Reinhard Habeck: "Kräfte, die es nicht geben dürfte"

Irreale Phänomene und Erscheinungen aus aller Welt


Irreale Realitäten

"Die Dinge sind nicht alle so faßbar und sagbar, als man uns meistens glauben machen möchte; die meisten Ereignisse sind unsagbar, vollziehen sich in einem Raume, den nie ein Wort betreten hat, und unsagbarer als alles sind die Kunst-Werke, geheimnisvolle Existenzen, deren Leben neben dem unseren, das vergeht, dauert." Mit solchen Sätzen leitet Rainer Maria Rilke seine "Briefe an einen jungen Dichter" ein. Was für die Kunst allgemein gilt, wirkt auch in unser gesamtes Leben hinein, das Unsagbare, das Geheimnisvolle reizt und verunsichert uns. Man muss auch nicht immer an die Sentenz von Shakespeares Hamlet über die nicht zu erträumenden "Dinge auf Erden" erinnern, um sich einzugestehen, dass unser menschliches Vermögen wahrzunehmen und zu verstehen begrenzt ist.

"Irreale Phänomene und Erscheinungen aus aller Welt" (Untertitel) präsentiert uns hier der Autor, von dem es bereits die Bücher mit den ähnlich klingenden Titeln "Bilder, die es nicht geben dürfte" und "Dinge, die es nicht geben dürfte" gibt - egal, ob es sie geben müsste oder dürfte oder nicht. Der Autor (Jahrgang 1962) veröffentlichte bereits 17 Bücher über grenzwissenschaftliche Phänomene, er berichtet hier von Menschen mit Röntgenblick, unheimlichen Vorausahnungen, bizarren Spukbildern, Schwerkraftphänomenen an seltsamen Orten, Rissen im Raum-Zeit-Gefüge, Besuchern aus der Zukunft, Stigmatarätseln und Marienwundern, leuchtenden Schamanensteinen, Hochtechnikmagie versunkener Kulturen, archäologischer Forschung mittels Pendel und Fernwahrnehmung oder auch Kraftzentren aus grauer Vorzeit. Habecks Buchtitel spielen natürlich mit der Gedichtzeile von Christian Morgenstern, "daß nicht sein kann, was nicht sein darf." Was allerdings in Morgensterns satirischen Versen als offensichtlicher Widersinn erscheint (der bornierte Bürger Palmström weigert sich anzuerkennen, dass er überfahren wurde, weil an dieser Stelle kein Auto fahren durfte), erweist sich im wirklichen Leben als sophistischer Bumerang, wenn sich die Wissenschaft sträubt, Vorkommnisse als real zu akzeptieren, nur weil sie sich nicht beliebig oft unter künstlichen Versuchsbedingungen wiederholen lassen. Dann wäre wohl das Meiste in unserem Leben irreal, denn was lässt sich schon detailgetreu wiederholen - abgesehen davon, dass dies ja auch irre langweilig wäre.

Habeck stellt grundsätzlich klar: "Die Wahrnehmung kann uns manchmal einen Streich spielen. Und natürlich ist es kein Geheimnis, dass Fehldeutungen und Irrtümer passieren können. Niemand bestreitet, dass es auch betrügerische Absichten im Umfeld des Paranormalen gegeben hat. Daraus das Pauschalurteil zu fällen, alles Unerklärliche sei nichts weiter als Hokuspokus und Einbildung, ist jedoch umgekehrt auch kein gültiger Gegenbeweis." Es ist bei uns Menschen ohnehin so eine Manie, dass wir "Beweise" fordern überall da, wo wir fürchten, die Kontrolle zu verlieren. Aber in aller Bescheidenheit andersherum gefragt: Worüber haben wir denn überhaupt und tatsächlich die Kontrolle?! Jeden Moment kann irgendwo irgendetwas passieren, was wir weder vorausberechnen noch verhindern konnten. Wir Menschen sind in diesem Leben leider eher nur Reagierende, ziemlich ohnmächtig und überwiegend ignorant. Je mehr Details wir in unserer Lebensumwelt katalogisieren, umso weniger verstehen wir offensichtlich die Gesamtzusammenhänge. Dabei könnte das Pfeifen im dunklen Wald doch auch romantisch sein. Die Entdeckung neuer "Wunderdinge" wird unser vertrautes Weltbild ohnehin ins Schleudern bringen. Abgesehen davon, dass sich viele Wissenschaftler fragen, wie wirklich denn unsere Wirklichkeit eigentlich sei?! Wir müssen damit rechnen, dass sich hinter der materiellen Welt noch viel Fremdartiges und Rätselhaftes verbirgt, was unser physikalisches Weltbild entweder aushebelt - oder eben erweitern hilft. Habeck verweigert ausdrücklich endgültige Antworten, ebenso lässt er sich nicht auf esoterische Erklärungsmodelle ein. Ihn interessieren "merkwürdige" Vorfälle, denen er mit Hilfe von Augenzeugen nachgeht - wobei er eigentlich nichts "beweisen" will, sondern eher die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass es für uns Menschen immer wieder noch genügend Überraschendes auf dieser Erde gibt.

