratete noch
einmal. Seine zweite Frau gebar ihm männliche Zwillinge.
Während Kuno gerne zu dem
alten Weiblein ging, das ihn einst gerettet hatte und von ihr allerlei
nützliche Dinge lernte, wurden seine beiden Brüder
immer wilder und ließen keinen Händel aus.
Der alte Graf starb, als die Zwillinge achtzehn Jahre alt waren und
vermachte dem einen der Zwillinge die Burg Zollern, dem anderen die
Burg Schalksberg und Kuno Schloss Hirschberg.
Kuno versuchte, sich mit seinen Brüdern, die ihm, aber auch einander stets jede Habe neidig waren, auszusöhnen, doch ohne Erfolg. Die Zwillinge warteten nur darauf, dass Kuno sterben sollte, um sein Schloss zu erben.
Kuno starb schon im achtundzwanzigsten Lebensjahr. Als seine Brüder von seinem Tod hörten, freuten sie sich schon über ihr Erbe und ritten zum Schloss Hirschberg, um das Erbe in Empfang zu nehmen.
Doch dort wartete eine Überraschung auf sie ...
Der sechzehnjährige Peter Munk lebte im Schwarzwald und war Köhler. Sein Stand ärgerte ihn, denn er beneidete sowohl die Glasmänner, als auch die Uhrmacher und Flözer, die im Schwarzwald zahlreich vertreten waren.
Vor allem drei Männer bewunderte er: den "dicken Ezechiel", den "langen Schlurker" und den "Tanzbödenkönig". Diese waren sehr wohlhabend, doch waren sie wegen ihres Geizes im Volke verhasst.
Als Peter darüber nachdachte, wie er zu Geld kommen könnte, fiel ihm eine Erzählung seines Vaters ein. Angeblich würde jenen Menschen, die an einem Sonntag zwischen elf und zwei Uhr geboren seien, sich ein Geistchen, das Glasmännchen, zeigen, wenn man am Tannenbühl in der Mitte des Waldes den richtigen Vers spreche.
Da Peter an einem Sonntag zwischen elf und zwei Uhr geboren war und noch Teile des Verses kannte, machte er sich auf den Weg zum Tannenbühl. Doch dort konnte er nicht den richtigen Vers aufsagen und zog wieder ab. Als er sich ein zweites Mal in den Wald aufmachte, um sein Glück zu versuchen, begegnete ihm der Holländer-Michel, ein Riese der ebenfalls im Wald lebte und versuchte, Peter mit Geld zu locken. Doch Peter war vor dem schlechten Charakter des Holländer-Michel gewarnt worden und ging weiter zum Tannenbühl.
Dort sagte er den richtigen Vers auf - das Glasmännchen erschien und gab ihm drei Wünsche frei. Peter wünschte sich zuerst, besser tanzen zu können, als der "Tanzbodenkönig" und mehr Geld als der "dicke Ezechiel" zu besitzen. Als zweiten Wunsch wünschte er sich die schönste und reichste Glashütte im Schwarzwald. Den dritten Wunsch hielt er sich noch frei.
Da Peter sich nun dem Spiel und dem Tanz zuwandte, verfiel die Glashütte. Auch Peters Reichtum war bald aufgebraucht. Er hatte sich gewünscht, mehr Geld als der "dicke Ezechiel" zu besitzen, und als dieser kein Geld mehr hatte, schwand auch Peters Reichtum.
Erbost über das Glasmännchen wandte sich Peter nun dem Holländer-Michel zu. Dieser versprach ihm Geld im Überfluss, wenn ihm Peter dafür sein Herz gebe. Peters Herz sollte durch ein Herz aus Stein ersetzt werden, durch welches Peter in Hinkunft weder Freud noch Leid fühlen würde. Peter willigte ein ...
"Saids Schicksale"
Als Said achtzehn Jahre alt war, schickte ihn sein Vater nach Mekka zum Grabe des Propheten. Noch ehe er abreiste, gab ihm sein Vater ein silbernes Pfeifchen, das Saids tote Mutter zu seiner Geburt einst von einer Fee erhalten hatte. Said sollte das Pfeifchen zwar erst zu seinem zwanzigsten Jahr erhalten, doch sein Vater gab es ihm bereits zwei Jahre zuvor.
Auf dem Weg nach Mekka schloss sich Said einer Karawane an, die bald von Räubern überfallen wurde. Said blies auf dem Pfeifchen und erwartete sich dadurch Hilfe. Doch es passierte nichts, und voll Wut erschoss Said einen der Räuber. Die Räuber nahmen ihn gefangen und brachten ihn in ihr Quartier zu dem Vater des Erschossenen, dem alten Selim.
Da der Sohn Selims, Almansor, von Said im offenen Kampf erschossen worden war, ließ er Said nicht erschießen, sondern behielt ihn als Sklaven und behandelte ihn wie seinen eigenen Sohn. Doch Selim fürchtete, die anderen Räuber würden Said etwas antun, und so ließ er ihn von fünf Männern durch die Wüste in Freiheit geleiten.
