Kazumi Yumoto: "Eine Schublade voller Briefe"
Die Geschichte der kleinen Chiaki aus Japan, deren Vater angeblich bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist
Chiakis Mutter wirft dieser Vorfall
enorm aus der Bahn, doch gemeinsam mit ihrer 6-jährigen Tochter Chiaki startet
sie einen Neuanfang im "Pappelhaus" (ein Mietshaus, in dessen Hof eine riesige
Pappel wächst).
Zunächst findet Chiaki Frau Yanagi, die betagte
Vermieterin des Hauses, unheimlich. Doch als die Kleine plötzlich sehr krank
wird und deshalb das Bett hüten soll, muss sie, da ihre Mutter tagsüber
arbeitet, bei der sonderbaren alten Dame bleiben. In dieser Zeit lernen die
beiden einander besser kennen und entwickeln eine besondere Freundschaft,
weshalb Chiaki von nun an ihre gesamte Freizeit mit der alten Frau Yanagi
verbringt.
Eines Tages vertraut diese dem Mädchen ein strenges Geheimnis
an. Die Alte offenbart ihr, eine Art "Postbotin für die nächste Welt" zu sein.
Sie nehme Briefe an Verstorbene entgegen, sammle sie in einer Schublade und
überbringe diese nach ihrem eigenen Tod an die jeweiligen Adressaten. Zunächst
hält Chiaki das für Unsinn, aber als die betagte Dame sie auffordert die
Schublade zwecks Überprüfung zu öffnen und dadurch selbst zur Überbringerin zu
werden, traut sie sich nicht.
Später beschließt die Kleine doch einen
Brief an ihren toten Vater zu schreiben und ihn Frau Yanagi auszuhändigen. Aus
diesem Brief werden im Laufe der Zeit immer mehr. Chiaki schreibt sich so all
ihre Sorgen von der Seele und sortiert die Gefühle und Gedanken hinsichtlich
ihres Vaters neu.
Nach einiger Zeit bringt sie ihre Mutter dazu, auch
einen Brief an den Vater zu schreiben. Sie werde dann schon dafür sorgen, dass
er ihn sicher bekomme.
Jahre später, auf der Begräbnisfeier der alten
Dame, erkennt die inzwischen erwachsene, mit dem Leben abrechnende Chiaki, dass
sie das Geheimnis der Vermieterin aus Kindertagen zu Unrecht als
Aufmunterungsversuch abtat und erfährt schließlich durch den Brief der Mutter an
ihren Vater die wahren Hintergründe zum Tod ihres Vaters.
"Eine Schublade voller Briefe" ist ein sehr untypisches Jugendbuch. Vordergründig
beschäftigt es sich mit der kindlichen Bewältigung von Trauer, dem Umgang mit
dem Verlust eines geliebten Menschen. Die
Aufarbeitung dieser Thematik halte ich für besonders wichtig, doch sollte man
dabei die Zielgruppe im Auge behalten. Das Alter der Hauptfigur ist sehr unglücklich
gewählt. Gerade im beginnenden Teenageralter, wo sich die Abgrenzung zu "Kleinkindern"
und "Erwachsenen" als die wichtigste Aufgabe gestaltet, ist die kindlich naiv
erzählte Lebensgeschichte einer selbstmordgefährdeten 24-Jährigen aus der Sicht
einer 6-Jährigen äußerst unpassend und kann somit keinen Anspruch auf ernst
genommene Jugendliteratur erheben. Viel eher wirkt das in der Ich-Perspektive
geschriebene Buch wie die Seelenreinigung einer erwachsenen Frau verpackt in
einfache "kindgerechte" Worte.
Weiters ist die Handlung vom starken Einfluss der japanischen Kultur
geprägt, die durch ihre Andersartigkeit oft Unverständnis während des Lesens
hervorruft. Dafür sind unter anderem fehlende und für Laien unzureichende
Erklärungen verantwortlich. Die Teils hochphilosophischen Ansätze tragen ein
Übriges dazu bei.
Insgesamt ist das Werk keine leichte Kost für
"angehende" Jugendliche sondern eher im Interessensbereich des jugendlichen
Erwachsenen anzusiedeln.
(NiNanu; 07/2004)
Kazumi Yumoto: "Eine Schublade voller
Briefe"
Sauerländer, 2003. 176 Seiten. (Ab 13 J.)
ISBN
3-7941-8014-3.
ca. EUR 14,30. Buch bei buch24.de
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Kazumi Yumoto, geboren 1959, studierte
Komposition an der Universität Tokio, schrieb Texte für die Oper und verfasste
Hörspiele und Drehbücher für das Fernsehen. Ihr erster Kinderroman
"Gespensterschatten" wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. stand er auf der
Auswahlliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis.
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