Domingo Villar: "Strand der Ertrunkenen"


Rätselhafter Mord an der galicischen Küste

Ein Ertrunkener ist an einem Strand in der Nähe des Fischerdorfes Panxón gefunden worden. Inspektor Leo Caldas aus Vigo nimmt die Ermittlungen auf und findet rasch das Offensichtliche heraus: Das Opfer hieß Justo Castelo, war Fischer und eine stille, wohl auch depressive Persönlichkeit; offensichtlich handelt es sich um Selbstmord, denn der Fischer hatte nach Seemannsart seine Hände gefesselt, nachdem er zu einem unüblichen Zeitpunkt auf See gefahren war.

Doch dann ergeben sich Unstimmigkeiten. So kann sich Castelo nicht selbst in der gegebenen Weise gefesselt haben, und er hatte allem Anschein nach einige Zeit vor seinem Tod große Angst.

Zudem wird Leo Caldas mit dem Geist eines Kapitäns konfrontiert, der in einer stürmischen Nacht beim Versuch, sein Schiff zu retten, ertrank. Dessen drei Matrosen, darunter Justo Castelo, gelang es, schwimmend das Land zu erreichen. Als Caldas die beiden Überlebenden vernimmt, stößt er auf eine Mauer des Schweigens. Doch immer mehr Indizien weisen darauf hin, dass der über zehn Jahre zurückliegende Schiffbruch den Schlüssel zu dem Mord an Justo Castelo birgt.

"Strand der Ertrunkenen" ist Domingo Villars zweiter Kriminalroman mit dem Protagonisten Leo Caldas. In Spanien wurde der Autor damit weit über die Grenzen seiner Heimatprovinz Galicien hinaus bekannt, in der er Caldas' rätselhaften Fall angesiedelt hat. Galiciens Küste, verregnet, schroff und doch auf eine wilde Art wunderschön, bietet eine wunderbar gezeichnete Kulisse zu diesem Roman. Denn das Klima hat nicht nur Einfluss auf die Planung des Mörders, sondern die Charaktere, insbesondere die Dorfbewohner, scheinen von der Landschaft geprägt, sind selbst äußerlich rau und verschwiegen. Damit kämpft nicht nur Caldas' aragonesischer Assistent Estévez; Caldas selbst, der außerdem noch, wie es sich für einen literarischen Ermittler gehört, unter einer zerbrochenen Beziehung leidet, tut sich schwer mit seinen zurückhaltenden Landsleuten.

Villars Kriminalroman entspricht den Regeln der Kunst. Er ist klar und logisch aufgebaut, mit einer ganzen Reihe falscher Fährten, auch wenn sich der Täter, wie der Leser schließlich erkennt, von Anfang an auf dem Präsentierteller befand. Spannend wirkt vor allem der Umstand, dass ein scheinbar längst ad acta gelegter Fall essentiell ist für die Aufklärung des aktuellen Mordes. Seinen besonderen Reiz aber bezieht der Roman aus seiner psychologischen und atmosphärischen Dichte - es tun sich wahre Abgründe auf, sobald die einzelnen Charaktere genauer beleuchtet werden, und doch trügt wie immer der Schein allzu leicht. Hinzu kommt, wie erwähnt, die galicische Küste mit ihren stillen, abgelegenen Buchten, gefährlichen Felsen und verschwiegenen Dörfern, von einem regenschweren, verhangenen Himmel überwölbt. Der Autor versteht es, diese Szenerie perfekt einzusetzen.

Unmittelbare Brutalität und atemlose Handlungshöhepunkte gehören nicht zu den Instrumenten von Domingo Villar. Die Spannung bezieht dieser Roman aus der eigentlichen Ermittlungsarbeit und den verstörenden Details, die dabei nach und nach zutage treten. Nicht zuletzt lebt die Geschichte von dem stark ausgeprägten Dualismus der Charaktere Caldas und Estévez.

Ein großartiger Kriminalroman - es wäre höchst erfreulich, wenn die Reihe auch in deutscher Übersetzung weitergeführt würde!

(Regina Károlyi; 03/2010)


Domingo Villar: "Strand der Ertrunkenen"
(Originaltitel "La playa de los ahogados")
Aus dem Spanischen von Carsten Regling.
Unionsverlag, 2010. 477 Seiten.
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Domingo Villar, 1971 in Vigo geboren, lebt als galicischer Emigrant in Madrid, wo er sich als Journalist und Drehbuchautor einen Namen gemacht hat. Daneben betätigt er sich als Gastronomiekritiker für "Radio Nacional de España". Sein Krimidebüt "Wasserblaue Augen" wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und avancierte zum meistverkauften Roman in Galicien:

Ein weiteres Buch des Autors:

"Wasserblaue Augen"

In Vigo, der galicischen Hafenstadt, kennt jeder Inspektor Leo Caldas, den Vorzeigepolizisten der beliebten Radiosendung "Hörfunkstreife", wo man Kummer loswerden und Rat einholen kann. Dabei ist auch sein eigenes Leben ziemlich aus der Bahn geraten, und guter Rat wäre dringend nötig, gerade jetzt, wo die bestialische Ermordung des Saxofonisten mit den wasserblauen Augen zu klären ist.
Die Ermittlungen führen Caldas und seinen streitlustigen Assistenten Rafael Estévez durch Tavernen, Szenebars und Schwulenclubs. In welcher Beziehung standen der junge Musiker und Dimas Zuriaga, der wichtigste Kunstmäzen der Stadt? Das ungleiche Ermittlerduo geht der Frage nach - und findet sich bald in einem ganzen Labyrinth von Fragen.
"Begegnet man einem Galicier auf der Treppe, weiß man nie, ob er hinauf- oder hinuntergeht." Die sprichwörtliche Unentschiedenheit der Bewohner der Nordwestecke Spaniens hat bei Inspektor Leo Caldas durchaus Methode: Wenn er bei seinen Ermittlungen nicht weiterkommt, überlässt er sich ziellosen Tagträumen. Um zuletzt zu Einsichten zu gelangen, die sogar ihn selbst verblüffen. (Unionsverlag)
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