Die Männer banden ihn jedoch aus Rache für Almansors Tod in den glühenden Sand der Wüste. Nach Stunden wurde Said von einem kleinen dicken Mann, einem Kaufmann namens Kalum-Bek, befreit. Der Kaufmann brachte ihn nach Bagdad und verweigerte ihm, ihn seine Heimatstadt zu bringen. Da er von Said nun die Reisekosten verlangte, Said aber mittellos war, musste Said in Kalum-Beks Gewölbe als Diener arbeiten.
Eines Tages kam ein altes Weib in Kalum-Beks Gewölbe und Said musste ihr helfen, die gekauften Waren nach Hause zu tragen. Dort stellte sich das Weib als die Fee vor, die einst seiner Mutter das Pfeifchen gegeben hatte. Leider konnte ihm die Fee außerhalb seines Vaterhauses nicht helfen, sie konnte ihm nur seinen Wunsch erfüllen, wieder an Kämpfen teilnehmen zu dürfen. Allerdings konnte er nur anonym und verkleidet kämpfen, da das Kämpfen nur freien Männern gestattet war. Said erwies sich dabei als tapferer Kämpfer.
Eines Abends belauschte Said zwei Männer, die planten, den Kalifen Harun Al-Raschid gefangen zu nehmen und Lösegeld für ihn zu verlangen. Said verhinderte die Entführung und erhielt vom Kalifen einen Ring mit der Bitte, am folgenden Tag im Palast vorzusprechen. Außerdem erhielt er vom Großwesir, der den Kalifen begleitete, einen Beutel voll Geld.
Als Kalum-Bek von dem Geld erfuhr, ging er zum Aufseher der Polizei, behauptete, Said hätte ihm das Geld gestohlen und ließ Said verhaften. Said wurde verurteilt und sollte verbannt werden. Nun sah es so aus, als würde Said seine Freiheit niemals wieder erlangen ...
Auf einer Felseninsel Schottlands lebten zwei Fischer in glücklicher Eintracht. Doch einer der beiden, Kaspar Strumpf, trachtete danach sehr reich zu werden und überlegte hin und her, wie er dies anstellen könnte.
Eines Tages stand er am Ufer, als eine Kugel von Gold zu seinen Füßen rollte. Nun glaubte Kaspar, es sei an der Küste einst ein reich beladenes Schiff gescheitert und suchte nach diesem Schiff. Eines Tages auf dem Meer begegnete er einem Boot, in dem ein verschrumpeltes kleines Männchen saß.
Das Männchen sagte ihm, dass hier einst das Schiff Carmilhan gesunken war und dass sich Kaspar vor Mitternacht in die wildeste und einsamste Gegend der Insel begeben müsse. Dort müsse er eine Kuh schlachten und sich in die frische Haut der Kuh wickeln lassen. Dann müsse er alleine gelassen werden, und ehe es ein Uhr schlüge würde er wissen, wo die Schätze der Carmilhan liegen.
Kaspar Strumpf befolgte mit Hilfe seines Freundes Wilm alle Weisungen, und nachdem Wilm Kaspar in die Haut der Kuh gewickelt hatte, ließ er ihn allein ...
Die Märchen Wilhelm Hauffs faszinieren durch ihre Wortgewalt und ihre absolut dynamische Handlung. Sie sind zwar nicht so bekannt wie "Grimms Märchen", stehen diesen aber punkto Qualität in nichts nach. In vielen Märchen hat Hauff Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut und die Gier nach Geld aufgearbeitet und fantasievoll behandelt.
In einigen Märchen (z. B. "Der gebackene Kopf") zeigt sich auch, wie Hauff es verstand, eine an sich grausame Handlung schelmisch und ohne Brutalität vorzutragen. "Die Karawane" ist jedenfalls ein absolut empfehlenswertes Buch für jung und alt und hat seit ihrer Entstehung nichts an ihrer Originalität verloren.
Der Ordnung halber sei noch erwähnt, dass einige der Märchen, die Wilhelm Hauff in seine Märchen-Almanache aufgenommen hat, nicht von ihm geschrieben, sondern von ihm nur übernommen wurden. Auf diesen Umstand wird im Buch natürlich hingewiesen.
Wilhelm Hauff wurde 29. November 1802 in Stuttgart geboren. Er studierte Theologie und Philosophie in Tübingen, arbeitete als Hauslehrer und Redakteur. Er schrieb Märchen, Gedichte, Erzählungen und Romane. Mit seinen drei Märchen-Almanachen gelang ihm der Durchbruch. Mitten in seiner größten Schaffensperiode, am 18. November 1827, starb Wilhelm Hauff, noch nicht ganz 25-jährig.
(Wolfgang Varga; 02/2003)
Wilhelm
Hauff: "Die Karawane"
Märchen.
Aufbau-Taschenbuch, 2002. 517 Seiten.
ISBN 3-7466-1358-2.
ca. EUR 10,-.
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