Am häufigsten beschäftigen uns Spuk oder sogenannte RSPK-Phänomene (Recurrent Spontaneous Psychokinetics). Seit der Erfindung der Kamera tauchen immer wieder Bilder oder Filme auf, die Lichtanomalien oder durchsichtige Gestalten zeigen. Heute kann man solche Phänomene auf der Internet-Plattform "YouTube" bewundern, man spricht dabei von ITK, Instrumenteller Transkommunikation. Man vermutet, dass es sich dabei um "telepathische Übernahmen von Informationen aus dem Jenseits unserer Raumzeit" handelt. Es erhebt sich also die Frage, ob und wie moderne Elektronik Brücken zu anderen Bewusstseinsebenen herstellen kann, so dass sich z.B. auch längst Verstorbene (Verwandte, Prominente oder Unbekannte) aus dem "Jenseits", einer anderen Frequenz, einer Parallelwelt, einer anderen Dimension melden?! Die Bandbreite solcher Phänomene reicht vom sogenannten "Channeling" (der us-amerikanische Erfolgsautor Richard Bach behauptet z.B., sein Kultbuch "Die Möwe Jonathan" sei ihm von einem himmlischen Wesen druckreif diktiert worden) bis zur Gedankenfotografie (der US-Amerikaner konnte angeblich Gedankenbilder auf Film projizieren, was ihm in angetrunkenem Zustand besonders gut gelungen sein soll).

Um ein völlig anderes Phänomen handelt es sich bei den Großbauten vergangener Zeiten, etwa die Pyramiden der Inkas oder in Ägypten. Wie konnten so riesige Steine über weite Strecken transportiert und passgenau aufeinander geschichtet werden. Neuere Theorien besagen, dass die Brocken aus einer Art Beton gegossen und beschnitten wurden. Die gewichtigen Probleme beim Bau monströser Artefakte gemahnen uns ja auch heftig an die Existenz der Schwerkraft. Gibt es vielleicht Gravitationsanomalien, und wie sind Phänomene der Levitation zu verstehen? Kann es sein, dass Wasser nach oben fließt oder dass sich Gegenstände von alleine in Bewegung setzen? Besonders heikel werden unerklärliche Phänomene, wenn es sich um Rettung durch übernatürliches Eingreifen handelt, weil die betroffenen Personen besonders religiös waren. Gibt es schützende Retter von "drüben"? Gibt es Botschafter aus dem Jenseits, die uns geheimnisvolle Ornamente in der Landschaft (etwa die Kornkreise bzw. sogenannte Geoglyfen oder Strahlenpiktogramme oder riesige Schriftfragmente) hinterlassen? Sie müssten aber doch mittlerweile wissen, dass wir Menschen zu dumm oder zu arrogant sind, um die Symbolik zu entschlüsseln. Es könnte ja auch sein, dass uns von irgendwoher und äonenhoch überlegene Intelligenzen banale Botschaften schicken und sich über unsere Tollpatschigkeit schieflachen.

Das alles und noch viel mehr diskutiert Habeck sozusagen mit uns durch und lässt uns teilhaben am Wundern und Staunen. Wenn uns das vorliegende Buch eines lehren sollte, so wäre das Bescheidenheit und vermehrte Neugier. Vielleicht sollten wir auch weniger wie Wissenschaftler und mehr wie Kinder an unerklärliche Phänomene herangehen. Oder wie es so schön in der Politik heißt: ergebnisoffen. Aldous Huxley jedenfalls gibt uns einen beherzigenswerten Ratschlag mit auf den Weg: "Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert." Habeck drückt das etwas humoriger aus: "Manche Geschichten sind so verrückt, dass sie wahr sein müssen." Lassen wir uns auf Abenteuer ein, denn wenn wir schon alles wüssten und erklären könnten, wäre das Leben sowieso langweilig.

(KS; 07/2010)


Reinhard Habeck: "Kräfte, die es nicht geben dürfte.
Irreale Phänomene und Erscheinungen aus aller Welt"

Ueberreuter, 2010. 222 Seiten.
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