Raymond Khoury: "Scriptum"
Templer-Versatzstück
zwischen Plagiat und Sakrileg
Dieses "Scriptum", sprich Buch, fordert in der Tat ritterliche Bravour,
die erst auf der allerletzten Seite notdürftig belohnt wird.
Dort, Baphomet sei dank, findet sich die einzige weitgehend nicht von
Anfang an vorhersehbare Handlungsentwicklung in diesem sonst
zusammengestohlenen Templer-Stück. Im Dazwischen ist
mnemonische Wendigkeit gefragt, denn die Frage nach dem "Wo hab ich das
schon einmal in ganz ähnlicher Form gelesen?" taucht
öfter auf, als man Seiten umblättert. Wird bei
Umberto Eco ("Das Foucaultsche Pendel") ein wenig gestibitzt, kommt Dan
Brown ("Sakrileg")
bei Raymond Khoury regelrecht unter die Räuber.
Derer tauchen in Kapitel eins gleich vier auf. Kettenhemden,
Vollvisierhelme, Templerwaffenröcke, gezückte
Schwerter und zu Pferde, so nähern sie sich durch den New
Yorker Central Park dem Metropolitan Museum of Art, wo gerade eine
Ausstellung über den geheimnisumflorten Ritterorden
eröffnet wird. Was wie eine spektakulär in Szene
gesetzte Werbeeinlage wirkt, erweist sich als todbringender Angriff.
Wie die vier apokalyptischen Reiter fallen die Maskierten im Museum
ein; ein Besucher wird geköpft, gestohlen wird nichts,
außer "Ausstellungsstück 129", einem
Rotorchiffrierer.
Der geneigte Leser mag schon jetzt eine
Déjà-vu-Reihe abschreiten. Vier unheilbringende
Reiter kennt man aus der Offenbarung des Johannes. Der Rest ist
"Sakrileg": Browns Louvre macht Khourys Metropolitan Museum Platz, das
entwendete Chiffriergerät ("Auf der Oberseite befanden sich
zahlreiche Tasten, während auf den Seiten miteinander
verzahnte Rädchen und Hebel herausstanden."; Seite 26) gemahnt
frappant an Leonardos Kryptex.
Wie es das Plagiat so will, ist eine junge, hübsche Frau
Zeugin des Überfalls. Ihr Name: Tess Chaykin. Ihr Beruf:
Archäologin. Der mit den Ermittlungen beauftragte Spezialagent
des FBI, Sean Reilly, verliebt sich natürlich nach wenigen
Seiten in die alleinstehende Mutter. Und gemeinsam geht’s auf
Verbrecherjagd respektive Wahrheitsfindung. Denn der tiefsinnigste der
vier Reiter ließ, ehe er wieder davonspornte, ein
für Tess gut Hörbares "Veritas vos liberabit" ("Die
Wahrheit wird euch befreien") los. Eine, wenngleich nicht befreiende,
sondern eher beklemmende Roman-Wahrheit zeigt sich darin, dass Raymond
Khoury Dan Browns Charaktere nur mit anderen Namen versehen und
anschließend ihre Berufe vertauscht hat. In "Sakrileg"
fällt nämlich Sophie Neveu die Rolle der Agentin zu,
während Dr. Robert Langdon der historisch bewandte Kryptologe
ist.
Natürlich jagt auch die katholische Kirche den vier Reitern
hinterher. Kardinal Mauro Brugnone ist zutiefst um die Grundfesten des
Glaubens besorgt, denn eigentlich hätte das
Chiffriergerät gar nie die geheimen Archive des Vatikans
verlassen dürfen. Er setzt Monsignore De Angelis auf die vier
"Templer" an. Wie ein Würgeengel bringt der
gewalttätige Gottesmann drei der Diebe, einfache Kriminelle,
brutal zur Strecke. Den Kopf des Quartetts kriegt er nicht so einfach
zu fassen. Dabei handelt es sich um den in der akademischen Welt
aufgrund seiner Templerbesessenheit in Ungnade gefallenen Historiker
William Vance.
Wieder eine kurze Pause zur Tatbestandsaufnahme: Kardinal Brugnone
gleicht als literarischer Klon Dan Browns "Sakrileg"-Bischof Manuel
Aringarosa, De Angelis ist eine pigmentreichere Form des
Mörders Silas, während William Vance ähnlich
pathologische Züge wie Gralsucher Sir Leigh Teabing
trägt. Natürlich dürfen in einem Plagiat,
das penibel Wert darauf legt, ein solches zu sein, auch die Details
nicht außer Acht gelassen werden. Khoury kupfert daher Browns
Faible für modernste Technologie (Taser,
Iridium-Satellitentelefone, etc.) mit unübersehbaren
Wiedererkennungswert ab.
