Alexander McCall Smith: "In Edinburgh ist Mord verboten"

Miss Isabel und der Club der Sonntagsphilosophen


So hatte sich Miss Isabel ihren Opernbesuch nicht vorgestellt: Vor ihren Augen stürzt ein junger Mann aus den oberen Rängen in den Tod ...

Isabel Dalhousie sah den jungen Mann vom zweiten Rang herabfallen, vom Olymp. Es kam so plötzlich, es ging so schnell, keine Sekunde dauerte sein Flug, kopfüber, das Haar zerzaust, Hemd und Jacke bis zur Brust hochgerutscht, sodass die Taille entblößt war. Dann, das Geländer des ersten Rangs streifend, verschwand er im Parkett darunter.
Seltsam, aber im ersten Moment kam ihr Audens Gedicht über den Sturz des Ikarus in den Sinn. Solche Ereignisse, sagt Auden, geschehen immer vor Publikum, vor Menschen, die gerade ganz alltägliche Dinge tun. Sie gucken nicht nach oben und sehen den Jungen vom Himmel fallen. Ich unterhielt mich gerade mit einer Freundin, dachte sie. Ich unterhielt mich gerade mit einer Freundin, und da fiel der Junge vom Himmel.
Auch wenn es nicht passiert wäre, hätte sie sich an den Abend erinnert. Sie war unschlüssig gewesen, was das Konzert betraf - eine Darbietung der Reykjaviker Symphoniker, von denen sie noch nie gehört hatte -, und wäre nicht hingegangen, wenn nicht eine Nachbarin ihr eine Eintrittskarte aufgedrängt hätte. Verfügt Reykjavik wirklich über ein professionelles Symphonieorchester, hatte sie sich gefragt, oder waren die Musiker Laien? Ganz gleich - da sie es nun mal bis nach Edinburgh geschafft hatten, um ein Frühjahrskonzert zu geben, hatten sie natürlich auch ein Publikum verdient; den weiten Weg von Island bis hierher kommen und dann vor leerem Haus auftreten, das durfte man nicht zulassen.
(Aus dem Roman)

Bei "In Edinburgh ist Mord verboten" handelt es sich um den Beginn einer neuen Kriminalreihe um eine weibliche Detektivin vom Autor der berühmt-berüchtigten Mma Ramotswe-Romane. Diese in Edinburgh angesiedelten Geschichten haben Isabel Dalhousie zur Heldin, die Herausgeberin eines Rezensionsmagazins für angewandte Ethik ist und regelmäßig in irgendwelche Kriminalfälle hineingezogen wird. So die Prämisse dieser neuen Serie.

Als Isabel eine Aufführung der Rekjaviker Symphoniker besucht, ist sie zunächst nur mäßig interessiert. In der Pause allerdings fällt aus der oberen Galerie plötzlich ein junger Mann knapp an ihrer Loge vorbei und stürzt in den Tod. Nur für einen Moment hat Isabel das Gesicht des Unbekannten gesehen, doch nichtsdestotrotz fühlt sie sich als "anwendende Ethikerin" verpflichtet, sich weiter mit dieser Sache zu beschäftigen.

Aber dies ist nicht das einzige Problem, mit dem sich Isabel in diesem Roman auseinander zu setzen hat. Da ist zum Einen natürlich ihre Arbeit, bei der sie sich ständig mit anderen ethisch-moralischen Problemen befassen muss. In diesem Zusammenhang wird der Leser an einige mehr oder weniger interessante Themen herangeführt, die Isabel zu immer neuen Überlegungen anregen und eventuell Themen zum Treffen des titelgebenden Clubs der Sonntagsphilosophen sind, der aber in dieser Geschichte eher ein Gedanke im Hintergrund bleibt.

Schwierige moralische Probleme bespricht Isabel Dalhousie dafür häufiger mit ihrer Haushaltshilfe Grace, die nie lange überlegt, um zu einer Lösung zu kommen, und so einen gewissen Pragmatismus in Isabels Leben bringt.

Ein weiterer wichtiger Faktor in Isabels Alltag ist Cat, ihre Nichte, die ein Delikatessengeschäft betreibt und sich nach Meinung ihrer Tante mit dem falschen Mann trifft, nachdem sie den richtigen Mann zum Teufel geschickt hat. Isabel würde diese Situation gerne wieder in Ordnung bringen, was zu einigen wahrlich peinlichen Momenten führt. Aber dies hält sie trotzdem nicht wirklich davon ab, sich auch hier einzumischen.

Im Zusammenhang mit dem zu Tode gestürzten jungen Mann im Theater beginnt Isabels Einmischung eher zufällig, weil sich für einige Leute die Frage stellt, wie es der junge Mann ohne Hilfe kopfüber über die Brüstung seiner Loge geschafft hat. Bei der Betrachtung dieser Frage wird Isabel in die Intrigen der Edinburgher Finanzwelt eingeführt und kann sich mit den moralischen Fragen des Insider-Handels auseinandersetzen.

Wie bei den Geschichten um Mma Ramotswe kommt es auch in diesem Roman weniger auf den Kriminalfall an - der regelrecht übergestülpt wird - als auf den Vergleich der Verhaltensformen verschiedener Menschen. Was jedoch bei der Autodidaktin Precious Ramotswe in seiner gelegentlichen Einfachheit nachvollziehbar und sympathisch wirkt, ist bei einer in Cambridge ausgebildeten Akademikerin, die ständig mit akademischen Fragen und Texten zu tun hat, nicht allzu glaubwürdig, so dass viele der Dilemmata, die im Roman aufgebracht werden, unnötig naiv und aufgesetzt wirken.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2006)


Alexander McCall Smith: "In Edinburgh ist Mord verboten"
(Originaltitel "The Sunday Philosophers' Club")
Aus dem Englischen von Thomas Stegers.
Heyne, 2005. 288 Seiten.
ISBN 3-453-40197-2.
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