Valerio Varesi: "Die Pension in der Via Saffi"
Commissario Soneri blickt zurück
Commissario
Soneri lebt und arbeitet in Parma. Seit seiner Jugend kennt er sich aus
in der Stadt und zeichnet sich durch eine politische Haltung aus, die
ihn mit Donna
Leons Brunetti und
Camilleris
Montalbano verbindet. Er hat sich über all die Jahre
eine linksliberale Meinung und ein entsprechendes Bewusstsein bewahrt,
obwohl er miterlebt hat, wie sich in seiner Heimatstadt Parma Dutzende
von ehemaligen Linksradikalen und gar Untergrundkämpfern
über die Zeit in die mafiösen Strukturen der
Stadtpolitik eingeordnet haben und von ihr nicht schlecht profitieren.
In seinem zweiten Fall blickt Commissario Soneri zurück -
notgedrungen. Denn ein Mord in der Pension Tagliavini in der Via Saffi
konfrontiert ihn nicht nur mit der politischen Geschichte der Stadt
seit Ende der 1960er Jahre, die Zeit der Roten Brigaden eingeschlossen,
sondern auch mit seiner persönlichen Vergangenheit, die er
abgeschlossen und verarbeitet glaubte.
Die betagte Besitzerin einer Pension in der Via Saffi, Ghitta
Tagliavini, wird von der Polizei ermordet aufgefunden. Eine unbekannte
Frau verlangte auf dem Kommissariat den Commissario Soneri
persönlich und wollte den Mord anzeigen, doch Soneri
lässt sich verleugnen und die Frau mit seinem Assistenten
Juvara sprechen. Durch die verschlossene Tür hört er
mit, was die Frau zu sagen hat:
"Er hörte den Bericht der Alten, immer wieder unterbrochen von
Juvaras Stimme, und ihn überfiel die Erinnerung an jene Zeit
vor dreißig Jahren, als er direkt vor der Pension Tagliavini
von dem Lächeln eines Mädchens, das einen
weißen, zusammengefalteten Kittel über dem Arm trug,
wie vom Blitz getroffen wurde. Es war der Beginn einer wunderbaren
Liebesgeschichte. Und viele Jahre später, als sie bereits
verheiratet waren, hatte er ihr gesagt, dass es im Grunde das Verdienst
dieser Pension gewesen sei, dass sie sich gefunden hätten,
denn ihr regelmäßiges Kommen und Gehen hatte den
jungen, ehrgeizigen Polizeiassistenten angezogen.
Ada, Soneris Frau, war vor fünfzehn Jahren gegangen und hatte
ihn allein gelassen mit der Vorstellung, wie es hätte sein
können, zusammen alt zu werden und ihren Sohn
großzuziehen, bei dessen Geburt sie gestorben war. Nicht
einmal das Kind war ihm geblieben, es war tot zur Welt gekommen, ohne
einen Schrei. Die Erinnerung an Ada war lebendig, doch von dem Kleinen
hatte er kein Bild. Manchmal geisterte er unsichtbar um ihn herum, dann
versuchte er, sich seine Gesichtszüge vorzustellen, die Farbe
seiner Augen, sein Haar. Aber sein Schmerz hatte kein Gesicht, das man
beweinen konnte."
Und so hatte Soneri sich in seine Polizeiarbeit gestürzt, sein
Innenleben abgeschlossen und sich auch bei seiner neuen Bekannten, der
Staatsanwältin Angela, nicht wirklich geöffnet. Sie
ihrerseits schätzt an Soneri seine politisch aufrechte und
unbestechliche Haltung und tritt ihm mit viel Geduld und
Verständnis gegenüber. Sie ist eigentlich nicht
eifersüchtig auf Soneris verstorbene Frau, spürt sie
doch, dass in seinem Inneren noch etwas lebt, das er nicht
aufgearbeitet hat.
Als Soneri im Zuge seiner Ermittlungen in der Via Saffi nicht nur auf
ein geheimnisvolles Schattenleben von Ghitta, der Besitzerin,
stößt, die sich als Heilerin und Kupplerin in ihrem
Heimatdorf und in ihrem Viertel in Parma mit Erpressung und
mafiösen Methoden einen unermesslichen Reichtum und eine Macht
erworben hat, der sie Einfluss haben lässt bis in die Spitzen
der Stadtpolitik, sondern auch ein Bild entdeckt, auf dem seine Frau
Ada mit einem anderen Mann zu sehen ist, vermischen sich
persönliche Betroffenheit und professionelles Arbeiten zu
einem unauflösbaren Knoten. Soneri will von den Ermittlungen
entbunden werden, doch sein Chef ist dagegen.
Und so findet er nicht nur unter großen inneren Schmerzen
heraus, dass Ghitta dereinst bei seiner späteren Frau eine
Abtreibung vorgenommen hat, sondern auch, dass der Tod seiner Frau und
seines Sohnes die Spätfolge dieses verpfuschten Eingriffs war.
Doch auch ein Anderer hat unter der damaligen Abtreibung all die Jahre
gelitten und rächt sich furchtbar ...
Valerio Varesi, 1959 geboren, lebt in Parma und arbeitet als Redakteur
von "Repubblica". Schon der erste Band der Serie mit Commissario
Soneri, "Der Nebelfluss", wurde in Italien von der Presse und dem
Publikum begeistert aufgenommen. Es ist zu hoffen, dass der Kindler
Verlag noch weitere Bücher dieser hervorragenden und
anspruchsvollen Serie veröffentlicht. Varesis Soneri hat das
Zeug, zu den ganz Großen der Serienkomissare zu
gehören. Varesi verbindet eine Mischung aus politisch
anspruchsvollen und aufklärerischen Themen und Fällen
mit einem überaus sympathischen Protagonisten, der sich ein
politisches Bewusstsein bewahrt hat und immer wieder in die
Abgründe der lokalen und nationalen Geschichte hinabsteigt,
was für den deutschsprachigen Leser hochinteressant und
lehrreich ist.
Ein absolut empfehlenswerter Kriminalroman von literarischer
Extraklasse!
(Winfried Stanzick; 07/2006)
Valerio
Varesi: "Die Pension in der Via Saffi"
Deutsch von Karin Rother.
Kindler, 2006. 283 Seiten.
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"Der
Nebelfluss. Commissario Soneri sucht eine Leiche"
Herbst am Po: Das
Wasser steigt, der Fluss tritt über die
Ufer. Dörfer werden evakuiert, nur die Alten im Circolo
Nautico lassen sich nicht vertreiben. Und sie allein sehen, wie der
Lastkahn des alten Tonna führungslos den Fluss hinuntertreibt.
Während sich am Po die Alten auf die Suche nach Tonna machen,
stürzt dessen Bruder in Parma aus dem Fenster eines
Krankenhauses in den Tod. Zufall? Commissario Soneri mag nicht daran
glauben. Doch er tappt mit seinen Ermittlungen im Dunkeln, da kann ihm
auch seine Geliebte Angela, die Staatsanwältin, nicht helfen.
Aber als er erfährt, dass beide Brüder Faschisten
waren, ist er sicher, dass die Lösung in der Vergangenheit
liegt. Irgendwo zwischen den Sandbänken des Po, wo es
früher ein Dorf gegeben haben soll, das man nur bei
Niedrigwasser sehen konnte - und wo sich Faschisten und Partisanen
erbitterte Kämpfe geliefert haben. Und so zieht es ihn immer
wieder hinaus zum Po, zu den verlassenen Straßen und
Häusern, die im Nebel kaum zu erkennen sind, wo die Geister
einer vergangenen Zeit auch heute noch hausen ...
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