Ab Romanmitte weist die Chiffriermaschine den Weg ins östliche
Mittelmeer, dort, wo durch regelmäßig eingeschobene
Rückblenden ins Jahr 1291, auch der junge Templer Martin de
Carmaux Odyssee und Abenteuer zu bestehen hatte. Es folgen
altbewährte Grabräuber-Sequenzen à la Lara
Croft und Indiana Jones. An der lykischen Küste, im
Süden der heutigen Türkei, tauchen Tess und Sean nach
einer von einem Stausee überfluteten Rittergruft, bringen
Astrolabium und Pergamentrolle zutage und kommen so der "Wahrheit"
Stück für Stück näher. Vance und De
Angelis warten derweil natürlich nur auf den richtigen Moment,
um zuzuschlagen. Der Eine, weil er den freimachenden "Schatz der
Templer" der Welt präsentieren will, der Andere, weil er vor
nichts zurückschreckt, um den Vatikan frei der Last
gefährlicher historischer Erkenntnisse zu machen. Das letzte
Geheimnis ruht schließlich - durch Harz und Pech abgedichtet
- in der Galionsfigur des versunkenen Templerschiffes "Faucon de
Temple". Dabei handelt es sich um ein Tagebuch. Ausnahmsweise ist es
nicht jenes der Maria Magdalena, so viel Anstand bewies Raymond Khoury
wenigstens.
"Scriptum", von Umfang und Inhalt lang und weilig, eignet sich
hervorragend für eine vielstündige Zugfahrt, als
Alternative zum Gespräch mit noch langweiligeren Mitreisenden.
Hinzu kommt ein merkwürdiger Kumulationseffekt: Je mehr
Kapitel man zurücklässt, desto
größer wird die Emsigkeit; die Emsigkeit, weiterer
Versatzstücke aus anderen Büchern habhaft zu werden.
Am Zielbahnhof ist man dann doch erleichtert. Und zwar durch die
Gewissheit, dass nicht nur die Fahrt ein Ende hat, sondern auch eine
kreativitätsfreie Strecke von über 500 Seiten.
(lostlobo; 08/2006)
Raymond
Khoury: "Scriptum"
Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg, Anja Schünemann
und UlrikeThiesmeyer
Rowohlt, 2005. 556 Seiten.
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Ein
Buchtipp:
Agustín Sánchez Vidal: "Kryptum"
Tief unter der spanischen Stadt Antigua schlummert ein
Geheimnis, das die Zeiten überdauert hat. Was kann es sein,
das die Schicksale einer spanischen Wissenschaftlerin, eines New Yorker
Kryptologen und eines Geheimkuriers aus dem Andalusien des 16.
Jahrhunderts miteinander verbindet? Wo liegt die geheime Verbindung
zwischen dem alten, legendenumwobenen Antigua, Jerusalem, Mekka und
Mesopotamien? Und
warum bieten zwei mächtige Geheimdienste alles auf, um an
dieses Geheimnis zu gelangen?
Anno Domini 1582. Im Alkazar wartet Raimundo Randa auf seinen
Inquisitionsprozess. Hinter ihm liegt eine lange Reise voller Gefahren
und Abenteuer. Mehr als einmal hat er seine Identität und
sogar seinen Glauben gewechselt, um dem Geheimnis auf die Spur
gekommen. Dem Geheimnis um ein mit kryptischen Zeichen beschriftetes
Pergament. Ein Pergament, das, in 12 Fragmente geteilt, von 12
jüdischen Familien über die Jahrhunderte hinweg
gehütet worden ist. Von ihm geht eine mysteriöse
Macht aus, die noch viel, viel weiter in die Vergangenheit
zurückreicht ...
Über 400 Jahre später verschwindet die amerikanische
Wissenschaftlerin Sara Toledano spurlos in Antigua. Hat sie den
Schlüssel zum Geheimnis ihrer Vorfahren gefunden, nach dem sie
ein halbes Leben lang gesucht hat? Die vier Fragmente des Pergaments,
die sie kurz zuvor ihrem engsten Mitarbeiter David Calderón
geschickt hat, deuten ganz darauf hin. Aber wo ist sie? In
größter Sorge um ihr Leben macht sich der Kryptologe
daran, die geheime Botschaft zu entschlüsseln. Doch
Calderón ist nicht der einzige, der diesen
Code
aus uralter Zeit knacken will. Er hat einen gewaltigen
Gegenspieler: die NSA, der mächtigste Geheimdienst der Welt.
Drei Orte, zwei Schicksale, ein Geheimnis: Kryptum. Auf der Suche nach
dem letzten Schlüssel der Menschheit. (dtv)
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