Mark Haddon: "Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boon"
Ein toter Pudel in der Nacht
"Es war 7 Minuten
nach Mitternacht. Der Hund lag mitten auf dem Rasen vor Mrs. Shears' Haus, und
seine Augen waren geschlossen. Obwohl er auf der Seite lag, sah es aus, als
würde er rennen, so wie Hunde rennen, wenn sie im Traum einer Katze nachjagen.
Aber dieser Hund rannte weder noch war er am Schlafen. Er war tot. Eine Mistgabel
ragte aus dem Fell hervor. Die Zinken mussten sich ganz durch den Hund bis in
den Boden gebohrt haben, denn die Gabel stand senkrecht. Ich dachte mir, dass
man den Hund wahrscheinlich mit der Mistgabel getötet hatte, denn andere Wunden
waren an seinem Körper nicht zu sehen; und ich glaube, niemand würde eine Mistgabel
in einen Hund rammen, wenn dieser schon an etwas anderem gestorben ist, zum
Beispiel an Krebs oder durch einen Verkehrsunfall. Aber so richtig sicher war
ich mir natürlich nicht.
Ich trat durch das Gartentor von Mrs. Shears und machte es hinter mir zu. Dann
ging ich über den Rasen und kniete mich neben den Hund. Ich legte die Hand auf
seine Schnauze. Sie war noch warm.
Der Hund hieß Wellington. Er gehörte Mrs. Shears, einer Freundin von uns."
Eigentlich mag Christopher
keine Romane. Nur Krimis
und besonders Sherlock Holmes. Und als er den toten Pudel der Nachbarin findet,
beschließt er, den Mörder zu finden.
Das ist nicht einfach.
Denn Christopher ist fünfzehn und autistisch, leidet an Asperger's Syndrom.
Menschen sind ihm unheimlich, er liebt Zahlen, Hunde, die Farbe rot und hasst
Gelb und Braun.
Dass Menschen ihm unheimlich
sind, hat seinen Grund. Er versteht sie nicht. Sie machen Witze, Anspielungen,
reden metaphorisch und ihr Gesichtsausdruck ist ihm ein Rätsel. Er findet sie
bedrohlich. Christopher versteht nur, was er in Zahlen eindeutig ausdrücken
kann. Er muss alles genau wissen. Dafür hat er ein perfektes Gedächtnis. Nur
wenn zuviel auf ihn einstürmt, dann setzt sein Kopf aus wie ein Computer, der
überlastet wird. Dann legt er sich auf den Boden und schreit.
Keine idealen Voraussetzungen
für einen Detektiv. Und trotzdem ist Christopher erfolgreich, findet heraus,
was niemand wissen sollte, und entdeckt nebenbei die Welt der "Normalen". Verstehen
kann er sie noch immer nicht so recht, aber wenigstens hat er am Schluss gelernt,
sich in ihr zurecht zu finden. Sogar in der Ubahn kann er fahren. Nicht schlecht
für jemand, der bisher nie weiter als bis zum Ende seiner Straße gegangen
ist.
Ein Buch über die Welt
eines Autisten, eines Menschen, dem Gefühle fehlen oder der sie nicht versteht,
nicht interpretieren kann. Ein Buch über eine ganz und gar fremde Welt und doch
ein Lehrbuch darüber, das uns nahebringt, wieviel von dem, was wir für selbstverständlich
halten, von außen geheimnisvoller als der
Mond erscheint.
Und ein Held, der
so ganz anders ist, als übliche Romanhelden und doch dem Leser ans Herz wächst.
Unbedingt lesen.
(Hans Peter Roentgen; 05/2005)
Über den Autor: Mark Haddon wurde 1962 in Northhampton geboren und studierte Englisch in Oxford. Anschließend arbeitete er sechs Jahre mit geistig oder körperlich behinderten Menschen zusammen. Er schrieb bisher 15 Kinderbücher; für seine Drehbücher wurde er zweimal mit dem renommierten BAFTA-Preis ausgezeichnet. "Supergute Tage oder Die Sonderbare Welt des Christopher Boone" ist sein erster Roman. Er lebt mit seiner Frau in Oxford.
Mark Haddon: "Supergute
Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boon"
(Originaltitel "The Curious Incident of the dog in the nighttime")
Übersetzt von Sabine Hübner.
Blessing, 2004. 288 Seiten.
ISBN 3896672282.
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